Medikamentenvertrieb im Globalen Süden: Geburtenkontrolle als Charity
Das Pharmaunternehmen Bayer vertreibt im Globalden Süden fleißig ein Verhütungsmittel mit massiven Nebenwirkungen. Offiziell ausschließlich aus Nächstenliebe.
E s klingt so schön altruistisch, was der deutsche Pharmakonzern Bayer in einer Broschüre über seinen Einsatz für Menschen im Globalen Süden schreibt. Das Pharmaunternehmen hat 2012 mit der Bill & Melinda Gates Foundation und weiteren staatlichen und nichtstaatlichen Partnern das Jadelle Access Program geründet.
Bayer hat dazu den Preis seines Verhütungsmittels Jadelle von 18 Dollar auf 8,50 Dollar gesenkt, sodass es Menschen im Globalen Süden dank der Kooperation umsonst erhalten: „Dank dieses gemeinsamen Engagements können nun umso mehr Frauen von Verhütung profitieren, indem sie Jadelle benutzen!“, schreibt Bayer. Laut einem Paper des Hampshire College hat auch die deutsche KfW-Bank zwischen 2003 und 2007 den Kauf von 45.000 Jadelle-Implantaten für Äthiopien finanziert. Das Ziel dieser Initiative laut Bayer: Armutsbekämpfung.
Jadelle wird über ein Kunststoffröhrchen in den Oberarm implantiert und soll fünf Jahre lang wirksam sein. Ein Vorteil von Jadelle: Es sei diskret. Das sei wichtig, schreibt Bayer, denn viele Frauen in „Entwicklungsländern“ müssten Verhütung vor ihren Männern geheim halten, weil die Männer Verhütung ablehnten – beispielsweise aus „religiösen“ Gründen. Bayer rettet selbstlos die armen Menschen in Afrika.
Es gibt mit diesem Mittel nur ein Problem: Seit Jahren ist bekannt, dass es schwere Nebenwirkungen auslöst. Denn das gleiche Mittel wurde – mit unterschiedlicher Anwendung, aber gleichem Wirkstoff – in den 90er Jahren in den USA und Großbritannien unter dem Namen Norplant vertrieben. Die Nebenwirkungen: permanente oder gar keine Blutungen mehr, Depressionen und Haarverlust.
Antinatalismus im Globalen Süden
Die Nebenwirkungen sind so stark und treten bei so vielen Betroffenen auf, dass sie getrost als Wirkungen bezeichnet werden können. Norplant wurde in beiden Ländern vom Markt genommen. Stattdessen werden nun Länder des Globalen Südens mit dem gesundheitsschädlichen Mittel geflutet. Es sind ja keine Weißen, die darunter leiden. Und gleichzeitig werden weniger Schwarze Babys geboren. Bayer macht Gewinn und verkauft das auch noch als Charity. Win-win.
Das mag zynisch klingen, ist aber Realität, wenn es um reproduktive Rechte von Schwarzen und People of Color geht. Im Band „Mehr als Selbstbestimmung! Kämpfe für reproduktive Gerechtigkeit“ schreibt die Autorin Anthea Kyere in diesem Zusammenhang von westlichem „Antinatalismus im Globalen Süden“.
So werde Jadelle zum Beispiel auch flüchtenden Frauen auf ihrem Weg nach Europa eingesetzt. Hier seien sie dann damit alleingelassen, schreibt Kyere, weil viele Ärzt:innen nicht wüssten, wie die Implantate entfernt werden können. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie westliche Staaten reproduktive Rechte Schwarzer und People of Color unterdrücken, im eigenen Land und anderswo. Es ist nur die Spitze des Eisbergs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl