Frauenpolitik im Wahlkampf: Die Unsichtbaren

Einerseits zu nischig, andererseits zu kontrovers: Im Wahlkampf spielt Frauenpolitik keine Rolle. Und was tun SPD und Grüne dagegen? Nichts.

Annalena Baerbock begrüßt ihre Anhänger und Anhängerinnen im Wahlkampf

Auch sie erweckt nicht den Eindruck, als brenne sie für feministische Themen: Annalena Baerbock Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Wie beginnt man einen Text, der von etwas handelt, das es nicht gibt? Der nichts beschreiben kann, weil nichts passiert ist, und keine Aussage kritisieren, weil niemand etwas gesagt hat? Vielleicht damit, die Konsequenz dieser Leerstellen zu benennen: Der Wahlkampf in Deutschland 2021 macht 42 Millionen Mädchen und Frauen, die hierzulande leben, unsichtbar.

Dass Frauenpolitik im Tagesgeschäft selten eine Rolle spielt, sind Wäh­le­rin­nen gewohnt. Im Wahlkampf aber, aus der Pandemie heraus gestartet, in der Frauen die Hauptlast schultern – Homeschooling, Pflege, Kasse, alleinerziehend, gewaltbetroffen, Job gekündigt – war die Hoffnung da, diesmal könnte es anders sein.

Gerade, weil es eine weibliche Kanzlerkandidatin gibt, die sich selbst Feministin nennt. Und trotzdem werden Lohnlücke, Sorgearbeit, reproduktive Rechte, Quoten und Gewalt so totgeschwiegen, als ob es sie nicht gäbe.

Das liegt zum einen an einer ungünstigen Konstellation. Frau zu sein ist im Wahlkampf ein massives Hindernis, eher jung zu sein noch dazu. Sich Macht nehmen zu wollen, wie Anna­lena Baer­bock es gerade versucht, wird abgestraft. Zwar führt sie die Trielle an, was Faktensicherheit betrifft. Als kompetent jedoch nehmen die befragten Zu­schaue­r:in­nen sie nicht wahr. Obwohl sie die kürzeste Redezeit hatte, wurde sie zuletzt sogar ermahnt, sich kürzer zu fassen. Es fällt auf, wenn Frauen was zu sagen haben – unangenehm.

Nur die Union spricht übers Gendern

Würde Baerbock nun noch Frauenthemen pushen, sich gar offensiv als Feministin geben, könnte sie vollends einpacken. Das ist die Hypothek als weibliche Wahlkämpferin: Das Geschlecht ist eine so große Bürde, dass nicht auch noch darauf aufmerksam gemacht werden darf. Und Laschet und Scholz haben an Frauenpolitik so wenig Interesse wie ihre Parteien.

Pflege ist Thema im Wahlkampf, das ja, ein bisschen – und Pflegekräfte sind in der Mehrheit Frauen. Auch Mütter gehen nicht vollends unter, und nun ja, auch Mütter sind in der Mehrheit Frauen. Um andere kümmern also dürfen sich Frauen, ob bezahlt oder unbezahlt. Wer sich kümmert, ist ungefährlich, und wer sich nicht kümmert, so als Frau, mit der stimmt was nicht. Weshalb über Frauen, die weder Pflegerin noch Mutter sind, auch besser nicht gesprochen wird.

Und wenn, dann interessanterweise vonseiten der Union, die mit dem ständigen Geifern übers Gendern versucht, Wäh­le­r:in­nen zu fischen und durch die Abschaffung des Ehegattensplittings das kommunistische Schreckgespenst nahen sieht – eines Instruments also, das strukturelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wie kaum ein anderes fördert und zementiert. „Belastungs- und Steuerorgien“ planten SPD und Grüne mit der Abschaffung, versuchen die Konservativen gerade die immergleiche Leier. Und was machen SPD und Grüne?

Nichts. Anstatt die Abschaffung des Splittings nach gefühlten Jahrhunderten endlich als Wahlkampfthema zu pushen und auf Mehrheiten zu setzen, die ja da wären, lassen sie selbst dieses Thema verschämt unter den Tisch fallen. Nicht aus der Deckung kommen, bloß nicht Farbe bekennen, keine konservativen Wäh­le­r:in­nen verprellen. So wenig sagen wie Scholz, und über Frauen am besten gar nichts.

Nur mit spitzen Fingern

Einerseits zu nischig, andererseits zu kontrovers: Das ist Frauenpolitik im 21. Jahrhundert. Themen wie die Abschaffung des Paragrafen 218 im Wahlkampf? Undenkbar. Problematisieren, dass deutsche Männer gewalttätig sind? Auf keinen Fall. Fordern, dass Väter mehr Sorgearbeit übernehmen? Da würden Wäh­le­r:in­nen verprellt – und sicher nicht nur männliche.

Dass also die Parteien Geschlechterpolitik nur mit spitzen Fingern anfassen, mag aus wahlkampftaktischer Sicht wenn auch frustrierend, dann doch zumindest nachvollziehbar sein. Auch für Jour­na­lis­t:in­nen aber scheint das Thema schlicht nicht zu existieren. Eine einzige Frage in drei Triellen ist den Mo­de­ra­to­r:in­nen der Gewaltschutz wert – die einzige Frage tatsächlich, die überhaupt konkret Frauen betrifft. Die einzige Frage. In drei Triellen.

Wo also fühlen sich Frauen am unsichersten? Laschet überlegt wie ein Schüler, der die Antwort nicht kennt. „Wahrscheinlich in Unterführungen, Tunneln und Parks“, rätselt er dann. Die Antwort spricht Bände. Denn sie entspricht nicht der Realität. Der gefährlichste Ort für Frauen, stellt Baerbock richtig, ist ihr eigenes Zuhause. Dass dieser Umstand beim CDU-Chef und Kanzlerkandidaten noch nicht einmal als Tatsache angekommen ist, ist nichts weniger als dramatisch.

Die Berührungsängste, Themen wie dieses so groß zu machen, wie sie tatsächlich sind, führen nicht nur dazu, dass die Realität der Hälfte der im Land lebenden Menschen ignoriert wird. Sie verweisen auch auf den Stellenwert der Frauenpolitik in der nächsten Legislatur. Und sofern die Konservativen in führender Rolle beteiligt sein werden, wird Frauenpolitik bleiben, was sie ist: Verhandlungsmasse.

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