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Lügde-UntersuchungsausschussSchweigen macht mitschuldig

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Jugendamtsmitarbeiter ignorierten wohl Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung. Jetzt verweigern sie die Aussage.

Warnsignale auf Kindesmissbrauch wurden ignoriert, übersehen, sie waren egal Foto: Guido Kirchner/dpa

W er den Lügde-Prozess wegen massenhaften sexuellen Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz in Nordrhein-Westfalen verfolgt, mit Anwält*innen gesprochen und die Aussagen von Polizist*innen im Gerichtssaal vernommen hat, der fragte sich am Ende immer wieder: Wie konnte das passieren? Wie konnten zwei Männer so lange und unter den Augen der Öffentlichkeit so viele Kinder in ihre Gewalt bringen und ihnen sexuelle, körperliche und psychische Gewalt antun?

Zwar besitzen viele Täter die Gabe, ihre Taten gut zu verschleiern und zu verstecken. Insbesondere Menschen, die Gewalt an Kindern verüben, präsentieren sich im Alltag nicht selten als verständnisvoll, empathisch, vertrauenerweckend. Doch irgendwann verrät sich jedeR einmal. Das hat auch Andreas V., einer der beiden Lügde-Haupttäter, getan. Sogar mehrfach. Nur haben die Behörden nicht ernsthaft reagiert. Wären sie schon vor 20 Jahren dem nachgegangen, was ihnen Eltern erzählt haben, wäre es nicht zu den weiteren Tagen gekommen.

Auch Mitarbeiter*innen des Jugendamts Hameln-Pyrmont nahmen Warnungen bezüglich einer Kindeswohlgefährdung wohl nicht ernst – Kolleg*innen des Jugendamts Lippe hatten zuvor nach einem „Hausbesuch“ von Andreas V. als Pflegevater dringend abgeraten. Das Behördenversagen füllt dicke Ordner: Akten wurden manipuliert, Beweismaterial ist verschwunden, Aussagen wurden nicht weitergegeben.

All das muss dringend aufgeklärt werden, die „Causa Lügde“ ist mit der Verurteilung der Täter noch lange nicht beendet. Ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag versucht nun, politisch zu klären, wie das „System Lügde“ funktionieren konnte. Doch Zeuginnen des Jugendamts Hameln-Pyrmont wollen da nicht mitmachen und ihre Aussage vor dem Ausschuss verweigern – vermutlich, um sich selbst und andere zu schützen. Juristisch ist das ihr gutes Recht, moralisch hingegen höchst problematisch. Denn Schweigen bedeutet in Fällen wie Lügde ein System zu schützen, das Missbrauch fördert, zumindest aber zulässt.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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8 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ich habe etliche Jahre in der SPFH (Sozialpädagogischen Familienhilfe) für einen freien Träger gearbeitet. Und dabei in tiefe Abgründe geschaut. Die Arbeit erfolgte in enger Kooperation mit den Kollegen der Jugendämter.

    Aus der Halbdistanz habe ich mitbekommen, wie deren Belastungen und inneren Nöte aussahen. Es ist eine Arbeit, die einen zerreißen kann. Manch einer blieb mit Suchtproblemen und Krankheiten auf der Strecke.

    Soviel der - nötigen - Vorrede. Ich kann die Vorgänge in Lüdge aus der Ferne nicht beurteilen. Da es offenbar einen Untersuchungsausschuss gibt, ist dies der Ort, an dem die nötige Aufklärung stattfindet. Die erfolgt nach rechtsstaatlichen Prinzipien.

    Und zu denen gehört nun mal, wie @RERO bereits schrieb, dass sich niemand selbst belasten muss - das gilt auch für Mitarbeiter von Jugendämtern.

    Oder sehe ich das falsch, Großmeister der Juristerei???

  • Um sich und andere zu schützen ?



    Soso - um sich selbst zu schützen ist eine Aussageverweigerung legitim.



    Allerdings muss man dann auch über U-Haft für die Zeugen nachdenken. Denn nur, wer auch tatsächlich eine Tat begangen hat darf die Aussage verweigern. (Ich gebe zu: darüber muss man kurz nachdenken - aber es ist so) und da besteht in diesem Fall ganz sicher Verdunkelungsgefahr.



    Aussageverweigerung um andere zu schützen ist eine Straftat.



    Ebenso darf man die Aussage in einem Strafverfahren nicht verweigern um sich Zivil- oder arbeitsrechtlichen Ansprüchen zu entziehen.

    • @Bolzkopf:

      Ich würde die Formulierung von Frau Schmollack nicht auf die Goldwaage legen.

      Bei vielen Taz-AutorInnen ist Jura nicht ihre starke Seite.

      Es ist naheliegend, dass die JugendamtsmitarbeiterInnen sich selbst belasten würden.

  • "Juristisch ist das ihr gutes Recht, moralisch hingegen höchst problematisch". Wieso ist es rechtens, Hilfe zu verweigern, wenn Kinder missbraucht wurden? Es ist doch zumindest unterlassene Hilfeleistung wenn nicht sogar Beihilfe.

    • @joaquim:

      Um das festzustellen, müssten aber wohl Aussagen gemacht werden. Ohne Aussage sind das nur Mutmaßungen.



      Die Staatsanwaltschaft sollte jedem der reden will Straffreiheit zusagen, wenn es der Aufklärung dienlich ist.

    • @joaquim:

      Bezieht sich auf die Aussageverweigerung.

    • @joaquim:

      Jede_r darf eine Zeugenaussage verweigern, wenn sie/er sich damit selbst belastet.

      Daraus eine Beihilfe zu basteln, geht nicht.

      So läuft nun mal der Rechtsstaat.

  • Das kommt davon, wenn Recht und Moral aus politischen Gründen (Mehrheitsfindung) mehr oder weniger weit auseinander gehen.

    Als normal gilt es, wenn Menschen aufgrund von Abwägungs-Prozessen entscheiden und dabei das jeweils kleinere Übel wählen. Wobei das kleinere Übel ganz unterschiedlich definiert wird.

    Egoisten entscheiden so, wie sie es mit Blick auf den vermeintlich ganz privaten Nach- bzw. Vorteil für richtig halten. Egoisten halten sich deswegen eher an geltende Gesetze, denn die bestrafen Individuen.

    Altruisten beziehen auch all die Nach- bzw. Vorteile in ihre Entscheidung ein, die sie für diejenige Menschengruppe zu erkennen meinen, der sie selbst angehören. Altruisten haben es mehr mit der (gruppenspezifischen) Moral, denn sie sind auf das Wohlwollen der Gruppe angewiesen.

    Gesetz und Moral Wechselwirkung miteinander. Und zwar auf dem Umweg über die genannten Gruppen. Wobei nach Jahrzehnten der modernen Rechtsprechung und des neoliberalen Wirtschaftens die Zahl der Egoisten etwas größer zu sein scheint als die der Altruisten.

    Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Untersuchungsausschuss etwas heraus kommt, ist also derzeit deutlich eingeschränkt. Wer daran etwas ändern wollte, der müsste schon die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angehen.

    Da allerdings U-Ausschuss-Mitglieder Volksvertreter sind und die Zusammensetzung der Ausschüsse demokratisch bedingt den Mehrheitsverhältnissen in der Gesamt-Wählerschaft entspricht, geht die Wahrscheinlichkeit, dass „die Politiker“ demnächst „Nägel mit Köpfen machen“, gegen Null.

    Moral? Nein, danke. Hauptsache, die nächste Wiederwahl ist halbwegs sicher. Und wenn der Mehrheit aller Wähler Kinder bis auf die eigenen am A... vorbei gehen und jeder seine Kinder lieber selbst beschützt, als sich auf irgendwelche Ämter zu verlassen, ist Scham kein Korrektiv. Dann hält man sich an geltende Gesetze. Und an die Wünsche seines Chefs. Der sehr wahrscheinlich Egoist ist.

    Mach was, taz.