Latinos, die Trump wählen: ¿Por qué?
Ex-Präsident Trump macht im US-Wahlkampf Stimmung gegen Migrant:innen aus Lateinamerika. Trotzdem wächst die Gruppe der Latinos, die zu ihm halten.
W er glaubt, ein texanischer Sheriff sollte Cowboyhut und Schnauzer tragen, den sollte der Anblick von Dennis Casillas zufriedenstellen. An einem sonnigen Morgen sitzt Casillas in einer Starbucks-Filiale an einer Schnellstraße in einem Außenbezirk von San Antonio, auf dem Kopf einen schwarzen Hut, den ein Band mit dem texanischen Stern ziert, einen grauen Bart auf der Oberlippe.
An seiner linken Hand trägt Casillas einen Ring, der mit der „Thin Blue Line“ verziert ist, einem Emblem, das Solidarität mit der Polizei repräsentiert. Es entstand als trotzige Reaktion auf Black Lives Matter. „Blue Lives Matter,“ oder „Blaue Leben zählen“ – nach der Farbe der amerikanischen Polizeiuniformen.
37 Jahre lang war Casillas Teil des Bexar County Sheriff’s Department, das zuständig für die Gebiete um die texanische Großstadt San Antonio ist.
Casillas’ Karriere im Dezernat begann als Gefängniswärter, nach sechs Jahren schaffte er den Sprung zum Polizeibeamten, später zum detective, um dann ein knappes Jahrzehnt in den Sondereinsatzkommandos der Polizeibehörde zu arbeiten. „Auch als Leutnant war ich fast immer mit dabei, wenn wir einen Einsatz hatten. Wenn du nicht weißt, ob gleich von drinnen geschossen wird, fließt unglaublich viel Adrenalin“, sagt er und lacht.
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Casillas spricht leise, streckenweise ist seine Stimme wegen der lauten Musik im Café und den Gesprächen an den Nachbartischen kaum zu hören. Seine Heimat San Antonio liegt im Süden von Texas und ist eine der ältesten Städte der USA. Heute zählt San Antonio mit knapp anderthalb Millionen Menschen zu den am schnellsten wachsenden Großstädten der USA. Der Weg zu Starbucks führt durch Landschaften, in denen etliche Baustellen auf den Boom in den wohlhabenden Vorstädten hinweisen.
Stolz auf den Aufstieg der Vorfahren
Wie rund zwei Drittel der Menschen in San Antonio ist auch Dennis Casillas Latino. Seine Familie stammt ursprünglich aus Spanien und emigrierte Anfang des 20. Jahrhunderts vom Norden Mexikos nach Texas. „Mein Vater wurde in einem Feld geboren“, erzählt er, seine Großeltern kamen nach Texas, um in der Landwirtschaft zu arbeiten. Casillas ist stolz darauf, wie er und seine Vorfahren sich in den USA vor allem durch das Militär hochgearbeitet haben. „Eine Tradition des Dienens“, nennt er es.
Rund 62 Millionen Menschen in den USA identifizieren sich als Latinos. In Texas, wo am 5. März die Präsidentschaftsvorwahlen stattfinden, stellen sie fast 40 Prozent der Bevölkerung. Trotz der Umstände, dass die US-Wirtschaft ohne die Arbeit von Latinos auf den Feldern, in der Baubranche und in Fabriken praktisch zusammenbrechen würde, wurden sie lange Zeit politisch marginalisiert. Heute zählen sie zu den wichtigsten Wähler:innengruppen. Ihr rapides Wachstum drängt die zwei großen Parteien dazu, auf sie zuzugehen. Etwas, das sie jahrzehntelang für unnötig hielten.
Dennis Casillas gehört dabei zu einer Gruppe, die der Demokratischen Partei derzeit Kopfzerbrechen bereitet: Latinos, die vermehrt republikanisch wählen. Besonders in Texas ist das zu beobachten. Bei den Zwischenwahlen 2022 wechselten mehrere Wahldistrikte zum ersten Mal seit Jahrzehnten zu den Republikanern, vor allem in Gegenden, deren Bewohner:innen über 90 Prozent Latinos sind.
Nach langjähriger Mitgliedschaft bei den Demokraten wechselte auch Casillas vor ein paar Monaten zu den Republikanern. Er tritt nun für seine neue Partei auch als Kandidat für das Amt des Sheriffs an. „Es war wie eine schlechte Ehe“, sagt Casillas über sein Verhältnis zu den Demokraten und seinen Wechsel. „Irgendwann muss man gehen.“
In Texas sind Sheriffs Wahlbeamte, die sich alle vier Jahre einer Wahl stellen müssen. Casillas tritt jetzt gegen seinen ehemaligen Chef an. Kritik an dem aktuellen Amtsinhaber Javier Salazar, einem Demokraten, hat Casillas zuhauf. Besonders stört ihn die Unterbesetzung in den Haftanstalten, was dazu führt, dass manche Angestellte bis zu 80 Stunden die Woche arbeiten. „Das ist gefährlich“, sagt er. Darauf angesprochen, was ihn bewegt hat, nicht nur die Partei zu wechseln, sondern gleich selbst als Sheriff zu kandidieren, sagt er knapp: „Es war die ganze linke Politik von Salazar.“
Damit meint er vor allem zwei heikle Themen der US-Politik: Drogen und Migration. Während 24 von 50 US-Bundesstaaten den Gebrauch von Marihuana legalisiert haben, werden in Texas nach wie vor Menschen für den Besitz, Verkauf und Gebrauch der Droge inhaftiert. „Das Gesetz ist das Gesetz“, sagt Casillas, der sich gegen das Dekret seines ehemaligen Chefs wehrte, Marihuanadelikte nur noch in schweren Fällen zu ahnden.
„Ich habe viel gegen die Kartelle gearbeitet“, sagt Casillas. „In den Städten, wo Cannabis legal ist, strecken sie es jetzt mit Fentanyl, um die Leute noch abhängiger zu machen.“ Belege für diese Theorie gibt es zwar keine, doch das Gerücht darüber hält sich hartnäckig in der rechten Medien.
Texas steht auch an vorderster Stelle, wenn es darum geht, Abtreibungen zu erschweren. Mit einem sogenannten trigger law wurde der Abbruch einer Schwangerschaft im Bundesstaat in dem Moment illegal, in dem das entsprechende Urteil des Obersten Gerichtshofs verkündet wurde. Das trigger law wurde schon vor Jahren für die Eventualität verabschiedet, dass das Grundrecht auf Abtreibung mit der Rechtsprechung zum Fall Roe versus Wade kippt.
Als es so weit war und der Oberste Gerichtshof das Grundrecht kippte, kündigte Sheriff Salazar bei einer Pressekonferenz, dass er die Gesetze des Bundesstaats nicht vollstrecken würde, mit denen Frauen für eine Abtreibung oder einen entsprechenden Versuch angezeigt werden können. „Das geht gegen unseren Eid“, sagt Casillas. „Es geht nicht darum, was deine Partei sagt, sondern es geht um das Gesetz.“
Ähnlich streng sieht Casillas den Umgang mit Migration. Derzeit tobt wohl in keinem Bundesstaat ein solch erbitterter Streit zum Thema wie in Texas. Rund 2.000 Kilometer Grenze teilt der große Bundesstaat im Süden mit Mexiko, in diesem Jahr sind die Zahlen der ankommenden Migrant:innen höher als seit Jahren. Der republikanische Gouverneur, Greg Abbott, macht mit den Ängsten vor Einwanderung Politik, und lässt seit mehreren Jahren die Nationalgarde des Bundesstaates an der Grenze patrouillieren.
Für die Kandidaten der Republikanischen Partei ist die Grenzpolitik das Top-Thema. „Schließt die Grenze“ ist ihr favorisierter Slogan. Obwohl amerikanische Latinos in Umfragen mehrheitlich eine humanere Grenzpolitik bevorzugen, merkt man im Gespräch mit Dennis Casillas, dass dies nicht für alle gilt. „Wir haben keine Ahnung, wie viele Terroristen gerade zu uns kommen,“ sagt er.
Casillas ist mit einer Kolumbianerin verheiratet und sagt, dass er nicht prinzipiell gegen Migration in die USA ist. „Aber wir haben es auf dem legalen Weg getan“, sagt er, seine damalige Verlobte sei über ein Visum für Verlobte nach Texas gekommen. „Ich habe viel Geld dafür bezahlt, man kann nicht einfach das Gesetz brechen, wie man will.“ Der Antrag kostete 675 Dollar, die Anwaltskosten betrugen 3.000 Dollar.
Casillas betont immer wieder, dass es ihm nicht um seine persönliche Einstellung gehe, sondern um die Gesetze des Bundesstaates und der Vereinigten Staaten. Wäre Marihuana zum Beispiel in Texas legal, würde er sich nicht mehr für das Thema interessieren, sagt er.
Gesetzestreu ist Trump gerade nicht
Gesetzestreue ist aber jetzt nicht gerade etwas, das einem zu dem mutmaßlichen Präsidentschaftskandidaten von Casillas neuer Partei einfällt. Donald Trump wird derzeit in vier verschiedenen Fällen angeklagt, vornehmlich wegen seiner Versuche, die Präsidentschaftswahl von 2020 zu manipulieren, um im Amt zu bleiben. Auf diesen Widerspruch angesprochen, wehrt Casillas ab. „Alle Menschen haben das Recht auf einen fairen Prozess“, sagt er. „Bis jetzt wurde er noch nicht verurteilt.“
Tatsächlich wurde Trump im September im Bundesstaat New York wegen Betrugs verurteilt. Im vergangenen Frühling folgte in New York ein Urteil gegen ihn, weil er die Autorin E. Jean Carroll im Jahr 1996 in einer Umkleidekabine sexuell missbraucht hatte. Momentan läuft ein Verfahren gegen ihn an, weil er Carroll wiederholt in der Öffentlichkeit diffamierte. „Es ist nicht mein Job, zu sagen, ob er schuldig ist, oder nicht“, sagt Casillas. „Mein Job ist das Bexar County.“
Im November wird in den USA nicht nur der Präsident gewählt, sondern auch das Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats. Ein Latino, der schon sehr lang auf Seiten der Republikaner steht, ist Ted Cruz. Jeder US-Bundesstaat schickt zwei Senatoren nach Washington, Cruz ist seit 2013 für Texas in der Hauptstadt. Als Sohn kubanischer Einwanderer ist Cruz der erste Latino, der für den Bundesstaat das Amt einnimmt. Bei den Vorwahlen um die Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2016 war er lange Zeit einer der erbittertsten Rivalen von Donald Trump. Dieser beleidigte Cruz und seine Familie schwer, und schürte einwanderungsfeindliche Ressentiments im innerparteilichen Wettkampf mit dem Senator.
Cruz weigerte sich zunächst, Trump nach seiner Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen, gilt heute jedoch als einer seiner lautesten Unterstützer. Schon zu Beginn des Vorwahlkampfs 2024 gab Cruz bekannt, dass er Trump auch bei seinem zweiten Anlauf unterstützen würde. 2018 gewann Cruz den Senatssitz noch knapp gegen seinen demokratischen Kontrahenten, in diesem Jahr erhofft sich die Demokratische Partei die endgültige Entthronung des lautstarken Republikaners.
Mit den Wölfen zum Abendbrot
Im demokratischen Vorwahlkampf zeichnet sich ab, dass auch die Partei beim Thema Migration keine einheitliche Linie fährt. So hat Colin Allred, ein ehemaliger Footballstar, der derzeit für einen Abschnitt der Großstadt Dallas im Repräsentantenhaus in Washington sitzt, im Januar als einer von nur drei Demokraten für einen Gesetzesentwurf der Republikaner gestimmt. In diesem wurde Präsident Biden für seine „offene Grenzpolitik“ verurteilt, ein weiterer Schuss vor den Bug des Amtsinhabers, gegen den es wegen seiner vermeintlich mangelnden Härte an der Grenze vor allem Kritik von rechts gibt.
„Der Republikanischen Partei beizutreten, würde sich für mich so anfühlen, als wäre ich ein Schaf, das mit den Wölfen zum Abendbrot geht“, sagt Luis. Der junge Latino lebt in Austin, rund eine Autostunde von Dennis Casillas in San Antonio entfernt. Auf dem Parkplatz eines Sportwarengeschäfts sitzt der Ingenieur am Wagen seines umgebauten Busses, mit dem er gerade Richtung Küste unterwegs ist, um eine Freundin zu besuchen. Seinen Nachnamen möchte er lieber nicht nennen, wenn es um Politik geht.
„In der Demokratie soll es ja darum gehen, nach deinen besten Interessen zu wählen“, sagt Luis. „Da wäre es einfach nicht in meinem Interesse, für jemanden wie Donald Trump zu stimmen.“ Die Amtszeit des 45. Präsidenten hat er nicht positiv in Erinnerung, aggressiv und nationalistisch sei die Stimmung im Land damals gewesen. „Es gab einfach mehr Intoleranz gegen Leute, die anders sind.“
Luis, dessen Familie aus Mexiko stammt, erinnert sich besonders an den Moment, in dem Donald Trump bei einer Pressekonferenz zu Beginn seines Wahlkampfes 2015 verlautbaren ließ, dass Menschen aus dem Land südlich der USA „Vergewaltiger sind, die Kriminalität mitbringen“.
Als Trump 2020 abgewählt wurde und mit Joe Biden der frühere Vizepräsident von Barack Obama als Präsident ins Oval Office einzog, war Luis jedenfalls erleichtert. „Es war ein Gefühl, als würde Opa wieder zu Hause sein.“ Vollkommen zufrieden ist Luis bei Weitem nicht mit Bidens Amtsführung, besonders die steigende Inflation beschäftigt ihn sehr. Donald Trump sei für ihn aber ein rotes Tuch, sagt er. „Der Typ, der für den 6. Januar verantwortlich ist, wird kaum das Wohl des Landes priorisieren.“
Luis trägt Shorts, Sonnenbrille und Freizeitkleidung. Er ist auf dem Weg an einen Grenzort, wo er die Freundin treffen will. „Sie ist auch Latina, aber sie tendiert Richtung Trump“, sagt er. Luis kennt auch einige andere Latinos in seinem Umfeld, die sich von der Republikanischen Partei angesprochen fühlen.
Auch sein Eindruck ist, dass es heute mehr Latinos in Texas gibt, die für die Republikaner stimmen. „Die Republikaner haben viel Geld in Latino-Distrikte gesteckt“, sagt er. Bei der letzten Präsidentschaftswahl stimmten 38 Prozent der amerikanischen Latinos für Donald Trump.
Latinos in Texas sind keine homogene Gruppe, erklärt Luis. In den Distrikten entlang der Grenze, die zu den Republikanern übergelaufen sind, leben auch viele tejanos. So nennen sich die Nachfahren spanischer Siedler, die schon lange in Texas lebten, bevor der Staat zu Mexiko und dann später zu den USA gehörte. „Sie sehen sich selbst als außerhalb der mexikanischen Community stehend“, erklärt Luis. „Diese Leute fühlen sich nicht angesprochen, wenn Trump über Vergewaltiger redet.“
„Latinos sind keine monolithische Gruppe“
Schon Ronald Reagan sagte, dass die Republikaner eigentlich die „natürliche“ Partei für Latinos in den USA sei. Glauben und konservative Werte seien schließlich Domänen der Republikaner. Auch Luis sagt über sich, dass er sich früher eher als Konservativer verstanden hat, doch die Partei habe sich von ihm „entfremdet“. Die aggressive Rhetorik gegenüber Einwanderern mache es ihm heute unmöglich, seine Stimme der Partei zu geben.
„Latinos sind keine monolithische Gruppe“, betonte auch die Interessengruppe League of United Latin American Citizens, die Latinos in den USA vertritt, in einem Positionspapier im Jahr 2016. „Hispandering“ nennt die Organisation die offensichtlichen Versuche beider Parteien, sich dieser großen Wählerschaft zu nähern.
In der Wortschöpfung werden die Begriffe „Hispanic“ – ein älteres Wort für Latinos oder spanischstämmige Personen – und „Pandering“, was so viel wie Anbiedern bedeutet, kombiniert. Beim Hispandering sprechen Kandidat:innen schlechtes Spanisch, beschreiben sich selbst als abuelos, Großeltern, oder lassen sich dabei aufnehmen, wie sie den Cinco de Mayo feiern, einen mexikanischen Nationalfeiertag, der vor allem von Weißen in den USA als eine Art Saufparty mit lateinamerikanischem Einschlag gefeiert wird.
Damit stehen Demokraten und Republikaner vor der großen Aufgabe, eine Wählergruppe für sich zu gewinnen, deren politische Einstellungen genau so komplex sind wie die weißer Amerikaner.
Zwischen dem Ex-Demokraten Dennis Casillas in San Antonio und dem Ex-Republikaner Luis in Austin liegen zwar nur knapp 130 Kilometer Autobahn, aber dennoch dieselbe Kluft, die auch zwischen vielen anderen Anhängern der beiden großen Parteien liegt. Eine politische Strategie, die Tejanos, eingewanderte Mexikaner:innen und Latinos aus anderen Regionen gleichsam einnimmt, wird schwer zu finden sein.
Luis ist sich nicht sicher, wer im November gewinnen wird. „Wirtschaftlich sieht es nicht so gut aus, und ich weiß, dass das meistens den Amtsinhaber trifft“, sagt er. Am Ende sei ihm die Rhetorik der Kandidaten im Wahlkampf aber auch weniger wichtig als das, was rauskomme. Er betont: „Mir ist egal, was sie sagen: Ich will einfach, dass sie ihren Job machen.“
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