Laschets Afghanistan-Äußerung: Schreckgespenst im Wahlkampf
„2015 darf sich nicht wiederholen“ – CDU-Kanzlerkandidat Laschet reagiert mit einem konservativen Mantra auf die Lage in Afghanistan. Das ist würdelos.
Der Satz „2015 darf sich nicht wiederholen“ ist ein reaktionäres Stoßgebet, das man langsam nicht mehr hören kann. Es ist ungemein beliebt und unglaublich dumm. Unzählige Male haben UnionspolitikerInnen diesen Satz wiederholt, nachdem im Jahr 2015 Hunderttausende über die Balkanroute nach Deutschland flohen. Angela Merkel sagte ihn auf dem CDU-Parteitag 2016, Jens Spahn sagte ihn 2020 nach dem Brand im Flüchtlingscamp Moria und jetzt, angesichts der dramatischen Lage in Afghanistan, wählte Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet den Satz als Teil seiner Reaktion auf die Eroberungen durch die Taliban.
Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Während sich in Afghanistan Menschen in Todesangst vor den Taliban verstecken, scheint für Laschet einer der wichtigsten Punkte zu sein, den Deutschen zu versichern, dass ihr Wohlbefinden nicht beeinträchtigt sei. Wie Laschet das Thema in den innerdeutschen Wahlkampf zieht, ist unseriös und würdelos.
Ihr braucht keine Angst zu haben, heißt dieser Satz, wir werden nicht zulassen, dass noch einmal so viele Geflüchtete nach Deutschland kommen. Laschet will beruhigen, aber er tut das, indem er die Angst vor anderen Menschen schürt und instrumentalisiert. Im Jahr 2015 passierte ja vieles, von dem man sich wünscht, es möge sich nicht wiederholen. So war zum Beispiel die EU auf die Folgen des Bürgerkriegs in Syrien nicht gut vorbereitet. Aber hier geht es um eine andere Chiffre. Wenn Konservative über „das Jahr 2015“ sprechen, das sich nicht wiederholen dürfe, meinen sie die Zuwanderung von 890.000 meist aus Syrien stammenden Geflüchteten, die die Gesellschaft polarisierte.
Ein solches Narrativ ist mächtig, weil es, oft genug wiederholt, Einstellungen von Menschen ändert. Indem Konservative die Zuwanderung als Unglück darstellen, das in jedem Fall zu vermeiden sei, werten sie hilfsbedürftige Menschen pauschal ab. Denn die erschöpften Männer und Frauen, die damals über die ungarische Autobahn in Richtung Deutschland liefen und teils ihre Kinder auf den Schultern trugen, werden nicht mehr als Schutzsuchende mit Rechten gesehen, die ihnen zum Beispiel die Genfer Flüchtlingskonvention garantiert, sondern als Bedrohung, die es fernzuhalten gilt.
Wessen Krise war 2015?
Das verdreht die Realität auf perfide Art. 2015 war keine Katastrophe für Deutschland, auch wenn die AfD bis heute gerne so tut. Die sogenannte Flüchtlingskrise war eine Krise für die Geflüchteten, aber ganz sicher keine der deutschen Bevölkerung. Auch diejenigen, die Angela Merkels humanitäre Geste, die Grenzen offen zu lassen, damals falsch fanden, müssen anerkennen, dass die Republik seitdem keineswegs untergegangen ist. Dem Land geht es gut, es gibt viele Beispiele für großartiges Engagement in der Zivilgesellschaft und für gute Integration der syrischen Zugewanderten.
Trotz flüchtlingspolitischem Ausnahmezustand passierte 2015 also nichts, vor dem man warnen müsste. Das Jahr – und die folgenden – lieferten eher ermutigende Beweise für das Funktionieren des deutschen Staates und der Gesellschaft. Merkel wurde damals auf der ganzen Welt für ihre Politik gelobt. Das wäre übrigens ein Spin, der für einen modernen CDU-Kanzlerkandidaten erfolgversprechend sein könnte. Und er würde auch besser zu dem Armin Laschet passen, der sich früher in Nordrhein-Westfalen als Integrationsminister für eine fortschrittliche Migrationspolitik starkmachte.
Laschets Einlassung wirkt auch aus einem anderen Grund seltsam ängstlich. Den Deutschen, schwingt da mit, ist nicht zuzumuten, dass Leid und Not plötzlich vor ihrem eigenen Vorgarten stehen. Kurze Zwischenfrage: Warum eigentlich nicht? Gibt es ein gottgegebenes Recht darauf, von den Zuständen der Welt unbehelligt zu bleiben? Wenn die CDU weiter so wenig gegen die Klimakrise tut, wie sie es in den vergangenen 16 Jahren tat (und wenn China, Indien oder die USA sich ähnlich ignorant verhalten), wird es der Normalzustand sein, dass Menschen vor der Hitze nach Europa flüchten.
Der Satz „2015 darf sich nicht wiederholen“ drückt also einerseits eine Zukunftsblindheit aus, die ihresgleichen sucht. Gleichzeitig ist er in den allermeisten Fällen eine populistische Übertreibung, denn Geschichte wiederholt sich niemals eins zu eins. Wie gesagt, Spahn nutzte eine ähnlich lautende Mahnung im CDU-Präsidium nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, bei dem 13.000 Menschen ihre Unterkunft verloren. Damals ging es nur um einen Bruchteil der Anzahl Menschen, die 2015 aufgenommen wurden.
Laschet fordert das Richtige
Doch das war Spahn egal, er wusste, was die Warnung bei vielen auslöst. Kein Anlass ist zu klein für das große Schreckgespenst ungebremster Zuwanderung. Ähnlich ist es nun bei Laschet und Afghanistan.
Im Moment geht es darum, Menschen, die durch die Taliban bedroht sind, auszufliegen – zum Beispiel die HelferInnen der Bundeswehr vor Ort samt ihren Familien. Das stellt ja auch der CDU-Kanzlerkandidat auf Twitter fest. Deutschland müsse bereit sein, „sofort besonders gefährdete Frauen – Bürgermeisterinnen, Lehrerinnen und Aktivistinnen – und ihre engsten Familienangehörigen vor dem Tod zu retten und aufzunehmen“, fügt Laschet hinzu. Damit liegt er richtig.
Warum hat er danach die Warnung vor 2015 nicht einfach weggelassen? Wenn er sich selbst ernst nähme, wäre diese Übertreibung überflüssig. Es war auch die Angst vor dem Stammtisch, die die Große Koalition davon abhielt, die afghanischen HelferInnen rechtzeitig zu retten. Zynisch könnte man sagen, dass Laschets Wahlkampfmove sehr gut dazu passt. Aber der Not der Menschen in Afghanistan wird das nicht gerecht.
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