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Linke-Politikerin über Leopoldina-Papier„Wir stehen vor einem Backlash“

Doris Achelwilm, Bundestagsabgeordnete der Linken, kritisiert das Leopoldina-Papier: Die spezielle Perspektive von Frauen bleibe unberücksichtigt.

Wieder nicht bedacht: schlecht bezahlte Krankenschwester in der Intensivpflege Foto: Frank Rumpenhorst/dpa
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Achelwilm, Sie kritisieren, das Gremium der Leo­poldina, das die Stellungnahme zum Umgang mit Corona verfasst hat, bestehe aus 24 Männern und 2 Frauen. Kommt es nicht eher auf Fachkompetenz an als auf das Geschlecht?

Doris Achelwilm: Das ist kein Gegensatz. Diese Krise betrifft alle – und Frauen an vorderster Front. Im Papier der Leopoldina schlägt sich das aber weder zahlenmäßig noch inhaltlich nieder. Fragen, die viele Frauen anders aufgegriffen hätten, bleiben außen vor.

Mundschutz oder nicht hat nichts mit Geschlecht zu tun.

Das kommt darauf an. Der Schulbetrieb soll laut Empfehlung mit großem Abstand der Kinder und Mundschutz wieder aufgenommen werden. Wie soll das in Grundschulen funktionieren? Das zu fragen, hätte ein diverser aufgestelltes Gremium besser gekonnt. In diesem Bereich ist die Expertinnenschaft eher weiblich. Auch eine pädagogische Perspektive hätte geholfen.

Ist es aus Frauenperspektive nicht sinnvoll, die Grundschulen wieder zu öffnen?

Sofern es funktioniert. Wir brauchen aber auch eine Debatte, wer bis dahin die zusätzlichen Aufgaben zu Hause übernimmt – das hätte das Papier doch auch mal behandeln können. Genau wie die Situation von Pflegekräften. Beides betrifft weit überwiegend Frauen, aber beides fehlt. Dieses Papier ist ein Signal dafür, dass wir gleichstellungspolitisch vor einem Backlash stehen. Dabei müssten wir die Krise nutzen, um für die Zukunft besser gewappnet zu sein.

Was heißt das?

Frauenpolitik ist kein Beiwerk, sondern betrifft mindestens die Hälfte der Gesellschaft. Wir müssen auch vor diesem Hintergrund das Kurzarbeitergeld erhöhen. Frauen werden durchschnittlich schlechter bezahlt. Für viele wird Kurzarbeit Armut bedeuten. Der Gender Pay Gap wird sich durch Corona vergrößern. Den zu „systemrelevant“ erklärten Verkäuferinnen sollte nicht nur Applaus geklatscht werden, sondern wir brauchen bessere Lohnstrukturen und höhere Tarifbindungen.

Bild: Cosima Hanebeck
Im Interview: Doris Achelwilm

43, ist gleichstellungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag

Das Wort „Frauen“ kommt im gesamten Papier genau einmal vor. Häusliche Gewalt wird gerade mal erwähnt. Welche Themen fehlen noch?

Eine geschlechtersensible Gesundheitspolitik, geflüchtete Frauen und der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zum Beispiel. Frauen müssen jetzt in Krisenstäben und an zentralen Entscheidungen paritätisch beteiligt werden, um bei all diesen Themen fortschrittliche Weichen zu stellen. Ungleichheiten, speziell zulasten von Frauen, müssen sichtbar werden. Das ist keine Frage, die wir in ferner Zukunft nachsteuern können. Das muss jetzt passieren.

Sehen Sie dafür Chancen?

Wir fordern das ein. Nur weil manche meinen, auf Geschlechterverhältnisse komme es jetzt nicht an, kann es nicht sein, dass Frauen als Verliererinnen aus der Krise hervorgehen.

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6 Kommentare

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  • Eine absurde Idee, Männer können für Kinder keine Empfehlungen abgeben, einfach nur, weil sie MÄNNER sind. Das hieße nämlich, es gibt keine guten Väter. Oder keine guten Pädagogen & Kinderbetreuer. Ob jemand Ratschläge erteilen kann, hängt nicht vom Geschlecht ab.

    • @Beate Dreessen:

      Das stimmt im Grundsatz auf jeden Fall. Dessen ungeachtet scheinen aber viele der Leopoldina Herren in ihrem Leben nicht viel Kompetenz zum Thema Kinder ansammeln können. Ja nun, einer muss ja auch Karriere machen.



      Ob immer alles pari sein muss, da habe ich so meine Zweifel - aber ein paar Professorinnen mehr in dem Gremium hätten bestimmt nicht geschadet.

      Abgesehen davon finde ich so einen eher honorig gestrickten thing thang, dessen Expertise eher am Rande seiner Profession Politik beraten will, ein wenig obskur.

      Frau Achelwilm warnt für mich daher mit Recht, und mit Sachlichkeit, vor einem "Backlash".

  • Volle Zustimmung, die Mitarbeiter/innen in Kindergärten und Grundschulen sind zu 90 Prozent weiblich. Was dabei rauskommt, wenn nur Männer entscheiden, sieht man an der Studie deutlich.

  • was bitte ist ein Backlash?

    • @uli moll:

      Man/Frau könnte auch "Rückschlag" sagen. Hört sich nur profaner an.



      Ansonsten ist Frau Achelwilm durchaus zuzustimmen.

      • @Rolf B.:

        Jep. Sehe ich auch so.

        Zumal die Leopoldina-Initiative selbst (und dessen Umfeld) auch noch wie eine dieser Männerseilschaften aus guter alter Zeit aussieht.

        Ich dachte, wir hätten das hinter uns gelassen, peinlich.