Macron oder Le Pen?: Altlinke Schubladen
Slavoj Žižek meint, eine Wahl zwischen Ultrarechts und Ultrazentrum sei keine Wahl. Das klingt nach der alten Rede vom „Nebenwiderspruch“.
Die Politik ist zum Stillstand gekommen. Egal wen wir wählen, hinterher ist die Welt in jedem Fall schlechter als vorher. Drum lasst uns vorübergehend auf politische Partizipation verzichten und in Ruhe einen Plan schmieden, der alle unsere Probleme löst.
So in etwa ließe sich ein Essay zusammenfassen, das der linke Philosoph Slavoj Žižek für den britischen Independent geschrieben hat. Darin argumentiert er: Eine Wahl zwischen radikalem Nationalismus und radikalem Neoliberalismus sei keine Wahl. Da es keine realistische linke Alternative gebe, appelliert Žižek: nicht wählen gehen, stattdessen an einer linken politischen Vision arbeiten.
Der linksintellektuelle Popstar hatte schon zum US-Wahlkampf mit der These provoziert, Clintons Kapitalismus sei schlimmer als Trumps Chauvinismus. Für Žižek haben sich die Linken einlullen lassen von einem Wohlfühl-Liberalismus, der eigentlich ein neoliberales Monster ist.
„Unsere Medien behaupten, die StichwahlkandidatInnen stünden für zwei radikal gegensätzliche Visionen“, schreibt Žižek. In Wirklichkeit aber hätten wir die Wahl – und zwar nicht nur in Frankreich – zwischen der Rechten und einer apolitischen Mitte, die sich vor allem durch „allumfassende Toleranz“ auszeichne, letztlich aber für genau jene Markt- und Globalisierungsverliebtheit stehe, die uns die Rechten überhaupt erst eingebrockt habe.
Es ist ein Teufelskreis, in den sich Žižek da argumentiert. Und er hat nicht Unrecht: Linksliberale sehen sich gezwungen, zusammen mit Rechtsliberalen die Trommel zu rühren für Macron, für Clinton, für Rutte, für Merkels Willkommenskultur, weil die Alternative bedrohlich ist. Und was haben sie zu gewinnen? Noch mehr freier Markt, noch mehr „Abgehängte“. Aber ist die „gegensätzliche Vision“ wirklich nur Illusion? Das Problem mit Žižeks Analyse ist, dass er der alten linken Vorstellung von „Haupt-“ und „Nebenwiderspruch“ folgt: Fragen nach Antidiskriminierung und Minderheitenrechten lenkten ab vom eigentlichen, dem ökonomischen Projekt.
Der Kampf gegen Rassismus und Sexismus ist politisch
„Es entsteht eine Partei, die für globalen Kapitalismus steht, gewöhnlich mit relativer Toleranz in Sachen Abtreibung, Homosexuellenrechte, religiöse und ethnische Minderheiten.“ Diese „relative Toleranz“ ist für Žižek apolitisch, weil sie nichts mit dem Klassenkampf zu tun hat.
Der Kampf gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie ist aber längst eine politische Frontlinie geworden, die ebenso wichtig und ebenso links ist wie der Kampf gegen soziale Ungleichheit. Vielen Altlinken fällt immer noch schwer, das zu akzeptieren.
Während Intellektuelle – und solche die es werden wollen – der Wahl fernbleiben, um zu theoretisieren, sind Menschen vom Ausgang dieser Wahlen unmittelbar betroffen. Die angesprochenen „ethnischen Minderheiten“ leiden schon jetzt unter der rassistisch-nationalistischen Stimmung unter Trump. Frauen und queere Menschen leiden in Polen unter der nationalkonservativen Regierung.
Marine Le Pen wiederum steht nicht nur für Kontrolle der Außengrenzen, sondern auch für Law-and-Order-Politik in den Banlieues und eine generelle rassistische Misstrauenskultur. Das zu verhindern ist ebenso ein linkes Projekt wie der Antikapitalismus. Das hindert natürlich niemanden daran, beim Wählen seine Zähne zu Sand zu knirschen und hinterher an einer politischen Vision für die Linke zu arbeiten. Denn die wird dringend gebraucht. Aber bitte ohne die überholten Schubladen „Identitätspolitik“ und „Umverteilungspolitik“, sonst kann man’s auch lassen.
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