Martin Schulz in der ARD-Wahlarena: Ganz nah dran
Verständnisvoll und emotional: So gibt sich der SPD-Kanzlerkandidat bei seinem letzten großen TV-Auftritt vor der Bundestagswahl.
Nur noch eine Woche bis zur Wahl – und für die Sozialdemokraten sieht es Umfragen zufolge eher schlecht aus. Auch deshalb dürfte sich Martin Schulz am Montagabend über die letzte Chance gefreut haben, sich den Wähler*innen im TV zu präsentieren. Am Montagabend stellt sich der SPD-Kanzlerkandidat – wie vergangene Woche Angela Merkel – in der ARD-Wahlarena 150 Zuschauer*innen.
Der SPD-Chef freut sich sichtlich über das Format. Das ist sein Terrain: Der Kontakt mit den Menschen liegt ihm. Er kennt ihre Wohnorte und zeigt Verständnis für ihre Probleme. Ob Lebensmittelverschwendung, Dieselskandal oder Krankenversicherung: Schulz hört zu, nickt, runzelt die Stirn.
Er tänzelt durchs Studio und kehrt nur zu seinem Pult zurück, um im Vorbeigehen einen Schluck Wasser zu trinken. Dann wendet er sich wieder den Fragenden zu. Ganz nahbar, ganz dicht dran. Auch hier im Studio.
Wie bei einer Frau aus dem Erzgebirge, die ihr Leid klagt. Die Mutter von sechs Kindern war als Bürokauffrau, Taxifahrerin und Köchin beschäftigt. Sie macht sich Sorgen um ihre Rente. Martin Schulz sagt dazu – geschlagene zehn Sekunden lang: nichts. Das irritierte Publikum wartet auf die Reaktion des betreten zu Boden blickenden Herausforderers.
Dann erwähnt er – wie so oft – seine eigene Biografie. Er fühle sich an seine eigene Mutter erinnert, auch er war eines von fünf Kindern. Sie habe gar keine Rente bekommen. Was er für Menschen mit Aussicht auf geringe Rente tun wolle? Einen neuen Generationenvertrag schließen. Ihren Rentenbescheid ändern. So präsentiert sich Schulz gern. Ehrlich und persönlich.
Strenge mit Flüchtlingen
Dann das unvermeidbare Thema: Flüchtlinge. Die Fragen drehen sich um die Integration der Zugewanderten in den Arbeitsmarkt, Abschiebung und Islam. Schulz' Antwort: „Sprache, Arbeit, Freunde“ – die Integrationsformel gleicht einem Dreisatz. Ein streng gescheitelter Mann aus Kelheim in Bayern findet das zu einfach: Er habe zehn Geflüchtete in seinem Betrieb – der Müllabfuhr – ausbilden wollen, neun davon seien aus ihm unverständlichen Gründen von einem auf den anderen Tag weggeblieben.
Die Hintergründe lassen sich in der Sendung nicht klären. Schulz antwortet kalt: „Wer zu uns kommt und arbeiten kann, es aber nicht will“ – so laufe es in Deutschland nicht. Dann müsse man auch „Druck machen“, dass die Leute die Arbeit annehmen. Während sich Schulz dem Publikum im Studio gegenüber warmherzig gibt, möchte er gegenüber Flüchtlingen Strenge zeigen.
Wirklich konfrontativ wurde es in der Wahlarena aber nicht. Der lauteste Moment: Schulz ignoriert Sonia Mikichs Abmoderation und erwähnt nochmal, wie viel Spaß er bei der Sache hatte: „Sowas hier müssten Bundeskanzler einmal im Monat machen!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Desaströse Lage in der Ukraine
Kyjiws Wunschzettel bleibt im dritten Kriegswinter unerfüllt