Letzte Generation: Erfolg statt Erpressung
Wo steht die Letzte Generation nach über einem Jahr Straßenblockaden? Ein Protestforscher sieht einen Erfolg in den Vereinbarungen mit den Kommunen.
Zuletzt hat die Gruppe für Aufregung gesorgt, als sie Kommunen mit einer „maximalen Störung“ drohte, wenn diese nicht auf ihre Forderungen eingehen würden. Daraufhin teilte zum Beispiel der Leipziger Oberbürgermeister mit: „Eine Lösung findet sich im Für und Wider der Argumente, niemals dadurch, dass eine Seite die andere erpresst.“ Andere Kommunen hingegen gingen auf die Briefe der Letzten Generation ein und setzten sich mit den Aktivist:innen an den Tisch. Inzwischen unterstützen die Bürgermeister:innen von Lüneburg, Greifswald, Tübingen, Hannover und Marburg die Forderungen der Gruppe. Mit vielen weiteren liefen Gespräche.
Der Protestforscher Michael Neuber von der TU Berlin wertet die Unterstützung als Erfolg, zumindest symbolisch. „Das Ziel der Gruppe ist ja der Austausch mit der ganzen Bevölkerung, dazu gehören auch die politischen Eliten“, sagt Neuber. Jedes Gespräch erfülle ein Teilziel der Gruppe. Bisher sei sie auf der Straße gewesen, jetzt unterhalte sie sich mit politischen Entscheidungsträger:innen. „Die Kommunikation wurde damit auf ein anderes Level gehoben“, sagt Neuber. Nach Ansicht anderer Kommentator:innen hätte sich die Gruppe hingegen durch die Briefe nach Berlin billig stummschalten lassen.
So oder so scheint der jüngste Plan der Aktivist:innen aufgegangen zu sein. Im Januar kündigte die Gruppe anlässlich des Jahrestages der ersten Straßenblockade an, den Protest auszuweiten und „an so vielen Stellen wie möglich“ den Alltag zu unterbrechen. Seitdem werden nicht mehr nur in Großstädten Straßen blockiert. In den letzten Monaten klebten sich Aktivist:innen auch in Bielefeld, Heidelberg, Aalen, Oldenburg und vielen weiteren Städten fest.
Aufmerksamkeit trotz Polykrise
Mit ihren Aktionen habe es die Letzte Generation innerhalb eines Jahres geschafft, sich zu einem wichtigen Teil der Klimabewegung zu entwickeln. Sie sei „unignorierbar“ geworden, wie die Gruppe selbst bilanziert. Durch zivilen Ungehorsam habe die Gruppe selbst „in der Polykrisensituation, in der wir uns durch Coronapandemie, Ukrainekrieg und Klimawandel gerade befinden, die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise gelenkt“, so Neuber.
Die Rahmenbedingungen seien gerade zudem günstig. Vergangene Woche zeigten die Emissionszahlen für das Jahr 2022, dass die Bundesregierung im Verkehrs- und Gebäudesektor wieder gegen ihre Ziele verstoßen hat. Diese Woche wurde ein neuer Bericht des Weltklimarats IPCC veröffentlicht, der alarmierend ausfällt. „Auf den Diskurs kann die Letzte Generation aufbauen“, sagt Neuber.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles