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Lehrer über Trans*personen in der Schule„Aufklärung hilft“

Der schwule Hamburger Lehrer Benjamin Ehlers findet, es gehöre zum Erziehungsauftrag, Schüler*innen zu akzeptieren, wie sie sind.

Fest der Diversität: Parade zum Christopher Street Day in Hamburg im Jahr 2018 Foto: Markus Scholz/dpa
Gernot Knödler
Interview von Gernot Knödler

taz: Herr Ehlers, „schwul“ ist auf dem Schulhof immer noch ein Schimpfwort. Wie kommt das?

Benjamin Ehlers: Über ein gewisses Männlichkeitsbild: dass es Vorstellungen davon gibt, wie sich Männer oder Frauen „richtig“ zu verhalten haben. Die Abwertung von Andersartigkeit gehört als Abgrenzung erst mal zur Persönlichkeitsentwicklung. Gleichzeitig ist es natürlich nicht okay, dass man Menschen abwertet.

Nehmen queere Schüler sich das zu Herzen oder gehen sie davon aus, dass das einfach so dahingesagt wird?

Es gibt eine ganze Menge Studien, die zeigen, dass das von den Betroffenen stark wahrgenommen wird. Zugleich zeigt sich, dass unterschiedliche Abwertungsbereiche der gruppenbezogenenen Menschenfeindlichkeit, also nicht nur die Abwertung von Schwulen und Lesben, sondern auch von Menschen mit anderer Hautfarbe oder Menschen mit Handicap, eine Signalwirkung gegenüber queeren Schüler*innen haben und es da eine starke Verknüpfung gibt.

Das heißt, es macht den Schülern sehr wohl was aus, auch wenn bloß Mathe als schwul bezeichnet wird?

Das wird wahrgenommen, und umgekehrt wird auch wahrgenommen und honoriert, wenn Lehrkräfte mit einer klaren Haltung einschreiten.

Sind die Schüler heute weiter als Ihre Klassenkameraden zu Ihrer Schulzeit?

Ganz bestimmt. Die Schüler*innen haben durch das Internet und eine sich verändernde Gesellschaft viel früher Berührungspunkte mit dem Anderssein, anderen Lebenswelten, anderen Familienformen. Das sorgt dafür, dass viel früher bestimmte Begriffe bekannt sind. Die Schüler*innen merken: Es gibt andere Rollenbilder, es gibt die Möglichkeit, sich ein Vorbild zu suchen. Das ist in meiner Schulzeit – obwohl die erst 15 Jahre her ist – ganz anders gewesen.

Bild: Waldemar Schwartz
Im Interview: Benjamin Ehlers

33, ist stellvertretender Schulleiter der Emil-Krause-Schule in Barmbek-Dulsberg, wo er Mathematik und Physik unterrichtet. 2018 hat er in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Arbeitsgemeinschaft Queere Kolleg*innen mitgegründet.

Werden Sie als schwuler Lehrer von den Schülern infrage gestellt?

Ich persönlich überhaupt nicht. Ich hatte einmal ein kleines Erlebnis, wo mir ein Schüler hinterhergerufen hat, aber das konnten wir innerhalb der Schule sehr schnell disziplinarisch regeln, damit es nicht mehr vorkommt. Ich erlebe, dass Schüler*innen sehr neugierig sind. In meiner Tätigkeit mit queeren Lehrern und Lehrerinnen habe ich eine Menge Beratungsgespräche geführt, auch über die Frage: „Soll ich mich outen oder nicht?“ Ein Schlüsselindikator ist, ob man ein gutes Standing bei den Schüler*innen hat. Wenn man ein gutes Verhältnis hat, wenn man gemocht wird – dann ist Queersein kein Grund, negativ angeschaut zu werden, sondern es ist eher eine Facette, die ein*e Schüler*in erst recht interessant finden kann.

Sind Sie der natürliche Ansprechpartner für queere Schüler?

In meiner Position als stellvertretender Schulleiter bin ich nicht für viele Schüler der erste Ansprechpartner, weil es eine Hürde darstellt, zur Schulleitung zu gehen. Aber ich habe tolle Kolleg*innen – Lehrkräfte wie Sozialpädagog*innen –, die von den Schüler*innen angesprochen werden. Manchmal berate ich sowohl die Lehrkräfte als auch die Schüler*innen, wenn sich Fragen ergeben, bei denen es gut ist, wenn jemand dabei ist, der das alles einmal durchgemacht hat. Jemand, der ihnen erzählen kann, dass die Sorgen und Ängste, die man hat, vorbei gehen; dass man, wenn man sich getraut hat, sich zu outen, oft viel freier lebt.

Wie häufig melden sich queere Schüler bei Ihnen oder Ihren Kollegen?

Zweimal pro Monat.

In welcher Form geschieht das?

Die Schüler*innen sprechen oft Erwachsene an, denen sie vertrauen, ob das die Klassenleitung ist, die Sozialpädagog*in – Leute, die einfach viel mit den Schüler*innen zu tun haben. Manchmal sind es auch Fachlehrer*innen, die ein vertrauliches Verhältnis zu den Schüler*innen aufbauen konnten. Die werden dann mit bestimmten Fragen konfrontiert.

Was für Fragen sind das?

Lehrkräfte, die selber lesbisch oder schwul sind, werden gefragt: Wie war das damals, als Sie sich geoutet haben? Wie haben Ihre Eltern reagiert? Wie merke ich eigentlich, ob ich schwul bin oder lesbisch? Wie war das, als Sie sich zum ersten Mal verliebt haben? Das geschieht, wenn das Gefühl aufkommt: Ich kann über bestimmte Sachen mit meinen Mitschüler*innen nicht sprechen. Mit den eigenen Eltern spricht man oft nicht darüber, weil das schambesetzt ist.

Wie geht Ihre Schule allgemein mit dem Thema „Queersein“ um?

Wir haben eine Projektgruppe, die sich über das hinaus engagiert, was wir ohnehin schon als „Schule mit Courage – Schule ohne Rassismus“ machen, und mit anderen Schulen überlegt: Wie kann man Vielfalt im Schulgebäude darstellen? Wie kann man auf Beratungsangebote hinweisen? Wie kann man die Sichtbarkeit erhöhen?

Wie groß ist der Freiraum dafür?

Man kann das Thema Vielfalt ganz verschieden im Unterricht aufgreifen. Man kann es punktuell zu bestimmten Ereignissen, einem Gedenktag oder im Rahmen einer Projektwoche besprechen. Aber man kann auch im laufenden Fachunterricht Anknüpfungspunkte finden: Ich kann im Deutschunterricht eine Lektüre wählen, in der eine queere Figur auftaucht. Ich kann im Mathe-Unterricht, sollte kurz vor den Sommerferien die Luft ein bisschen raus sein, den Film über Alain Turing zeigen. Er hat im Zweiten Weltkrieg die deutsche Verschlüsselungsmaschine Enigma decodiert und wurde als schwuler Mann von der britischen Regierung diskriminiert. Im Englischunterricht kann ich mich mit Queer History beschäftigen und schauen: Wo sind die Parallelen zur schwarzen Befreiungsbewegung?

Das hängt natürlich an den Lehrkräften...

Die müssen erst mal Bescheid wissen und Ideen dafür haben. Sie müssen darin fit gemacht werden. Dazu kann man sie schulintern fortbilden. Oft sind Lehrkräfte sehr dankbar, wenn man ihnen die Materialien zur Verfügung stellt. Das mache ich nicht von oben, sondern das läuft innerhalb des Kollegiums. Die Fachkonferenzen können ja selbst überlegen, wie sie die Vorgaben im Rahmenplan umsetzen. Tatsächlich gehört dazu Vielfalt im Sinne eines pluralistischen Gesellschaftsbegriffs, nicht nur im geschlechtlichen Bereich, sondern auch von Sprachen oder Familienkulturen.

Was geschieht, wenn ein Lehrer einfach nicht zur Kenntnis nehmen will, dass ein Schüler, der aussieht wie ein Mädchen, gern als Junge angesprochen werden möchte?

Dann würde ich sagen, dass der Kollege oder die Kollegin an bestimmten Stellen ihrer Fürsorgepflicht nicht voll nachkommt. Es gehört zum Bildungs- und Erziehungsauftrag, die Schüler*innen zu akzeptieren, wie sie sind, sie zu bestärken, sodass sie sich gut entwickeln können. Ich hatte verschiedene Gespräche, wo genau diese Situation vorlag. Ich habe gemerkt, dass Aufklärung hilft. Und natürlich gilt: Lehrkräfte müssen sich fortbilden, müssen besser Bescheid wissen. In dem Moment, wo der Groschen gefallen ist, wo sie merken, da stecken psychologische Konzepte dahinter, das ist ernst zu nehmen, was einem die Schüler*innen erzählen – in dem Moment ändert sich etwas. Danach habe ich von den Schüler*innen keine weiteren Beschwerden bekommen.

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2 Kommentare

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  • Zitat: „Ein Schlüsselindikator ist, ob man ein gutes Standing bei den Schüler*innen hat. Wenn man ein gutes Verhältnis hat, wenn man gemocht wird – dann ist Queersein kein Grund, negativ angeschaut zu werden, sondern es ist eher eine Facette, die ein*e Schüler*in erst recht interessant finden kann.“

    Das gilt für Lehrer*innen, es gilt für Schüler*innen allerdings auch.

    Nein, die Abwertung von Andersartigkeit gehört nicht zwingend zur Persönlichkeitsentwicklung. Auch nicht als Abgrenzung. Die Abwertung von Andersartigkeit ist ein Symptom. Es ist Ausdruck eines gestörten Sozialverhaltens. Zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der Lehrer gehört es deswegen vor allem, mit ihren Schüler über solche Zusammenhänge zu sprechen. Auch auf die Gefahr hin, dass sie dadurch in die privaten Konflikte ihrer Schützlinge verwickelt werden.

    Kinder, die sich respektiert, wertgeschätzt und geliebt fühlen, akzeptieren Gleichaltrige leichter in ihrer Andersartigkeit. Sie haben es nicht nötig, einen „Hofstaat“ um sich zu versammeln, den sie bei Laune halten müssen, in dem sie vermeintlich andersartige zum Abschuss frei geben. Wo ein entsprechendes Bedürfnis nach Bestätigung, nach einem „Standing“ allerdings erst einmal entstanden ist, wird es extrem schwer, den Anweisungen wohlmeinender Direktoren nachzukommen. Gegen derartige Bedürfnisse richten aufklärende Worte nur wenig aus.

    Aus einer unglücklichen Kindheit resultiert nicht Stärke, sondern Schwäche, allenfalls Brutalität, eine falsch verstandene Stärke also. So weit sind sich Pädagogen und Eltern einig. Nur an der Frage, was gegen eine unglückliche Kindheit zu tun wäre, scheiden sich die Geister bis heute. Die einen suchen das Heil in Strenge und Autorität, andere in Laissez-faire und materieller Überversorgung und wieder andere in ängstlicher Überbehütung. Alle aber glauben, sie wären im Recht. Weil sie selbst jeden abwerten müssen, der anders zu sein scheint. Und sei es auch nur, weil er/sie/es anders denkt.

  • Danke für das Interview! Super Sache! Machen Sie weiter so! Allen Schüler*innen tut Sensibilisierung gut, vermindert auch als Mobbing erscheinende Homo/Transfeindlichkeit, würde ich meinen. Heteronormativität schadet allen. Womit ich allerdings nicht meine, dass Alle gleich betroffen wären. Hetero Cis-Personen sind bezüglich Geschlechtsidentität privilegiert. Allerdings hilft Reflexion von Heteronormativität, die eigene Identität zu reflektieren, auch bspw. bei der Bildung von Männlichkeit. Hetero-männlich zu sein, muss eben nicht heißen, Andere abzuwerten. In dem Falle sollten das eigene Selbstbewusstsein und Ängste reflektiert werden ...