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Medikamente und ImpfstoffeDie Welt als Patientin

Gastkommentar von Anne Jung

Arzneimittel und Impfstoffe müssen als öffentliche Güter behandelt werden. Dazu gehört, das System von Patenten auf unentbehrliche Medikamente aufzuheben.

Der Schutz von Patenten auf alle Impfstoffe ist ein Nachteil in Coronazeiten Foto: Christoph Schmidt/dpa

D ie Welt ist zu einer Patientin geworden. Die Krankheit heißt Covid-19 und hat uns allen die unentrinnbare Verflochtenheit des Planeten vor Augen geführt. Im Interesse der Menschheit sollte die Welt solidarisch nach einem Impfstoff und nach Medikamenten suchen, die dann entlang von Bedarfen produziert und verteilt werden.

Doch die vollmundig beschworene globale Solidarität währte nur kurz. Mit jeder Ankündigung eines erfolgversprechenden Impfstoffkandidaten bröckelt die Fassade weiter. Und die Initiative der Weltgesundheitsorganisation WHO, die Impfstoff- und Medikamentenentwicklung ebenso wie ihre Verteilung besser, schneller und vor allem gerechter zu koordinieren als bei vorherigen Pandemien, droht am Impfnationalismus der großen Industrienationen zu scheitern.

Nicht der beste Zeitpunkt, um mit einem weit über die Covid-19-Pandemie hinausweisenden Aufruf die Aufhebung des Systems von Patenten auf alle unentbehrlichen Medikamente einzufordern. Und doch ist genau dies jetzt richtig, überlebensnotwendig und keineswegs utopisch. Schließlich gibt es Wirkstoffpatente für Medikamente überhaupt erst seit 1968, darauf weist die Buko Pharma Kampagne hin. Eine global gedachte Gesundheitspolitik kann nur funktionieren, wenn sie nach menschenrechtlichen Prinzipien ausgerichtet ist und Patente als globale Allmende denkt.

Deshalb haben sich in diesen Tagen über 100 Organisationen und Personen aus der ganzen Welt zusammengeschlossen und fordern eine an den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen ausgerichtete Politik, die Arzneimittel als globale öffentliche Güter behandelt und die Macht von Pharmaunternehmen im öffentlichen Interesse begrenzt. Hierfür ist die Entkoppelung von Forschungskosten und Preis bei Medikamenten unabdingbar, um neue Anreizmechanismen zu setzen, die Innovationen fördern und zugänglich machen. Ohne öffentlichen Druck wird keine Bewegung in die Sache kommen.

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15 Kommentare

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  • Die Entkoppelung von Forschungskosten und Preis bei Medikamenten ist doch schon längst Realität bei der Forschung von Covid19 Medikamenten, weil Staaten Milliarden in Pharmafirmen stecken als "Forschungsbeihilfe" ohne vertraglich geschützte Gegenleistung, die Preise entsprechend niedrig zu halten.

    Gesundheit als privatwirtschaftlich organisiertes Gut funktioniert nicht. Das sieht man bei den gewinnorientierten Krankenhäusern und überall dort, wo es kaum oder keine staatliche Fürsorge gibt, die allerdings oft durch Lobbyisten gefördert ruininiert wird. In ärmeren Ländern ist das eine Katastrophe.

  • Seltsames Verständnis von "die Welt ist krank". Die Erde ist schon lange geduldige Patientin mit uns - ihren "Schmarotzern" - den Menschen.



    Es wird schon 50 Jahre deutlich auf die kränkelnde Erde hingewiesen, es tut sich allerdings wenig, weil unsexy und "unwirtschaftlich". Seit kurzem gibt es FFF und dann kam "SARS-CoV2" in den Blick und die Körper der Menschen. Jetzt kränkelt die ausbeutende "Schmarotzergemeinschaft" auf dieser Erde, nicht aber die Erde durch das "neue" Virus. Der Erde und ihrem Klima geht es - wie das Virus samt Lockdown zeigte - ohne uns wesentlich besser und das sogar unerwartet schnell. Die Erde braucht keine Medikamente, lediglich ihre Bewohner/innen sehnen sich danach.

    Ich wünsche mir, dass die Erdenbewohner/innen sich in vielen weiteren Bereichen weltweit gemein tun und zusammen möglichst für alle (!) Menschen, Tiere und die Erde gutes tun und erreichen. Auch das kann uns vor weiteren Virenübersprüngen und in Folge Krankheit von Mensch und Tier bewahren.

  • Wenn der Patentschutz für Medikamente aufgehoben wird, werden die Unternehmen die Forschung einstellen.

    Wer sollte diese dann entwickeln?

    Die Universitäten und Staaten haben jedoch nicht die entsprechenden Kapazitäten.

    Wie sollen diese neuen Anreize aussehen? Costplus?

    • @DiMa:

      "Wenn der Patentschutz für Medikamente aufgehoben wird, werden die Unternehmen die Forschung einstellen."

      Das ist einfach. Nur wer allseitig forscht, bekommt Medikamente zugelassen. Wer nur auf Maximalgewinn aus ist, darf überhaupt nichts verkaufen.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        "Allseitige Forschung"? Das lässt sich sehr leicht und kostenünstig simulieren.

        Und was pasiert, wenn ein bereits zugelassenes und unter Patentschutz stehendes Mittel (z.B. gegen Husten) später zum Allheilmittel gegen eine Krankheit wird (z.B Corona)?

        Und die wichtigste Frage, was passiert wenn die USA und China nicht mitspielen? Einfach plagiieren? US Medikamente nicht mehr zulassen, selbst wenn sie wirksam wären (z.B. gegen Krebs).

        Das haut irgendwie nicht hin.

  • Es ist doch grade Sinn und Zweck von Patenten dafür zu sorgen, dass nicht jeder Mensch vom "Patentgut" profitieren kann sondern nur der Patentinhaber.

    Das sieht man sehr eindrucksvoll an dem schier unermesslichen Reichtum den die IT-Firmen angehäuft haben.



    Und dieser Reichtum entsteht ja nicht aus sich selbst sondern speist sich aus den Wirtschaftskreisläufen dieser Welt und entzieht den Volkswirtschaften erheblich Kapital.

  • Wenn genau dies jetzt richtig und überlebensnotwendig ist, dann wird es ja sicherlich in Zukunft keineswegs utopisch sein, dass die Staaten für die Entwicklung unentbehrlicher Medikamente verantwortlich ist.

    Ich frage mich, was einem börsennotiertem Unternehmen als Anreiz bleibt, wenn Forschungskosten nicht auf den Preis bei Medikamenten umgelegt werden darf.

  • Die Entwicklung von Medikamenten ist ziemlich teuer und wird im Allgemeinen durch private Investitionen finanziert. Ohne Patente würden diese sich nicht lohnen,ohne Patente gäbe es viele Medikamente gar nicht.

    • @Ruediger:

      Naja, für das Medikament für eine Behandlung von Hepatits C schlappe 75.000 Euro zu verlangen, was wir Beitragszahler zahlen, lässt schon Zweifel aufkommen ob die Pharmaindustie irgendeine gesellschaftliche Verantwortung übernimmt.

  • Das ist im Wesentlichen eine Forderung nach einer voll verstaatlichten Pharmaindustrie, denn ohne Investitionsschutz werden keine neuen Medikamente mehr privat entwickelt und produziert werden. Ob das langfristig den Menschen und ihrer Wohlfahrt dient? Staatliche Industrien sind in der Fantasie oft Heilsbringer, in der Realität dagegen fast immer das Gegenteil. Bei uns Deutschen genügt dafür ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Und auch Banken in Länder- und Staatsbesitz im Westen der Republik zeichnen sich weder durch Effektivität aus, noch durch soziales Verhalten, sondern im Gegenteil, das sind oft Problemzonen von Korruption, politischem Filz und Verschwendung von Steuergeld.

    Wenn man diesen Sektor umbaut, muss man massiv aufpassen das „gutes Wollen“ nicht zum üblichen „schlecht machen“ in der Praxis wird. Was in der Regel funktioniert, ist das Schaffen von win-win Situationen wo es geht, was fast immer scheitert ist der Versuch Moral als Steuerinstrument gegen die Interessen der Unternehmen zu etablieren. Es gibt einfach immer zu viele Wege darum herum, vor allem wenn die Änderungen nicht global, bzw. nur national sind.

    • @hup:

      Die Historie zeigt, dass staatliche Pharmaforschung schlichtweg nicht funktioniert. Die Gesamtzahl der seit Ende WK2 in der SU und allen Nachfolgestaaten entwickelten Arzneistoffe mit internationaler Zulassung: Um die 20. Die gleiche Zahl für die US-Pharmaindustrie: Über 2000. Es gibt kaum einen anderen Forschungszweig, auf dem der ehemalige Ostblock im internationalen Vergleich schlimmer versagt hat.

  • Gastkommentar?



    Das ist eher eine nichtssagende Pressemitteilung.



    Es fehlen die Argumente, warum das gut ist und wie es funktionieren soll. Wie soll eine gleiche Verteilung funktionieren? Woher soll der öffentliche Druck kommen? Und vor allem, wer entscheidet, was unentbehrliche Medikamente sind?

    • @fly:

      Ich hatte mich auch erst darauf gefreut, daß vielleicht jemand einen Vorschlag macht, wie der Komplex Forschungskosten und -risiken gegen öffentliches Interesse aufzulösen wäre, aber das hier ist ja wirklich zu dünn.



      "Entkopplung von Forschungskosten und Preis" ... ja, und wie?