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Lokale DesinformationEin Kampf auch um die Köpfe

In Berlin gab es mehrere Falschmeldungen mit Bezug zum Nahostkonflikt. Sie verbreiten sich so leicht, weil sie auf entsprechende Vorurteile treffen.

Wenn es um Desinformation geht, haben auch die Plattformen große Verantwortung Foto: Karl-Josef Hildenbrand / dpa
Interview von Uta Schleiermacher

Josef Holnburger vom Cemas – Center für Monitoring, Analyse und Strategie beobachtet Desinformation und Falschmeldungen und wie sie sich verbreiten. Auch aktuell stellen sie eine Gefahr dar, sagt er.

taz: Herr Holnburger, wie entstehen Falschmeldungen?

Josef Holnburger: Meistens bringen Personen Falschmeldungen bewusst in Umlauf, und sie wollen damit eine gewisse Agenda bedienen, etwa antisemitische Ressentiments bestärken. Wir stellen auch fest, dass es oft dieselben Personen sind, die Falschmeldungen in Umlauf bringen.

Wie verbreiten sich Falschmeldungen?

Um das zu verstehen, hilft das Konzept der Blue Lies: Das sind Lügen, die man ausspricht, weil man denkt, dass ein vermeintlich guter Zweck eine Lüge rechtfertigen würde. Deshalb fühlen sich die Urheber auch oft nicht ertappt, wenn man sie entlarvt. Sie finden es gerechtfertigt, weil die Falschmeldung aus ihrer Sicht „an sich“ schon stimmt.

Wie kann man sich selbst davor schützen, Desinformation zu verbreiten?

Im Interview: Josef Holburger

Josef Holburger ist zusammen mit Pia Lamberty Geschäftsführer bei CeMAS – Center für Monitoring, Analyse und Strategieund arbeitet als Political Data Scientist an der Schnittstelle zwischen den Politik- und Computerwissenschaften.

Da hilft es, die eigenen vorhandenen Stereotype kritisch zu hinterfragen. Sodass man nicht darauf hereinfällt, weil da eine Geschichte eigene Vermutungen bestätigt. Zurzeit sehen wir extrem viele KI-generierte Bilder von Kindern und Babys, die bedienen das antisemitische Stereotyp von Juden als Kindermördern.

Verschärft das den Diskurs?

Wir sehen: Das bleibt nicht im Netz. Falschmeldungen moralisieren teils sehr stark, besonders wenn es um Kinder geht. Und das bedeutet, dass dann auch mehr zugelassen werden kann im Sprechen dagegen. Und das macht etwas mit Menschen: Mit Corona hat sich in Ostdeutschland die Impfbereitschaft deutlich verringert, sie war vorher immer deutlich höher als in Westdeutschland. Jahrzehntelange Einstellungen werden innerhalb von drei Jahren gedreht.

Warum verfangen Falschmeldungen im Lokalen, wie nun die über eine entlassene Schulleiterin oder einen sogenanten Gewissenstest (siehe unten)? Ist es da nicht sogar leichter, sie zu überprüfen?

Bei lokalen Desinformation spielt die Angst um Freunde und Familie stark mit hinein, durch die emotionale Verbundenheit ist der Anreiz, etwas zu tun, noch größer. Das ist also noch aufgeladener, je drastischer Falschmeldungen sind, umso mehr steigt der Handlungsdrang.

Was braucht es, um Falschmeldungen einzufangen und zu widerlegen?

Es hilft, wenn Menschen über Stereotype hinwegsehen, und wenn man die Emotionen erstmal rausnimmt. Es hilft auch, wenn Personen aus dem nahen Umfeld widersprechen. Man kann Faktencheckern folgen und Meldungen damit überprüfen. Aber auch die Plattformen selbst haben eine Verantwortung: Bei X (vormals Twitter) verbreiten sich Falschmeldungen derzeit besonders schnell. Eigentlich müssten alle Plattformen ihre Contentmoderation aufstocken. Und es ist wichtig, dass Polizei und Staatsanwaltschaft vor allem bei lokalen Desinformationen schnell reagieren und dementieren.

Die folgenden Falschmeldungen über Vorkommnisse in Berlin waren zuletzt im Umlauf – und obwohl sie relativ schnell von offizieller Seite dementiert wurden, kursierten sie weiter.

Die Schulleiterin An der Kreuzberger Refik-Veseli-Schule sei angeblich die Schulleiterin entlassen worden, weil sie gesagt haben soll, sie könne das Verbot von Palästinensertüchern an Schulen nicht mittragen. Ein Artikel in der Jungen Welt vom 19. Oktober, überschrieben mit „Striktes Tuchverbot“, hatte diesen Zusammenhang suggeriert. Im Text selbst klang es vage und raunend, die Autorin hatte auf eine E-Mail an die Eltern verwiesen, aus der sie aber nicht direkt zitierte. Die Bildungsverwaltung dementierte dies direkt: „Im Artikel über die Refik-Veseli-Schule sind wesentliche Falschmeldungen enthalten, auf die die Redaktion der Jungen Welt bereits hingewiesen wurde“, teilte die Senatsverwaltung für Bildung auf Anfrage der taz mit. Die Schulleiterin selbst habe bestätigt, dass die Aussagen, die sie laut Junge Welt bezüglich der angeblichen Verbote von Symbolen getätigt haben soll, frei erfunden seien. „Es hat auch keinen Kontakt zwischen der Schulleiterin und der Jungen Welt gegeben“, schrieb die Sprecherin. Abgesehen davon fordert der Senat gar kein Verbot von Palästinensertüchern an Schulen, sondern weist lediglich darauf hin, unter welchen Bedingungen ein solches Verbot möglich wäre. Die Schule selbst hatte – unabhängig davon – auf ihrer Webseite ein Statement zu ihrem Umgang mit dem Nahost-Konflikt veröffentlicht. Die Schule wolle Austausch ermöglichen und auch „Ventile für Emotionen und Sorgen schaffen“. Zum „Prozess der Begleitung“ gehöre auch, „auf diejenigen Symbole zu verzichten, die als antisemitisch gewertet werden müssen“, heißt es dort. Der Text der Jungen Welt ist inzwischen online nicht mehr abrufbar.

Der Fragebogen Auch die Galilei-Grundschule in Kreuzberg wehrte sich gegen eine kursierende Falschmeldung. An der Schule seien angeblich über einen Fragebogen die Einstellungen von Schü­le­r*in­nen zur Hamas abgefragt worden. „Das ist eine Falschmeldung“, sagte ein Sprecher der Bildungsverwaltung der dpa. „Die Lehrkräfte der Schule haben ein solches Arbeitspapier nicht im Unterricht verwendet. Es würde auch nicht den Standards der Schule entsprechen.“ Auch die Schule selbst widersprach der Meldung auf ihrer Homepage. „Dieses sog. Arbeitsblatt stammt nicht aus dem Unterricht an der Galilei-Grundschule. Die Schule prüft derzeit eine Anzeige gegen die ursprünglichen Urheber dieser Behauptung wegen der Verbreitung von Unwahrheiten“, heißt es dort. Der Ursprung des Bildes sei unklar. „Eines unserer wichtigsten Erziehungsziele ist das der gewaltlosen Konfliktlösung in der Schule und im Alltag“, schrieb die Schulleitung. Ein Foto des angeblichen Gesinnungstests hatte sogar Ferat Kocak (Linke), Mitglied des Abgeordnetenhaus, auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) weiterverbreitet. Nach Hinweisen löschte er den Post umgehend und entschuldigte sich.

Der Polizeieinsatz Auch die Polizei musste gegen eine Falschmeldung vorgehen, diese kursierte im Zusammenhang mit den verbotenen pro-palästinensischen Demos auf der Sonnenallee in Neukölln und wurde in verschiedenen Social-Media-Kanälen verbreitet. Es hieß, dass dort ein 13-jähriger Junge ums Leben gekommen sei. „Das ist ein #Fake“, schrieb die Polizei auf X. Po­li­zis­t*in­nen hätten Tatverdächtige festgenommen, es hätte Widerstände gegeben und „Ja, zum Brechen des Widerstandes mussten sie körperliche Gewalt anwenden“, schrieb die Polizei. Dabei sei es auch zu Verletzungen gekommen. Aber: „Niemand ist deshalb gestern verstorben“. Wir wissen, dass momentan viele Menschen emotionalisiert sind. Aber #FakeNews sind gefährlich – und führen im schlimmsten Fall zu Gewalt“, schrieb die Polizei.

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5 Kommentare

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  • Der vielleicht wichtigste Punkt steht in einem etwas unscheinbaren Satz und ist des Kontextes beraubt: „Zur Zeit sehen wir extrem viele KI-generierte Bilder von Kindern und Babys, die bedienen das antisemitische Stereotyp von Juden als Kindesmördern.“



    Was außen herum beschönigend und englisch „blue lie“ genannt wird, ist also knallharter Antisemitismus (und könnte auch Rassismus, Sexismus, Queer-Hass etc. sein), es ist Hass-Propaganda.



    Interessant wäre aus konkretem Anlass aber gewesen, wie viele Bilder KI-generiert sind. Ist es möglich, dass die meisten, die Israel zur Mäßigung aufrufen wollen, antisemitischer Hass-Propaganda aufgesessen sind? Und macht es niemanden stutzig, dass selbst von den erklärten Todfeinden Israels niemand leugnet, dass die Hamas tatsächlich jüdische Kinder getötet hat? Im Interview geht es dann komischerweise direkt mit dem Impf-Geschwurbel der Corona-Leugner weiter.



    Was ebenfalls fehlt, ist eine Perspektive, wie gegen die Hass-Propaganda vorgegangen werden kann. Eine unabhängige Wissenschaft wäre schon mal hilfreich, denke ich, aber leider ist die nicht zum Nulltarif zu haben. Wenn man sich auf Drittmittel aus der Industrie verlässt, werden wir solcher Auswüchse der modernen Technik nicht Herr werden.

  • "Um das zu verstehen, hilft das Konzept der Blue Lies: Das sind Lügen, die man ausspricht, weil man denkt, dass ein vermeintlich guter Zweck eine Lüge rechtfertigen würde. Deshalb fühlen sich die Urheber auch oft nicht ertappt, wenn man sie entlarvt. Sie finden es gerechtfertigt, weil die Falschmeldung aus ihrer Sicht „an sich“ schon stimmt."

    Spannend zu lernen, dass das Konzept einen Namen hat. Diese Leute nehmen also die Red Pill, um dann Blue Lies zu erzählen und es den Blue Pill Leuten richtig zu zeigen.



    Tucker Carlson gab vor einigen Jahren zu, bei Fox News zu lügen, was er nicht gut fände, aber nicht wirklich schlimm sei, da die System-Medien stets lügen würden. Die eigene Propaganda rückt damit den empfundenen Propaganda-Krieg sozusagen wieder ins Gleichgewicht.

    www.independent.co...ubin-b1919738.html

    Es gab auch mal einen Artikel dazu, dass Fox-News-Konsumenten, wenn Lügen über die Demokraten entlarvt worden waren, diesen Umstand dadurch relativierten, dass Linke dennoch in Wahrheit so seien wie behauptet, so falsch sei das also nicht und daher auch nicht schlimm. Oder wie Georg Padzerski von der AfD 2016 so schön sagte: "Das, was man fühlt, ist auch Realität". Das sind die Leute, die wieder "abgeholt" werden sollen, von der Politik.

    www.sueddeutsche.d...ealitaet-1.3151588

    Solche "gefühlten Realitäten", gibt es natürlich auch in linken Blasen. Anders ist es auch kaum zu erklären, wie die linken Antisemiten im glorreichen, intellektuellen deutschen Kulturbetrieb so lange nicht aufgefallen sind. Schwurbler zu sein zeichnete einen dort doch als Anti-Establishment und daher kritischen Denker aus. Plötzlich wundert man sich hier über die Anschlussfähigkeit an "typisch rechte" Themen.

    • @Paul Anther:

      "Diese Leute nehmen also die Red Pill, um dann Blue Lies zu erzählen und es den Blue Pill Leuten richtig zu zeigen."

  • wichtig ist vor allem, das die leute fähig sind informationsquellen in ihrer qualität selbst zu beurteilen!!!!



    Anscheinend konsumieren ja viele leute müll - und das nicht nur bei medien!!!

    Das ist ein altbekannter und weiterhin unhaltbarer zustand - aber eine logische konsequenz aus dem absolut mangelhaften bildungssystem sowie der ebenso mangelhaften sozialen einstellung unserer sogenannten demokratischen führer a la jeglicher couleur!



    Allein das ist ein grund, nie wieder cdu oder spd zu wählen!!!

    Aber auf grund der mangelhaften informationslage, was alles getan werden müsste um wirklich da hin zu kommen oder wirklich das ganze zu verstehen, ist dies den meisten leuten nicht bewusst! Ergo, absolut inkonsequente logiken und ziele! was die ganze stille post nummer natürlich noch verschlimmert!

    man muss sich stets bewusst sein, die unwissenheit der menschen ist enorm und somit ist jegliche information mit vorsicht zu genießen und zu prüfen! Bei der prüfung des wahrheitsgehalt müssen die höchsten standards angesetzt werden! alles andere ist selbstbeweihräucherung!

    DIE UNBESTECHLICHEN von (76) sollte unser paradigma sein, nicht die bibel!! ;)



    Aber wenn man ^ das gogglt, kommt ja eher der film von 87 .... über die gangster und die polizei ... das sagt alles!!!

    • @Christian Will:

      Ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja und ja.