Linke in der SPD: Streiter und Mittler
Früher hatten die Sozialdemokraten zwei mächtige Flügel. Heute dümpelt die Parteilinke vor sich hin – großen Einfluss hat sie nicht mehr.
Der linke Flügel will mehr soziale Gerechtigkeit und eine stärkere Umverteilungspolitik. Der rechte Flügel ist pragmatisch, seine Themen sind Wirtschaft, Innovationen, Zukunft der Arbeit. Die Agenda 2010 sieht er als großen Erfolg.
Doch die Möwe SPD hat schon lange nicht mehr abgehoben. Seit acht Jahren dümpeln die Sozialdemokraten bei Bundestagswahlen vor sich hin. Wenn die Möwe SPD nicht fliegt, muss ein Flügel zu stark geworden sein – und der andere zu schwach. Während der rechte Flügel in Partei, Fraktion und Regierungsämtern die wichtigen Funktionen besetzt und Themen vorgibt, versinkt der linke Flügel in der Bedeutungslosigkeit.
Diese Geschichte handelt von den Verlierern. Von denen, die die SPD auf einen sozialeren Kurs einschwören wollen, aber kaum Einfluss besitzen. Hilde Mattheis ist Vorsitzende des Forum Demokratische Linke (DL21), der größten linken Strömung in der SPD mit fast 1.000 Mitgliedern. „Mit der Agenda 2010 hat sich die Partei sich von der Flügelarithmetik verabschiedet“, sagt sie.
Knackpunkt Agenda 2010
Als Gerhard Schröder 1998 Kanzler wird, bricht er mit sozialdemokratischen Traditionen. Sein linker Gegenspieler Oskar Lafontaine verlässt 1999 nach nur fünf Monaten Schröders Kabinett und legt den Parteivorsitz nieder. Die Parteilinke ist mit seinem Abgang führungslos. Schröder hat freie Bahn. Arbeitslosengeld und Sozialhilfe werden auf niedrigem Niveau zusammengeführt.
Schröder droht mehrfach seinen Rücktritt an, sollte die SPD nicht für die Agenda stimmen. Abweichler werden öffentlich zum Austritt aus der Fraktion aufgefordert. Am Ende machen die meisten mit. Auch Hilde Mattheis stimmt für die Hartz-Gesetze. „Die Agenda-Abstimmung ging über ein Gesamtpaket mit all den positiven Errungenschaften – zum Beispiel den Ausbau von Ganztagsschulen und Kitas“, sagt sie heute.
Doch mit der Agenda ist klar: Der rechte Flügel hat sich durchgesetzt. „Danach entwickelte sich ein Stück weit die Auffassung, dass der linke Flügel eher die vermeintlich innovativen Prozesse der Agenda behindere“, sagt Mattheis. Nach außen wird die Agenda als Erfolg verkauft, weil die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Wer sie kritisiert, gilt als Nestbeschmutzer. Viele Parteilinke lassen sich zum öffentlichen Schweigen verdonnern.
Schröder installiert während seiner Kanzlerschaft Gefolgsleute in Partei und Regierung. „Es gibt in der SPD eine Clique von Beratern, die unter Schröder stark wurden“, sagt Marco Bülow, der als direkt gewählter Abgeordneter aus Dortmund im Bundestag sitzt. „Deren Agenda ist, die Partei von sozialen Themen wegzusteuern hin zu liberalen Innovations- und Wirtschaftsthemen.“
Seit Schröder den Parteivorsitz übernommen hat, geht die Postenverteilung über bestimmte Schreibtische, heißt es in der SPD – und der linke Flügel wird selten bedacht. Schröders Vertraute, die sich zum Teil im Netzwerk Berlin zusammengeschlossen haben, sind weiter am Werk. Frank-Walter Steinmeier, unter Schröder Kanzleramtsminister, führte von 2009 bis 2013 die SPD-Fraktion. Netzwerker Sigmar Gabriel war bis Anfang 2017 Parteichef.
Best of Wahlkampf
Wie weit deren Einfluss der Schröder-treuen Netzwerker geht, zeigt sich 2009. Mit 23 Prozent holt die SPD mit Steinmeier das schlechteste Wahlergebnis der Nachkriegszeit. Eigentlich müsste er nun zurücktreten. Stattdessen kündigt er noch am Wahlabend an, er wolle die SPD-Fraktion im Bundestag anführen. Die Linken trauen ihren Ohren nicht.
Streit und Shitstorm
Am Dienstag darauf tagt die neue, stark dezimierte SPD-Fraktion zum ersten Mal. Anstatt einen eigenen Kandidaten gegen Steinmeier ins Rennen zu schicken, knicken die Linken ein. Man habe eben so kurzfristig keinen eigenen Kandidaten – und die Fraktion brauche doch einen Vorsitzenden.
An diesem Mangel an Entschlossenheit scheitern die Linken oft. Marco Bülow hat eine Erklärung dafür. „In der SPD – und auch am linken Flügel – haben viele Angst vor Unruhe“, sagt er. Wenn man einen offenen Machtkampf um wichtige Positionen austrüge, würde die Partei darunter leiden, fürchten viele. „Also ordnen sie sich unter.“ Bülow thematisiert gerne die Dominanz des rechten Parteiflügels. Im Bundestag stimmt er häufiger gegen die eigene Fraktion. Der Preis dafür ist ein gewisses Außenseitertum. Obwohl Bülow seit 2002 im Bundestag sitzt, hat er keinen Sprecherposten.
Wer die Geschlossenheit infrage stellt, zieht Zorn auf sich. Das hat Mattheis erfahren. Als die SPD 2013 in die Große Koalition geht, versucht der Parteivorstand den Linken die Regierungsbeteiligung mit dem vereinbarten Mindestlohn schmackhaft zu machen. Aber als er kommt, enthält er zahlreiche Ausnahmen, zum Beispiel für Langzeitarbeitslose. Mattheis kritisiert das.
„Mit der Festschreibung des Mindestlohns im Koalitionsvertrag habe die SPD „einen roten Apfel in die Hand bekommen und jetzt zeigt sich, dass er auf der einen Seite verfault ist“, schreibt sie. Es folgt: ein parteiinterner Shitstorm, weil Mattheis ein Projekt infrage stellt, dass der linke Parteiflügel als eigenen Erfolg betrachtet. Arbeitsministerin Nahles, die ebenfalls der Parteilinken zugerechnet wird, tritt ebenso wie andere Parteilinken aus DL21 aus.
Noch so eine Schwäche der Parteilinken: Sie ist zerstritten. Auf der einen Seite stehen Politiker wie Mattheis und Bülow, die eine Linke wollen, die sich nicht mit faulen Kompromissen begnügt. Auf der anderen Seite stehen Pragmatiker, die auch kleine Fortschritte suchen. Dazu gehört Matthias Miersch, Sprecher der „Parlamentarischen Linken“, einem Zusammenschluss linker Abgeordneter.
Inhalte, aber kaum Personal
Miersch gilt als Mittler, als jemand, der gute Kontakte zu allen Flügeln der Partei unterhält. Er sieht den eigenen Flügel innerhalb von Fraktion und Partei gut aufgestellt. „Die parlamentarische Linke hat mit Andrea Nahles und Katarina Barley prominente Ministerinnen im Bundeskabinett“, sagt er. Außerdem stelle man die Mehrheit der Sprecher der Bundestagsfraktion und die parlamentarische Geschäftsführerin. Das Problem: Sprecher für Politikfelder sind kaum bekannt. „Die Parlamentarische Linke möchte auf die Programmatik unserer Partei einwirken. Das Erhaschen von Posten steht nicht im Mittelpunkt unserer Arbeit“, sagt Miersch. Die Linken gestalten das Wahlprogramm, die Praxis überlassen sie Netzwerkern: Das ist das Muster, mit dem die Parteilinke immer wieder verliert.
2013 trat der wirtschaftsliberale Peer Steinbrück mit einem vom linken Flügel geprägten Parteiprogramm an. In den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl führten wiederum Politiker vom Netzwerk Berlin und vom Seeheimer Kreis, dem rechtesten SPD-Flügel, das Wort. Jetzt soll alles anders sein: „Sollte es zu Koalitionsverhandlungen kommen, werden wir darauf achten, dass wir in der Verhandlungsdelegation entsprechend unserer personellen Stärke in der Fraktion berücksichtigt werden“, verspricht Miersch. In Parteikreisen wird spekuliert, dass Nahles den Fraktionsvorsitz übernehmen könnte, falls die SPD nach der Wahl in die Opposition muss.
Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass der rechte Parteiflügel eine weitere Große Koalition durchsetzt, wenn die Union dazu bereit ist. In der Parteilinken wird spekuliert, das viele am rechten Flügel an der Großen Koalition festhalten wollen – am liebsten als Juniorpartner. Das habe den Vorteil, unpopuläre Entscheidungen auf den Koalitionspartner schieben zu können.
Mit Martin Schulz ist wieder ein Vertreter des rechten Flügels Parteichef, der ehemalige Netzwerk-Sprecher Hubertus Heil wurde erneut Generalsekretär. Nachdem ehemalige SPD-Granden wie Steinbrück Schulz' Gerechtigkeitswahlkampf kritisierten, suchte dieser öffentlich die Versöhnung mit der Agenda-Generation und lud Gerhard Schröder zum Parteitag ein.
Auch vor der jetzigen Bundestagswahl kam vom linken Flügel wenig. Die Vermögensteuer hat es nicht ins Wahlprogramm geschafft. Stattdessen soll es eine parteiinterne Kommission dazu geben. Eine Abkehr von Hartz IV wird selbst in linken Parteikreisen nicht mehr diskutiert. Die Möwe SPD bleibt am Boden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen