Lohnlücke zwischen Männern und Frauen: Anerkennung, die sie verdienen
Mehr als zwei Drittel der Frauen in Deutschland verdienen unter Durchschnitt. Um das zu ändern, braucht es mehr Respekt für „Frauenberufe“.
Es wird alles immer besser, ist ein Irrglaube, der im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit beharrlich bestehen bleibt. Feministische Forderungen sind in den vergangenen Jahren zwar sichtbarer geworden. Doch egal, ob man den Blick auf die Gewalt-Gefährdungslage oder auf ökonomische Ungleichheiten richtet: Verbessert hat sich in den letzten Jahren nichts.
Ganz im Gegenteil sogar: Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen wird größer. 1.192 Euro, so viel monatliches Brutto verdienen Männer im Durchschnitt mehr als Frauen. Damit ist die Differenz um 4 Euro größer als vor vier Jahren. Das geht aus einer Antwort des Statistischen Bundesamtes auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, über die das Redaktionsnetzwerk Deutschland zuerst berichtete. Die Verdienststrukturerhebung, die den Angaben zugrunde liegt, findet alle vier Jahre statt, die gemeldeten Zahlen sind zudem zeitverzögert, es geht also hier um Monatsverdienste im April 2018.
Die Lohnlücke wird größer, je höher der monatliche Verdienst. Von denjenigen Menschen also, die brutto über 5.100 Euro im Monat bekommen, sind über 3 Millionen Männer und nicht mal 1 Million Frauen. Noch geringer fällt der Frauenanteil aus, wenn man sich die Spitzenverdiener:innen, also ab 12.100 Euro Bruttolohn anschaut – der bei 12,7 Prozent liegt.
Geschlechtergerecht läuft es also unter Topverdienenden in diesem Land nicht ab. Dagegen kann die Quote für Frauen in Führungspositionen helfen. Doch die ist keine politische Allzweckwaffe, denn schlussendlich hilft sie nur einer kleinen Gruppe Frauen, nämlich denen, die schon weit oben sind, noch höher zu kommen.
Systemrelevant
Wichtiger ist also der Blick auf den unteren Teil der Statistik. 68 Prozent, also 12,5 Millionen von den insgesamt 18,3 Millionen lohnarbeitenden Frauen, verdienen unter Durchschnitt – nämlich weniger als 2.766 Euro brutto monatlich.
Da die Zahlen die Einkommensverhältnisse von 2018 widerspiegeln, ist noch nicht klar, wie sich die Coronapandemie auf die Zustände ausgewirkt hat. Der Gender-Pay-Gap, der durch Fortschreibung der Verdienststrukturerhebung erhoben wird, ist zwar 2020 auf erstmals („unbereinigt“) 18 Prozent gesunken, doch die Ursachen dafür sind noch nicht erforscht. Ob sich die Gehälter also wirklich etwas angenähert haben – oder ob Frauen etwa wegen der Mehrfachbelastung von Homeoffice und Homeschooling ihre schlecht bezahlten Jobs verlassen haben und deswegen in der Berechnung gar nicht erst vorkommen, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig unklar. Ebenso wenig ist erforscht, inwiefern Kurzarbeit die Zahlen beeinflusst.
Klar ist aber, dass die bestehende Lohnlücke auch daher rührt, dass Menschen in typischen „Frauenberufen“ strukturell unterbezahlt sind. Etwa Putzkräfte, Verkäufer*innen, Erzieher*innen und Pflegekräfte, in Tätigkeiten also, die zu großer Mehrheit von Frauen ausgeübt werden. Viele davon sind diejenigen Menschen, die uns in den letzten 15 Monaten der Pandemie den Arsch gerettet und das Leben in diesem Land am Laufen gehalten haben – und das unter der ständigen Gefährdung ihrer eigenen Gesundheit.
Zu Beginn der Pandemie wurde die Systemrelevanz dieser Berufe zum ersten Mal in der Gesellschaft wirklich so benannt. Das allein schon ist ein Armutszeugnis. Dass daraufhin nicht mehr passierte als nur ein bisschen Applaus vom Balkon und vereinzelt ausgezahlte Boni, ein noch viel größeres.
Lohn ist Anerkennung
Ansätze, wie gegen geschlechterungerechte Bezahlung vorgegangen werden kann, gibt es seit Langem: (Höhere) Tariflöhne im Niedriglohnsektor, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, verpflichtende Elternmonate für Väter, faire Aufteilung von Care-Arbeit oder Abschaffung geschlechterungerechter Steuererleichterungen wie das Ehegattensplitting. Doch so wirklich rückt die Lohnfrage nicht ins gesellschaftliche und politische Bewusstsein.
In einer Zeit, in der die Pandemie sich in Deutschland dem Ende zuzuneigen scheint, wird es Zeit, den Menschen in systemrelevanten Berufen die Anerkennung zu schenken, die sie verdienen. Und das heißt eben nicht, dass man sich aus den schlechteren Verdienstklassen heraus ein paar weibliche Erfolgsgeschichten anschauen darf – sondern Anerkennung heißt: Fairer Lohn.
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