„Männerwelten“-Video von Joko & Klaas: Nur ein Schlaglicht
Mehrere Frauen thematisieren 15 Minuten lang sexualisierte Gewalt. Eine starke Aktion, bei der jedoch wichtige Perspektiven fehlen.
„Ich hatte einen Pyjama an, als ich 8, 9, 10 Jahre alt war. Auch mit 17 hatte ich einen Pyjama an.“ „Es passierte dreimal durch drei verschiedene Menschen und jedes einzelne Mal trug ich T-Shirt und Jeans.“ Es ist eine der häufigsten Fragen, die Opfer von Vergewaltigung gestellt wird: Was hattest du an? Die genannten Antworten stammen aus der digitalen Ausstellung „Männerwelten“, in der Frauen 15 Minuten lang sexualisierte Gewalt und Belästigung thematisierten. Ausgestrahlt am Mittwochabend zur Primetime auf ProSieben.
Hintergrund der Sendung ist die Show „Joko und Klaas gegen ProSieben“ vom Vortag. Darin kämpfen die beiden Comedians gegen ihren Sender. Wenn sie gewinnen, bekommen sie 15 Minuten Sendezeit, die sie nach ihren Wünschen gestalten können. Eine PR-Aktion klar, doch es ist nicht das erste Mal, dass sie diese wichtigen Themen widmen. Im Mai 2019 ließen sie „Sea-Watch“-Kapitänin Pia Klemp und andere Aktivist:innen zu Seenotrettung, Rechtsextremismus und Obdachlosigkeit zu Wort kommen.
Empfohlener externer Inhalt
„Männerwelten“
Dass Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf sich nun ausgerechnet für das Thema Belästigung von Frauen entschieden haben, mag überraschen. Vor acht Jahren fasste Joko als Teil eines Spiels einer Hostess auf der IFA-Messe ungefragt an die Brust und an den Po. Klaas kommentierte feixend: „Die fährt jetzt gleich nach Hause und dann wird die erst einmal schön heulen unter der Dusche.“ Dass diese Aktion kein lustiger Scherz, sondern sexuelle Belästigung ist, hatten die beiden wohl damals nicht auf dem Schirm.
In „Männerwelten“ reflektieren die beiden nun nicht ihre eigenen Verhaltensweisen – sie treten gar nicht auf. Die Autorin Sophie Passmann ist es, die durch die Ausstellung führt und die Zuschauer:innen mit Fakten versorgt: „Fast die Hälfte aller Frauen in Deutschland wurde schon einmal sexuell belästigt.“ Oder: „Unter den Videos von weiblichen Influencerinnen sind im Schnitt 16 von 100 Kommentaren sexistisch.“
Dickpics und Vergewaltigungsfantasien
Neben dem Ausstellungsraum mit den Outfits von Vergewaltigungsopfern zeigt Moderatorin Palina Rojinski Dickpics, die sie ungefragt geschickt bekommt. Influencerin Stefanie Giesinger und die Journalistin Visa Vie lesen Online-Kommentare vor: Beleidigungen, Vergewaltigungs- und Mordfantasien. Collien Ulmen-Fernandes und Katrin Bauerfeind lesen in verteilten Rollen Chatverläufe vor. Nicht berühmte Frauen erzählen von ihren Erfahrungen mit Belästigung und sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum.
Auch nach über 100 Jahren Feminismus ist es wichtig, sexualisierte Gewalt öffentlich zu problematisieren. #MeToo hat die Debatte seit 2017 wieder auf den Tisch gebracht, doch durch die aktuelle Pandemie scheint das Thema in Vergessenheit zu geraten, dabei bleiben Belästigung und Gewalt Alltag von vielen Frauen. Dass Joko und Klaas ihre Reichweite dafür nutzen, ist richtig. Noch viel wichtiger ist es, den Mut der beteiligten Frauen zu erwähnen, die ihre Erfahrungen mit der Öffentlichkeit teilen. Und die ist groß: 2,04 Millionen Menschen sahen die Sendung live im Fernsehen. Am Donnerstagnachmittag gibt es schon über 1,2 Millionen Aufrufe bei YouTube.
Auch die Resonanz in sozialen Medien ist groß: Viele Männer geben sich überrascht und schockiert – Frauen erzählen von ihren Erfahrungen. Doch nicht nur zustimmendes Feedback wird geteilt: Einige kritisieren die Kooperation mit Terre des Femmes, einer Frauenrechtsorganisation, die in den vergangenen Jahren wiederholt mit trans- und islamfeindlichen Inhalten aufgefallen ist. Und auch dass (fast) nur Frauen der Mehrheitsgesellschaft im Video gezeigt werden, wird von Feminist:innen problematisiert.
Es ist klar, dass das Gezeigte nur einen Ausschnitt zeigt. Doch die fehlende Perspektive von LGBTIQ Menschen, Women of Color oder Frauen mit Behinderung ist keine Kleinigkeit. Frauen mit Behinderung sind zwei- bis dreimal so häufig von sexualisierter Gewalt betroffen wie andere. Women of Color werden deutlich häufiger Opfer digitaler Gewalt als weiße Frauen. Diese Frauen hätten im Video zu Wort kommen müssen.
Die 15 Minuten „Männerwelten“ sind im Idealfall ein Anstoß für eine erneute Debatte in Deutschland. Die sollte sich vor allem darauf konzentrieren, wie ein Umdenken in der Gesellschaft erfolgen kann, welche Hilfestellungen dafür nötig sind und wer in welcher Form Verantwortung übernehmen muss. Und diese Debatte muss intersektional geführt werden. Denn im Kampf gegen Machtmissbrauch, Unterdrückung und Gewalt darf es kein „ein Problem nach dem anderen“, sondern nur ein miteinander verschränkt geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Koalitionsvertrag in Brandenburg steht
Denkbar knappste Mehrheit
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“