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Mehrsprachigkeit und DiskriminierungSprache kostet

Die Debatte um Mehrsprachigkeit sollte sozial bewusst geführt werden. Denn mehrere Sprachen zu sprechen muss man sich leisten können.

Es geht auch so: Kinder lernen Arabisch in einer Grundschule in Berlin-Wedding Foto: Karsten Thielker

Es ist eine Debatte in Anführungsstrichen, die immer dann aufgewärmt wird, wenn Deutschland wieder einen Schuss Leitkultur braucht. Sie ist ein Klassiker in konservativen Kreisen, erinnert man sich an den einstigen Vorstoß der CSU, laut der in migrantischen Wohnzimmern bitte schön auch Deutsch zu sprechen sei; oder an Carsten Linnemanns (CDU) Idee, noch nicht so deutschgewandte Kinder einfach später einzuschulen.

Auch die FDP interessiert sich für die Deutschkenntnisse migrantischer Kinder. Das zeigt die kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion, in der sie auch erfahren wollte, wie viele der knapp 3,2 Millionen Kita-Kinder in Deutschland in ihren Familien „vorrangig nicht Deutsch“ sprächen. Die Antwort: 674.737 und somit 21,4 Prozent, wie die „Tagesschau“ am Wochenende festgestellt hat.

Das kann man nun unbeeindruckt registrieren, besonders vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in Deutschland mehr als ein Viertel der Menschen einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Oder man kann in die Mottenkiste der Sarrazin-Debatten greifen. Denn die Zahl solcher Kinder, so die „Tagesschau“, sei gestiegen: 2017 noch 18,7, 2018 noch 19,4 Prozent.

Dass dieser prozentuale Anstieg kaum beachtlich ist, hinderte die „Tagesschau“ nicht daran, die Meldung zusätzlich in dramatisierendem Yoda-Satzbau als Sharepic durch das Netz zu jagen: „Kaum Deutsch zu Hause spricht jedes fünfte Kind.“ Debatte solche kennen längst schon wir!

Wer immer wieder über das gleiche ressentimentgeladene Scheinproblem diskutieren muss, eignet sich über die Jahre ein Set an Antworten an. Diese dominierten am Wochenende die sozialen Medien, in all ihrer Berechtigung: Mehrsprachigkeit sei kein Mangel, sondern Bereicherung; wissenschaftliche Feststellungen wurden geteilt: wenn Pädagog:innen Mehrsprachigkeit positiv bewerteten, unterstützten sie das Kind allgemein in seiner sprachlichen Entwicklung; wenn zu Hause Französisch oder Englisch gesprochen werde, gelte das kaum als Mangel, bei Türkisch oder Arabisch schon. Viele teilten persönliche Erfolgsgeschichten à la „Ich habe zu Hause Türkisch gesprochen, habe trotzdem den Doktor gemacht“. So weit, so bekannt.

Sprache des Aufstiegs

Jenseits eines Problems oder einer Bereicherung ist eine solide Mehrsprachigkeit aber vor allem eine Frage von Zeit und Geld. Und weil türkisch-, arabisch- oder russischsprachige Eltern meistens nicht als IT-Spezialisten oder Diplomatinnen nach Deutschland gekommen sind, sondern als Fabrikarbeiter:innen oder Reinigungskräfte, fehl(t)en ihnen oft die Mittel, dieser Belastung gerecht zu werden.

Wenn das Kind gut Türkisch und gut Deutsch und nicht beides nur halbgut sprechen soll, braucht es zusätzliche Angebote, die man mit Geld besorgen kann, wenn es die öffentliche Hand nicht richtet; oder es braucht zeitintensives Engagement der Eltern. In vielen Familien, die gerade noch so viele Mittel hatten, um an den sozialen Aufstieg ihrer Kinder zu denken, wurde die Herkunftssprache deshalb oft zugunsten des Deutschen aufgegeben, weil Deutsch die Sprache des Aufstiegs ist. Dass Lehrer:innen und Politiker:innen die Herkunftssprache stigmatisierten, erhöhte den Druck.

Natürlich hat die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding recht, wenn sie sagt: „Sprache entscheidet, welche Chancen ein Kind im Leben hat.“ Sie tut das vor allem in Deutschland, wo ein hierarchisches Bildungssystem Kinder sehr früh in studierfähig und nicht studierfähig einteilt. Das Problem ist deshalb nicht, dass Kinder kein Deutsch lernen wollen. Das Problem ist, dass sie ihre erste Sprache oftmals aufgeben müssen, um eine Chance im deutschen Bildungssystem zu bekommen.

Ich hatte Glück. Mein Vater sprach im Kindesalter Türkisch mit mir, meine Mutter Deutsch. Weil sie selbst als Jugendliche nach Deutschland gekommen war, konnte sie das. Trotzdem ist mein Deutsch heute besser als mein Türkisch, was mich ärgert. Ich kenne aber Menschen, die ihre Herkunftssprache verloren haben. Ihr Selbstbezug leidet massiv darunter. Schuld daran sind das „Einwanderungsland“ Deutschland, Leitkulturdebatten und auch die sozioökonomische Ignoranz gegenüber jenen, die einst als Arbeiter:innen in dieses Land kamen.

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20 Kommentare

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  • Keine Frage: Mehrsprachigkeit ist ein Gewinn. Fahren Sie mal nach Tunesien. Dort sprechen fast alle Menschen ihre Muttersprache, englisch oder französisch und oft noch ein paar Brocken einer weiteren Sprache. Sie sind arm, aber nicht ohne ein relativ gutes Bildungssystem.

  • Ich bin vor zwanzig Jahren das erste mal in Sri Lanka gewesen und habe mich sehr darüber gewundert, wie gut die Tuktuk-Fahrer (so eine Art überdachtes Moped-Taxi, bei dem die Gäste hinten nebeneinandersitzen können) deutsch sprachen. Auf meine Frage hin, wie sie das denn gelernt hätten, war die Antwort immer, daß sie sich das von den Touristen abgehört hätten. Erstaunlich. Deutsch soll doch so eine schwer zu erlernende Sprache sein und hier haben Leute, die in ihrer Mehrzahl nur die Pflichtschule besucht hatten, sehr gute Kenntnisse. Also richtige Wortstellung, Vergangenheit in richtig gebildetem Perfekt usw. Prima.

    • 1G
      164 (Profil gelöscht)
      @Thomas Schöffel:

      Wer durch den Verkehr von Colombo unfallfrei ein Tuktuk steuern kann, dem ist auch Deutsch nicht zu schwer ;-)

  • Natürlich ist mehr Sprachförderung wichtig und es wird nicht genug gemacht von Seiten des Staates.

    Allerdings muss man ehrlich gesagt auch die Eltern mehr in die Verantwortung nehmen.

    Es kann nicht allein Sache der Schule sein dafür zu sorgen, dass die Kinder in Deutschland klar kommen und die Sprache gut beherrschen.

    Das wird nämlich schwierig, wenn Zuhause, in der Freizeit und im Freundeskreis kaum und nur schlechtes Deutsch gesprochen wird.

    So viel kann die Schule gar nicht leisten - erst recht nicht bei Schülern, die sowieso aus einem bildungsfernen Elternhaus kommen und Probleme in der Schule haben

    • @gyakusou:

      Doch, eigentlich muss die Schule und ggf. andere Institutionen das Leisten können.



      Wenn Eltern erst wenige Jahre im Land sind ist es Weltfremd anzunehmen, dass sie Ihrem Kindern korrektes Deutsch beibringen. Und wenn in Freizeit und Freundeskreis nur nur aus Menschen bestehen mit dem gleichen Migrationshintergrund sind die Eltern nur zum Teil schuld. (Das Kind ohnehin nicht, verliert aber wie die Gesellschaft trotzdem)

    • @gyakusou:

      Es ist völlig normal, daß zu Hause, in der Freizeit oder im Freundeskreis die Muttersprache gesprochen wird. Würden Sie als Expat genauso machen. Das Defizit liegt vielleicht eher darin, daß außerhalb der Schule kaum Kontakte zu deutschen Muttersprachlern gepflegt und/oder kaum deutschsprachige Medien (Fernsehen/Videos/Radio/Spiele etc.) genutzt werden.

  • Boris Johnsons Urgroßvater war übrigens Türke, man mag es nicht glauben. Geschadet hat es ihm nicht, dass sich sein Urgroßvater assimiliert hat. Genauso ging es all den Tezlafs, Kowalskis, Schimanskis etc allüberall, denen kein Phantomschmerz ihrer unausgelebten polnischen Herkunft zurückgeblieben ist. Niemand darf seiner Herkunft wegen diskriminiert werden, aber wenn man in ein anderes Land migriert, ist es auf Dauer normal sich sprachlich und kulturell anzugleichen, kommt wahrscheinlich auf Dauer auch von allein und umso einfacher je weniger man auf die Leute noch andauernd in belehrener Manier einredet. Steigert auf Dauer auch die sozialen u ökonomischen Aufstiegschancen. When in Rome, do as the Romans do. When in Istanbul, do as the Istanbulians do

    • @ingrid werner:

      Für Angehörige des Bürgertums ist das in der tat einfacher. (Wenn auch nicht unproblematisch, wie Sie suggerieren) Wie im Artikel beschrieben, sind nicht alle immigrierten Eltern so gebildet.

  • Wenn ich mich so umschaue, dann ist die Sprechkompetenz gerade unter türkisch- , arabisch- und russischsprachigen Jugendlichen sehr gut. Für russischsprchg Menschen gibt es sehr viele Angebote innerhalb der Community, spezielle Schulen. Und ich höre die Leute ständig untereinander ihre Sprache praktizieren obwohl Sie zum größten Teil hier geboren sind. Russisch hat wahrscheinlich auch nicht so das Ablehnungsproblem der Mehrheitsgesellschaft. Mag sein, dass es in der türkischen u arabischen Community mit der Schrift- und Lesekompetenz irgendwann abnimmt, wenn Schulen fehlen. Dass es aber eine Art Behinderung darstellt, eine kulturelle Amputation, glaube ich nicht. Es ist auch ganz normal, dass wenn man sein ganzes Leben hier verbracht hat, besser Deutsch spricht als türkisch (u.a.), selbst wenn man noch von Sprechern der Herkunftssprache hier in Dtl umgeben ist, schafft es die Community nicht vollständig mit der Entwicklg der Umgangssprache in der Türkei mitzuhalten. Dafür, dass dies eine linke Zeitung ist, die per Definitionem Nationalismen reserviert gegenüber stehen sollte, finde ich, legt ihr sehr viel Naivität gegenüber der Pflege von nationalen/ sprachlichen/ kulturellen Identitäten an den Tag. Immer mehr beschleicht mich die Ahnung, dass es für den gesellschaftlichen Zusammenhalt besser ist, die kulturelle und sprachliche Einheit zu fördern, statt auch noch aus falsch verstandener Liberalität, den Migranten zur Bewahrung ihrer Identität unter die Arme zu greifen. Sorry, da ist mir der französische oder amerikanische Ansatz lieber, der eine gemeinsame Identität postuliert. Und genauso sollte es auch hier sein: egal woher wir kommen, wir sind alle Deutsche. Alles andere befördert nur die gesellschaftliche und politische Spaltung. Selbstverständlich sollte hierbei nichts forciert werden und kein Druck ausgeübt werden. Von keinem Menschen in der ersten und zweiten Generation kann verlangt werden seine Herkunftssprache und Kultur einfach abzulegen wie ein Hemd.

    • @ingrid werner:

      Was soll denn das für eine Kultur sein, an die man sich anpassen soll?



      Das amerikanische Modell ist das übrigens bestimmt nicht - im "Melting Pot" verwandeln sich nicht alle in eine Suppe. Und in Frankreich wird zwar die Einheitlichkeit postuliert, aber das macht es nur schwerer über den Rassismus zu sprechen, der ja dennoch existiert.

      • @C K:

        Sie wollen mir also sagen, dass von Tokio über Jakarta, Teheran, Riad, Paris, London, Addis, Buenos Aires bis Washington, ein und die selbe Kultur und Sprache praktiziert werden und wenn Sie von A nach B ziehen bräuchten Sie sich nicht um die Sprache, das Wissen um die kulturellen Praktiken, die Geschichte, das politische System etc des jeweiligen Landes bemühen und könnten umstandslos daran partizipieren? In den USA leben die Leute, nach mehreren Generationen, auch wenn Sie noch ein Bewusstsein davon haben, wo sie einst hergekommen sind, in einer amerik. Mainstreamkultur, die eine gewisse Bandbreite hat, aber deren Subkulturen sich aufeinander beziehen, sich, widerstreitend, mit den selben politischen, sozialen, historischen Problemen beschäftigen im Wissen um die historischen Wurzeln. Rassismus gehört natürlich auch dazu. Auch die Migrationsgeschichte Frankreichs ist nicht ohne seine Kolonialgeschichte verständlich und wenn ich aus Japan dorthin verschlagen werden würde, wäre es nicht zu viel verlangt sich damit zu beschäftigen, oder? Würden Sie doch auch so machen? Zusammengefasst, es gibt, bei aller Vielfalt, die sich noch im allerisoliertesten Land finden wird, eine gewisse Grundlage auf die sich eine Gemeinschaft verständigt, um überhaupt eine Gemeinschaft bilden zu können um darin als Zoon Politikon adäquat teilnehmen zu können. Aber es gibt zweifelsohne Länder, die sich ethnozentrischer definieren und sich gegen die Integration von Neuankömmlingen verschließen, in der diese widerum in ihren ethnischen Communities verbleiben, wo dieses Muster systemisch ist, die westlichen Gesellschaften sind dies heute jedenfalls nicht mehr, Sie definieren sich als universalistisch. Das heißt nicht dass es keinen Rassismus gibt, i.a.R. ist das aber nicht rechtlich gedeckt. Alle haben theoretisch die Möglichkeit, mit ihrer Staatsbürgerschaft Teil der Mehrheitsgesellschaft zu werden, es wird nicht von ihnen verlangt in ihrem Ghetto zu verbleiben. ich finde das gut.

  • Ich könnte mir vorstellen, dass es sinnvoll wäre, wenn Sprachen, die häufig in den Familien gesprochen werden (Türkisch, Arabisch, Russisch) auch von Anfang an in der Grundschule unterrichtet würden. Das würde die Sprachen und die Zweisprachigkeit aufwerten. Heute ist es so, dass man zwei Fremdsprachen braucht, um das Abitur zu machen, dabei werden nur Sprachen akzeptiert, die die Schule anbietet. Das kann bedeuten, dass man mit dem schlechtesten Schulfranzösisch das Abitur machen kann, nicht aber mit Persisch auf Muttersprachniveau. Das ist bizarr.

    • @Kolyma:

      Ich stimme Ihnen vollkommen zu.

    • @Kolyma:

      Das ist doch undurchführbar. Wie wollen Sie denn in einer Klasse in zehn Sprachen unterrichten?

      • @Thomas Schöffel:

        Ich glaube der Vorschlag war, dass zusätzlich zu den oder anstelle der gängigen wählbaren Fremdsprachen, Spanisch und Französisch, auch die genannten Sprachen als Unterrichtsfach angeboten werden könnten. Scheint mir eine gute Idee.

  • Wenn trotz der hohen Sprachqote das Bildungsziel in den Schulen laut Leerplänen erreicht werden kann, dann handelt es sich tatsächlich nur um ein Scheinproblem.

    Wenn hingegen in den ersten Schuljahren erst einmal einer bestimmten Masse an Schülern die Amtssprache beigebracht werden muss und der restliche Unterricht insgesamt darunter leidet, dann handelt es sich um ein echtes Problem und zwar um eines fern jeder Leitkulturdebatte. Bundesländer mit einem hohen Anteil nichtdeutssprachiger Migranten fallen dann im nationalen Vergleich noch weiter hinter Bayern und BW zurück und wertvolle Ressourcen werden unnötig gebunden.

    Es wäre daher sehr hilfreich, wenn die Schulen ihre Lehrpläane abarbeiten würden, ganz ungeachtet etwaiger Vorqualifikationen.

  • Hier zeigt sich auch Mal wieder die Bedeutung von Kindergärten! Man sollte fördern, dass alle Kinder früh in den Kindergarten kommen, sodass sie neben ihrer Familie auch noch von einem erweiterten sozialen Umfeld lernen können. Davon profitieren alle Kinder.

    • @C K:

      In der Sache bin ich bei Ihnen. Nur zum Verständnis: Wie fördern und was heißt früh?

      • @Devil's Advocate:

        Ich habe leider kein ausgefeiltes Konzept, das ist ja auch komplexe Familienpolitik. Aber es wird doch schon lange diskutiert, dass die Kindergärten ausgebaut werden sollen, damit es für alle einen Platz gibt. Dann spielt es ja auch eine Rolle, ob jungen Müttern für ihre Berufstätigkeit ein schlechtes Gewissen gemacht wird, und sie noch steuerlich bestraft werden. Ich möchte ja auch niemandem vorschreiben, wie die Kinder erzogen werden sollen. Ich glaube aber, dass Kindergärten demokratisierend sein können.



        Das ganze bietet leider auch nicht direkt eine Lösung für das im Artikel beschriebene Problem,

  • Da muss ich zustimmen. Es braucht gleiche Bildungschancen. Und wenn wir mehr Menschen mit Migrationshintergrund haben, dann benötigen wir eben auch mehr Geld für die Bildung.