Mario Voigt über Wahl in Thüringen: „Warum diese Koalitionspuzzles?“
Der CDU-Mann Mario Voigt will Ministerpräsident von Thüringen werden. Ohne das BSW geht das kaum. Ein Gespräch über Wagenknecht und „Höcke ist doof“.
taz: Herr Voigt, macht Sahra Wagenknecht auf die letzten Meter Ihren Plan zunichte, in Thüringen Ministerpräsident zu werden?
Mario Voigt: Nein, warum? Sahra Wagenknecht kandidiert doch gar nicht.
47, Politikwissenschaftler, ist Landes- und Fraktionschef der CDU Thüringen und sitzt im Präsidium der Bundespartei. Nach der Wahl will er Ministerpräsident werden.
taz: Wagenknecht formuliert aber Forderungen des BSW für Koalitionen auf Landesebene, die nicht zu den Positionen der CDU im Bund passen: Erst sagte sie mit Blick auf die Ukraine, dass das BSW nur mit Parteien koalieren kann, die bundespolitisch klar Position für Diplomatie beziehen. Jetzt kommt eine Ablehnung der Stationierung von neuen US-Mittelstreckenwaffen hinzu. Da kann die CDU doch nicht einschwenken, oder?
Voigt: Die Fragen der Weltpolitik entscheiden sich nicht im Thüringer Landtag. Die Position der CDU ist in diesen Fragen klar, das wird auch Frau Wagenknecht nicht mit ihren ständigen Kommentaren von der Seitenlinie ändern. Ich selbst sage seit zwei Jahren, dass diplomatische Initiativen deutlich hörbarer sein müssen. Zur Wahrheit aber gehört: Die Ukraine muss sich verteidigen können, und wer einen langfristigen Frieden will, darf nicht zulassen, dass Putin gewinnt. Wer glaubt, nun aus der Ferne Bedingungen stellen zu können, dem geht es nicht um Thüringen, dem geht es nur um sich und das eigene Ego.
taz: Haben Sie Katja Wolf, die Spitzenkandidatin des BSW in Thüringen, schon mal gefragt, ob sie diese Vorgaben von Sahra Wagenknecht teilt – oder sich daran gebunden fühlt?
Voigt: Das muss sie selbst entscheiden.
taz: Unterscheiden Sie zwischen Wagenknecht und Wolf?
Voigt: Die sind sich ja nicht mal in ihren inhaltlichen Positionen einig. Katja Wolf bewegt sich vorsichtiger und ist eher auf Thüringen konzentriert.
taz: Um eine Koalition bilden zu können, brauchen Sie den Umfragen zufolge mindestens entweder die AfD, die mit etwa 30 Prozent klar vor Ihrer CDU mit rund 21 Prozent liegt; oder das BSW, das Ihnen auf den Fersen ist; oder die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow. Laut einem Beschluss des CDU-Bundesparteitags dürfen Sie weder mit der AfD noch mit der Linken zusammenarbeiten, also bleibt nur das BSW. Ist das Ihre Koalitionsoption?
Voigt: Wir wissen noch nicht einmal, wie viele oder welche Parteien im Landtag vertreten sein werden. Klar ist: Mit der AfD und der Linken wird es keine Zusammenarbeit geben. Wir kämpfen dafür, dass die CDU stärkste Kraft wird und die neue Regierung maßgeblich inhaltlich bestimmen kann.
Am 1. September wird in Thüringen gewählt. Für die amtierende rot-rot-grüne Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) wird es kaum mehr reichen. In Umfragen liegt die AfD mit rund 30 Prozent vor der CDU (21 Prozent) und dem BSW (19 Prozent). Es folgen Linke (15), SPD (7) und Grüne (3).
taz: Wenn Sie nicht sagen, ob Sie bereit sind, mit dem BSW zu koalieren, wissen die Bürger nicht, was sie bekommen, wenn sie die CDU wählen.
Voigt: Ich sage allen Wählern, sie sollen mit beiden Stimmen CDU wählen. Beim BSW wissen sie gar nicht, was sie danach bekommen. Die sprechen auch darüber, Links-Grün weiter zu unterstützen.
taz: Sie schließen eine Zusammenarbeit also nicht aus.
Voigt: Warum sind diese Koalitionspuzzles immer wichtiger als die Bedürfnisse und Themen der Thüringer? Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die genervt sind, dass die tatsächlichen Probleme ignoriert und stattdessen nur Koalitionsoptionen diskutiert werden.
taz: Was passiert, wenn das BSW hinter der AfD auf Platz zwei landet? Könnten Sie sich vorstellen, Katja Wolf zur Ministerpräsidentin zu wählen, um Höcke zu verhindern?
Voigt: In einer aktuellen Umfrage wünschen sich fast 40 Prozent der Thüringer, dass die CDU die Regierung führt. Das ist erst mal ein Vertrauensbeweis. Und viele Thüringer trauen mir zu, das Land zu führen – gerade im Verhältnis zu Björn Höcke.
taz: Gut, aber bei den 40 Prozent geht es um die CDU als Partei. Im direkten Vergleich zwischen Ministerpräsident Bodo Ramelow und Ihnen vertrauen mehr auf Ramelow.
Voigt: 47 zu 30 Prozent für den Amtsinhaber, das ist kein gutes Ergebnis für ihn. Ich bin zufrieden, dass wir demnach in allen wesentlichen Themenfeldern, die die Thüringer bewegen – Bildung, Wirtschaft, selbst Asylfragen –, eine hohe Kompetenzzuschreibung haben. Wenn es um Thüringer Themen geht, sagen die Leute: Die CDU soll es machen.
taz: Warum verharrt die CDU dann bei um die 20 Prozent?
Voigt: Bei den einzigen realen Wahlen, die in Thüringen stattgefunden haben, nämlich den Kommunalwahlen, ist die CDU stärkste Kraft geworden: Gut 27 Prozent im Durchschnitt, die AfD lag nur bei knapp 26.
taz: Die Europawahl war auch real – und da sah es für die CDU in Thüringen eher düster aus.
Voigt: Wir haben zusammen so viele Stimmen geholt wie alle Ampelparteien plus die Linke. Wenn Sie das als düster bezeichnen wollen … Wir waren nach der AfD stärkste Kraft. Bei der Kommunalwahl lagen wir vorn. CDU oder AfD: Das ist das Duell, das es im Land gibt.
taz: Könnte es in Ihrer Fraktion zur Diskussion kommen, ob es mit der AfD nicht doch besser wäre als mit dem BSW?
Voigt: Eine Koalition mit der AfD kann ich ausschließen.
taz: Aber Sie haben Kandidaten wie Martina Schweinsburg und Michael Brychcy, die eine Zusammenarbeit nicht ausschließen – und die Sie sogar in Ihr Expertenteam berufen haben.
Voigt: Wir haben eine Koalition mit der AfD auf Landesebene ausgeschlossen, und das gilt.
taz: Warum muss in Ihrem Wahlspot am Ende ein kleiner Junge sagen: „Höcke ist doof“? Trauen Sie sich das selber nicht?
Voigt: Sagen wir doch. Ich sage, dass Höcke eine Gefahr für dieses Land ist. Ein Chancentod. Jemand, der Arbeitsplätze in Thüringen kosten würde, der vor allen Dingen für den inneren Zusammenhalt meiner Heimat gefährlich ist und für den Abstieg Thüringens steht.
taz: Nehmen wir mal an, dass nach der Wahl die AfD als stärkste Kraft eine schnelle Wahl des Ministerpräsidenten forciert. Kann sich dann das Drama von 2020 wiederholen, als Thomas Kemmerich von der FDP mit den Stimmen von AfD, FDP und CDU gewählt wurde?
Voigt: Nein, wir haben gelernt.
taz: Sie treten nur an, wenn Sie eine sichere Mehrheit ohne AfD haben?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Voigt: Ich stelle mich nur zur Wahl, wenn ich ausschließen kann, dass Thüringen und seine demokratischen Institutionen beschädigt werden.
taz: Rechtsextreme Gewalt ist eine Gefahr für die Demokratie. Opferberatungsstellen wie Ezra oder Mobit und Demokratieprojekte bekommen Geld vom Land. Ist diese Finanzierung auch mit der CDU in der Regierung gesichert?
Voigt: Unser Ziel ist, die Demokratie zu stärken. Logischerweise sind auch die Unterstützungsangebote für Demokratie im Landeshaushalt ein Beitrag dazu.
taz: Sie plakatieren „Arbeit statt Bürgergeld“. Die CDU im Bund fordert, sogenannten Totalverweigerern das Bürgergeld zu streichen. Diese sind eine sehr kleine Gruppe, Sie aber zeichnen das Bild vom faulen Arbeitslosen. Was wollen Sie so erreichen?
Voigt: Unser Lebensmodell in Deutschland bedeutet Arbeit. Das gilt für Deutsche wie auch für diejenigen, die zu uns kommen. Ich mache Politik für die 800.000 Thüringerinnen und Thüringer, die jeden Tag auf Arbeit gehen, sich in großer Anzahl als Ehrenamtliche engagieren und sich fragen: Ist das hier noch eine Heimat für Fleißige? Und deswegen glaube ich, dass das Bürgergeld falsch ist.
taz: Michael Kretschmer fordert, die Beweislast beim Bürgergeld umzudrehen. Bevor man Bürgergeld bekomme, müsse man nachweisen, dass man nicht in der Lage sei zu arbeiten. Kritiker sagen, das sei Populismus. Sind Sie bei Kretschmer?
Voigt: Ja, das halte ich für einen plausiblen Ansatz. Wir hören immer häufiger von Unternehmen: Es gab einen Arbeitnehmer, aber der hat gerechnet, und es war für ihn attraktiver, zu Hause zu bleiben.
taz: Müssten dann nicht vor allem die Löhne steigen?
Voigt: Das fällt unter die Tarifautonomie, dafür ist nicht die Politik zuständig, sondern die Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Das große Misstrauen der Thüringer Landesregierung gegenüber der mittelständischen Wirtschaft führt zu einer massiven Belastung.
taz: Sie erhöhen lieber das Misstrauen gegenüber denen, die Bürgergeld beziehen?
Voigt: Es geht einfach darum: Wer arbeiten kann, sollte es auch tatsächlich tun. Das ist eine Einladung in eine Arbeitsgesellschaft.
taz: Sie machen auch Migration zum Thema. Warum?
Voigt: Weil es ein Thema ist, das den Leuten wichtig ist. Und weil ich glaube, dass es ein objektives Problem ist, was wir angehen und lösen müssen. Die CDU ist die einzige Partei in Thüringen, die bei diesem Thema den Worten hat Taten folgen lassen. Unser Landrat im Saale-Orla-Kreis war zum Beispiel der erste, der gemeinnützige Arbeit in Gemeinschaftsunterkünften durchgesetzt hat. Hundert Leute waren in der Maßnahme, sieben haben sie abgelehnt. Denen wurden die Sozialleistungen gekürzt. Aber 20 davon sind nun in Vollzeitarbeitsplätzen. Wir lösen Probleme, während andere nur reden.
taz: Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)sagt, dass Migration – anders als oft behauptet – nicht den Erfolg von AfD und BSW in den ostdeutschen Ländern begründet. Warum setzen Sie das Thema trotzdem – obwohl es wahrscheinlich bei der AfD einzahlt?
Voigt: Wir beschäftigen uns mit den Themen, die tatsächlich Themen der Leute sind.
taz: Bei Wahlkampfveranstaltungen der CDU thematisieren die Bürger aber weniger die Migration als den Krieg in der Ukraine. Dieses Thema versuchen Sie eher runterzukochen.
Voigt: Nein, ich weiche keinem Thema aus. Aber über Friedensverhandlungen wird nicht im Thüringer Landtag entschieden.
taz: Herr Voigt, sind Sie Transatlantiker?
Voigt: Ja, weil ich daran glaube, dass wir mit der Nato und mit der Europäischen Union ein Projekt für Frieden und für Freiheit haben.
taz: Schadet Ihnen das im Wahlkampf? In Ostdeutschland ist Antiamerikanismus verbreitet.
Voigt: Was einem schaden würde, ist, ein unauthentischer Politiker zu sein. Man muss zu seinen Überzeugungen stehen. Und das mache ich jeden Tag.
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