Linnemanns Grundschulaussage: Setzen, Sechs!
Der Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann möchte, dass Kinder erst zur Grundschule gehen, wenn sie genug Deutsch sprechen. Das ist purer Populismus.
Es gibt Themen, da sagen Leute nicht viel dazu, wenn sie keine Ahnung haben. Integralrechnung zum Beispiel. „Äh nein, da kenne ich mich leider nicht aus, sorry.“ Alles gut, wird Ihnen schon niemand übelnehmen. Und dann gibt es solche Themen, bei denen plötzlich alle meinen, mitreden zu können, weil sie eine Meinung haben. Der Dauerbrenner unter ihnen: „Integration“. Ein schön schwammiger Gegenstand, bei dem niemand so richtig weiß, worum es eigentlich geht. Bullshit-Bingo ist sozusagen im Wesen der Sache „Integration“ angelegt.
So ruft Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann auf die Frage der Rheinischen Post, wo die CDU sich denn profilieren müsse: „Ganz klar bei der Integration“!!! Zugegeben, die drei Ausrufezeichen habe ich als Stilmittel dazugedichtet. Einfach weil ich sie mir so gut vorstellen kann. Linnemann dürfte an dieser Stelle des Interviews nämlich so was von erleichtert gewesen sein nach all den Fragen zu Klima und so, wo die CDU nun wirklich keine überzeugende Position zu bieten hat, dass es endlich um das Lieblings-Wischiwaschi-Thema der Deutschen geht – mit dem man ordentlich Stimmung machen kann.
Von den „Vorfällen in Freibädern“ spricht er und von der „Schwertattacke in Stuttgart“, um über aufgewühlte Menschen und neue „Parallelgesellschaften“ zu sinnieren. Die Lösung aller Probleme erkennt Linnemann in der frühen Segregation: Ausländerkinder mit Sprachdefiziten sollen künftig nicht mehr gemeinsam mit Deutsch-Muttersprachlern eingeschult werden. Wow. Eine Glanzleistung an Rhetorik.
Keine Hausaufgaben gemacht
Mal davon abgesehen, dass es schon sehr vieler gedanklicher Verrenkungen bedarf, Parallelgesellschaften mit noch mehr Barrieren zu Bildung auflösen zu wollen, scheint Linnemann einfach seine Hausaufgaben nicht gemacht zu haben. Er behauptet, dass staatliche Schulen voll mit Kindern von Zuwanderern seien, die nicht ausreichend Deutsch sprechen und damit das Niveau senkten.
Dabei übergeht Linnemann aber die Tatsache, dass es in Berlin seit 2015 ohnehin sogenannte Willkommensklassen gibt, in denen Kinder und Jugendliche ohne Deutschkenntnisse erst einmal auf den Regelunterricht vorbereitet werden, bevor sie überhaupt in „normale“ Klassen dürfen. In anderen Bundesländern gibt es das Prinzip auch, nur unter anderem Namen, wie Begrüßungsklassen, Seiteneinsteigerklassen oder Deutschförderklassen.
Doch Linnemann hält an seinen nurdeutschen Fantasien fest: „Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen.“ Nur eine unglückliche Formulierung? Oder wo genau will Linnemann sonst ein 7-jähriges Kind unterbringen, wenn nicht in einer Grundschule? Und noch mal: Was genau soll das mit der Schwertattacke in Stuttgart zu tun haben, die im selben Atemzug mit eingestreut wird?
Duisburg: nicht die deutsche Durchschnittsstadt
Über Generationen hinweg sind Kinder von Gastarbeitern, von bosnischen Geflüchteten, von Spätaussiedlern aus Russland mit Muttersprachler_innen zur Schule gegangen und haben sich wunderbar zurechtgefunden. Sollte man nicht eher über die richtige Zusammensetzung von Kindern diverser Hintergründe nachdenken, etwa in Form von Quoten, anstatt sie voneinander zu trennen?
Die von Linnemann zitierten 16 Prozent künftiger Erstklässler_innen, die laut einem Test noch kein Deutsch können, befinden sich in Duisburg, jener Stadt in Nordrhein-Westfalen mit dem höchsten Anteil an Schulkindern mit Migrationshintergrund. Duisburg ist nun wirklich nicht die deutsche Durchschnittsstadt.
Doch auch wenn Linnemann schon im Interview defensiv vor der „Rassismus-Keule“ warnt, die bei diesem Thema unangebracht sei: Was der Unionsfraktionsvize mit seinem pseudonüchternen Thesenbrei betreibt, ist purer Populismus und sonst nichts. Wenn er der deutschen Sprache tatsächlich so mächtig wäre, wie er es von Kleinkindern erwartet, würde er längst nicht mehr das Wort „Integration“ verwenden, sondern Segregation. Setzen, Sechs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?