Linken-Politiker van Aken über Olaf Scholz: „Was ist in den gefahren?“
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sagt, es habe während des G20-Gipfels keine Polizeigewalt gegeben. Jan van Aken (Die Linke) nennt das eine Lüge.
taz: Bürgermeister Scholz behauptet, es habe keine Polizeigewalt beim G20-Gipfel gegeben. Wie sehen Sie das?
Jan van Aken: Das ist eine glatte Lüge. Ich weiß nicht, wo Herr Scholz während des Gipfels war. Ich war jeden Tag auf der Straße und ich habe viel Polizeigewalt gesehen.
Wo denn?
Es fing beim Cornern am Dienstag am Neuen Pferdemarkt an. Es war eine nette Feier. Die Polizei sperrte mit Wasserwerfern die Straße ab, die Leute tanzten auf der Straße und wurden dann mit einem Wasserwerfer abgeräumt. Das war völlig überflüssig. Ich habe auch die Auflösung der „Welcome to Hell“-Demo in der Hafenstraße gesehen. Ich stand daneben und war auch im Park Fiction. Aus dieser Demo ist am Anfang nichts geworfen worden, die meisten nahmen ihre Vermummung ab. Dass dann mit Brutalität geknüppelt wurde, war heftig. Die Auflösung war unnötig und dann noch mit dieser Intensität gegen Leute vorzugehen, die einfach nur weg wollten, das war Polizeigewalt pur.
Scholz meinte, die Einsätze seien besonnen gewesen.
Ich habe auch besonnene Einsätze gesehen. Ich war am Freitagfrüh als parlamentarischer Beobachter am Jungfernstieg, da haben 60 Leute eine Sitzblockade gemacht, die wurden langsam weggetragen. Das war ein besonnener Einsatz. Aber ich war direkt davor beim Michel, wo 60 Leute eingekesselt wurden und die Polizei unnötigerweise Pfefferspray reinsprühte. Mit Besonnenheit hatte das nichts zu tun.
Gab es auch Polizeigewalt gegen Unbeteiligte?
Ja, an den Landungsbrücken am Freitagnachmittag. Ich stand auf der Brücke. Aus der Demo sind Steine und andere Sachen geflogen. Links von mir standen mehrere Menschen, die eindeutig nur beobachtet haben. Dann stürmte die Polizei auf die los. Die Leute haben die Hände gehoben, es war ganz klar zu sehen, dass die nichts mit der Demo zu tun haben. Ein Polizist ist voll mit dem Schild in die reingerammt, das war völlig unnötig und gaga.
Am 7. und 8. Juli treffen sich in Hamburg die Staatschefs der größten Industrie- und Schwellenstaaten zum G20-Gipfel. Die taz berichtet dazu in einem laufend aktualisierten Schwerpunkt und ab dem 1. Juli mit täglich 8 Sonderseiten.
Waren Sie auch betroffen?
Am Samstag auf der Abschlusskundgebung gab es Reibereien. Ich habe mich vor die Demonstranten gestellt und zur Ruhe aufgerufen. Danach ist nichts mehr geflogen, obwohl die Stimmung noch aufgeheizt war. Zehn Sekunden später bekomme ich von der Polizei Wasser in den Rücken. Das war in der Situation völlig überflüssig.
Gibt es Zahlen dazu, wie viele Demonstranten von der Polizei verletzt wurden?
Leider nicht. Ich habe diverse Sanitäter angesprochen während des Gipfels, keiner hatte einen Überblick. Das ist schade, denn es gab extrem viele mit Knochenbrüchen. Mir haben immer nur Einzelne sagen können, wie viele Verletzte sie betreut haben.
56, ist Hamburger Abgeordneter der Linksfraktion im Bundestag und hatte die Demonstration "Grenzenlose Solidarität statt G20" am 8. Juli angemeldet, an der über 70.000 Menschen teilnahmen
Glauben Sie, dass es eine grundsätzliche Gewaltbereitschaft bei der Polizei gab?
Ich würde in dem Fall nicht von „der Polizei“ sprechen. Ich habe auch Polizeieinheiten gesehen, die anders drauf waren. Aber wenn man als Polizeiführung auf Konfrontation und Eskalation setzt, dann hat das einen Einfluss auf das Verhalten der einzelnen Polizisten. Die waren durch die Panikmache vor dem Gipfel alle schon nervös. Dann war Eskalation und Konfrontation von oben angesagt. Das lässt den Knüppel sicherlich etwas freier schwingen.
Scholz ist zuversichtlich, dass die Aufarbeitung kein Fehlverhalten der Polizei feststellen wird.
Wenn er sich da so sicher ist, warum gibt es dann keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss? Die Linke hat das beantragt, SPD und Grüne sollten dem zustimmen. Nur ein Untersuchungsausschuss hat das Recht, Akten einzusehen und Leute vorzuladen. Nur so lässt sich das objektiv aufklären. Solange das nicht passiert, muss er sich vorwerfen lassen, dass die Landesregierung viel verbirgt.
Greift die Aussage von Scholz nicht jeder Untersuchung vor?
Ja, natürlich. Ich frage mich, was in den gefahren ist. Videos hat er sicherlich gesehen. Das ist eine rein politische Erklärung. Genau wie die Aussage, dass er die Sicherheit gewährleisten kann, wird er auch mit diesem Satz der Lüge gestraft werden.
Was bedeutet die Aussage für die Aufklärungsarbeit?
Da der Sonderausschuss in der Bürgerschaft von der Mehrheit bestimmt wird, gibt Scholz jetzt die Marschrichtung vor: „Findet bloß nichts raus!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml