Lobbyismus und Immobilienbranche: Immo-Lobby der Ampel ganz nah
Die Regierung trifft die Wohnungswirtschaft dreimal häufiger als Mieterorganisationen. Allein Habeck traf sich 2022 zehnmal mit Vonovia.
Lobbyismus ist in Demokratien Teil politischer Entscheidungsprozesse. Ein Ausgleich zwischen Betroffenen und verschiedenen Interessengruppen sollte im Idealfall zum bestmöglichen Gesetz und guten Entscheidungen führen. Problematisch wird es, wenn ein Ungleichgewicht entsteht oder Grenzen zur Korruption überschritten werden.
In der Wohnungsfrage etwa ist die Immobilienlobby ausweislich der neuen Zahlen deutlich überrepräsentiert. Besonders häufig traf die Regierung 2022 den Zentralen Immobilienausschuss ZIA, den Spitzenverband der Immobilienwirtschaft (31 Treffen), dicht gefolgt vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW (29). Das am häufigsten empfangene Einzelunternehmen war Vonovia, das bei 23 Gesprächen zu Gast bei Minister*innen und Staatssekretär*innen war. Allein Vonovia und der ZIA kamen damit zusammen auf so viele Termine auf den höchsten Ebenen wie alle Mieterorganisationen zusammen.
In den ersten sechs Monaten der Ampelregierung war das Verhältnis noch ausgeglichener, da traf sich die Bundesregierung “nur“ doppelt so häufig mit der Immobilienlobby. Im FDP-geführten Justizministerium liegt das Verhältnis gar bei 5 zu 1.
Linke fordert Schutz vor Profitinteressen
Bei direkten Treffen auf Ministerebene führen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) das Feld an: Sie trafen sich jeweils 22-mal mit der Immobilienlobby. Während Geywitz immerhin zweimal den Mieterbund empfing, traf sich Habeck mit diesem kein einziges Mal. Dafür traf er Deutschlands größtes Immobilienunternehmen umso häufiger: Den Dax-Konzern Vonovia traf Habeck gleich zehnmal persönlich im Jahr 2022. Justizminister Marco Buschmann (FDP) traf sich zweimal mit der Immo-Lobby und einmal mit dem Mieterbund.
Lay wies daraufhin, dass die Ampel deutlich häufiger die Immobilienlobby empfing als die Vorgängerregierung unter Angela Merkel (CDU). Minister*innen der schwarz-roten Koalition hatten sich in der gesamten 19. Legislaturperiode nur fünfmal mit der Immo-Lobby getroffen; zählt man die Staatssekretär*innen hinzu, sind es 56 Treffen.
Lay sagte der taz: „Statt Vonovia und Co. den roten Teppich auszurollen, sollte die Bundesregierung Mieterinnen und Mieter endlich besser vor Profitinteressen schützen.“ Die Ampel sei bislang ein mieten- und wohnungspolitischer Totalausfall, während die Mieten immer weiter stiegen, so Lay: „Verbesserungen im Mietrecht oder das Vorkaufsrecht für Kommunen schimmeln in den Schreibtischschubladen des Kabinetts und die erklärten Wohnungsbauziele sind Makulatur.“
Tatsächlich blockiert in der Ampelregierung insbesondere der Justizminister Buschmann Verbesserungen für Mieter*innen. Seit Längerem warten auf Umsetzung: das ohnehin lückenhafte Mieterschutzgesetz und das Vorkaufsrecht für Kommunen. Zudem fordern Grüne, SPD und auch der Bundesrat Verbesserungen bei inflationsgebundenen Indexmietverträgen – die FDP sieht dafür dennoch keine Veranlassung.
„Die Bundesregierung muss endlich handeln, anstatt jeden zweiten Werktag die Immobilienlobby zu hofieren“, so Lay. Ebenso fordert sie eine Nachschärfung beim Lobbygesetz und die Einführung eines legislativen Fußabdrucks, um nachvollziehbar zu machen, inwiefern Lobbyorganisationen Einfluss auf Gesetze genommen haben oder sogar daran mitschrieben.
Seit der Einführung des Lobbyregisters Anfang 2021 zeigt sich, wie unausgewogen die Verhältnisse zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft sind: Laut einer Auswertung der Linken aus dem vergangenen Jahr lobbyierten 2021 für Wohnungskonzerne 142 Personen – Jahresbudget: mehr als 8 Millionen Euro. Mieterorganisationen hatten zum selben Zeitpunk nur 11 Lobbyist*innen im Bundestag, finanziert mit 100.000 Euro jährlich. Die größte Lobbygruppe im Bundestag ist die Finanzbranche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten