piwik no script img

Landtagswahlen Rheinland-PfalzIm Bel Air von Oggersheim

Das Haus von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl in Ludwigshafen-Oggersheim sagt viel aus über den Wahlerfolg dieses Mannes.

Kanzlerdomizil: Der Bungalow der Familie Kohl in Oggersheim Foto: Kai-Uwe Wärner/picture-alliance

Ludwigshafen taz | Zufällig kommt wohl niemand in diese Straße, wer in sie hineinfährt, muss dort ein Ziel haben. Sie geht von der Weimarer Straße ab und mündet auch wieder in diese hinein. Durchgangsverkehr? Null. Ein Flecken in Ludwigshafen, er ist vom Namen her in gewisser Hinsicht weltberühmter als der ansässige BASF-Konzern am nördlichen Rheinufer der Stadt: Oggersheim.

Dort lebte Kanzler Helmut Kohl, zur Welt gekommen in einer Gegend, die auch zu dieser Stadt gehört, Friesenheim. Doch Oggersheim, leichte Randlage am Ort, nahe einem Autobahnanschluss, das ist die ortsnamengewordene Chiffre für Biederkeit, für Saumagen und gedungene Gemütsamkeit.

Ach was! Oggersheim selbst ist hübsch und wohlgepflegt. Beschränkungen wegen Corona mögen zu einer gewissen Leere dieses Fleckens beitragen, an diesem grell sonnigen Tag, kalt an Temperatur, scheint es besonders ausgestorben, doch eine gewisse Jovialität scheint der Flecken zu verströmen, Traditionsbierhaus inklusive.

Der Charakter der Straße, in die die Kohls mit ihren Kindern 1971 zogen, erschließt sich auf Anhieb. Hier, in der Marbacher Straße, ist alles Bungalow. Nummer 11, da wohnte er, da soll noch seine zweite Ehefrau Maike leben.

Man grüßt sich hier

In Oggersheim, das ist auf dem Weg vom Bahnhof ins Kohl’sche Viertel zu bemerken, wird intensiv gegrüßt. Wem auch immer man begegnet – man erhält ein „Guten Tag“ oder ein gewogenes Kopfnicken wie nebenbei. Sozial auffällig ist wohl, wer sich an diesen Comment nicht hält: Das ist für Berliner natürlich schwer zu verstehen, da doch in der Hauptstadt als kultureller Code gilt, einander in jeder Eile zu übersehen.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Leer ist es, nichts als leer – und wahnsinnig still. Kein Musikfetzen, keine Stimmen aus den Häusern, kein Muckser anderer Art. Aber es muss soziales Leben geben, sonst. Es gibt Erzählungen von Nachbarn des früheren Kanzlers, die davon berichten, wie stolz sie darauf waren, neben ihm oder wenigstens in seiner Straße zu wohnen.

Oh, da habe er geklopft, heißt es, komm doch mal rüber, und dann verschwand man im Kohl’schen Haus und ließ sich vom Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz – später Oppositionsführer gegen Helmut Schmidt, schließlich Kanzler, danach im politischen Halbruhestand – erklären, was immer er erklären wollte.

Ein Mann der Leutseligkeit, heißt es, eine Familie, ruhig und unauffällig; die Hannelore, die Gattin, die fuhr zum Einkaufen, heißt es, gern nach Mannheim, wo es ja deutlich besser zum Shoppen ist.

Eine Architektur der Diskretion

Eine gewisse Grundversiegeltheit scheint über dem Quartier zu liegen. Buchstäblich alle Häuser sind architektonisch auf kommunikative Diskretion angelegt. Amerikanische Häuser, selbst die prächtigsten, haben meist die Frontseite so gestaltet, dass sie Platz für eine Porch bietet, eine Veranda mit Blick zum Öffentlichen der Straße, schwatzbar, grüßfähig.

Aber das ist hier im Oggersheimer Viertel so wie fast überall in Deutschland: Veranden, die Verschlossenheit signalisieren, sind eher das Übliche. Zu dieser Zeit am frühen Nachmittag ist nur ein Moment konkret lebendig, drei Mitarbeiter, ausweislich der Aufschrift eines Lieferautos von einer Metzgerei und Cateringfirma.

Auf dem Schild des Hauses scheint alles wie früher. „H. Kohl“ steht dort. Ein breiter Eingang führt zur halbetagig tiefer gelegenen Garage. Kein Fenster zur Straßenfront, soweit ersichtlich. Keine Schnörkel, kein misslicher Zierplunder, der Anstrich wie vermutlich seit Jahrzehnten in neutralstem Weiß.

Einer wie Helmut Kohl mit Familie wurde dort an einem besseren Ortsrand mit leichter Hügellage sesshaft, insgesamt eine Lage, die sich wie das Bel Air von Oggersheim ausnimmt. Hier leben die, die es zu was gebracht haben oder bringen werden, Anbau für Anbau an Häusern, öfters auch mit Carport. Man erkennt beim längeren Weg zum Omnibus – es ist keine Gegend des öffentlichen Nahverkehrs –, dass schon eine Straße weiter alles ja auch noch proper aussieht, ebenfalls teuer auf den Immobilienmärkten, doch ärmer.

Modernisierung auf Kohls Art

Insofern wäre es ein Missverständnis, Kohl und seine privatfamiliäre Lebensform als, gemessen an damaligen Mustern, hinterwäldlerisch wahrzunehmen. Der modernisierte sich auch, emporgewachsen aus Zweitweltkriegsverhältnissen, in Friesenheim groß geworden, zeigte mit dem Oggersheimer Zuhause den Aufstieg an und ließ das „Habe ich geschafft“-Moment ins Werk setzen.

Dass sein professionell gezeichnetes, durch allerlei konservative Medien fleißig kolportiertes Bild von der heilen, intakten, braven, unauffälligen Familie Kohl ein trügerisches war, das wollte damals niemand so genau wissen. In der Marbacher Straße 11 schied später seine Frau Hannelore selbstgewählt aus dem Leben.

Auch die Wohnstätten anderer Kanzler sind von starker Unauffälligkeit. Nur der erste Kanzler Konrad Adenauer, der kam zu seinem Job nicht aus dem Nichts, er war ja vor seiner bundesdeutschen Karriere Oberbürgermeister von Köln und lebte in seinem gartenberühmten Spitzdachhaus in Rhöndorf. Aber auch dessen Heim erinnert nicht an den kitschigen Pritzi­protz Putins am Schwarzen Meer.

Auch Schmidt wohnte unauffällig

Zu Helmut Kohls Wohnvita am nächsten steht sein Vorgänger Helmut Schmidt, der wie Kohl erst nach einigen Jahren Karriere zum eigenen Heim fand, in Langenhorn, Hamburg, Neubergerweg, wie Kohls Haus eher in Verborgenheit siedelnd. Der Unterschied ist nur: Schmidts Haus ist inzwischen ein Archiv in dessen eigener Sache, gelegentlich sind sogar Führungen möglich, bei denen man erkennt, wie luftig und also modern, antimiefig, dieser Sozialdemokrat mit seiner Frau Hannelore sich einzurichten wusste.

Ein Museum für Helmut Kohl in dessen Haus ist nicht vorgesehen, kulturelles oder behördliches Interesse? Keines. Und das ist wirklich schade, denn das Haus an der Marbacher Straße 11 an der grünen Flanke Oggersheims erklärt mehr vom Wahlerfolg dieses Mannes als so viele Analysen über die Jahre der CDU unter und mit ihm. Es zeigt, womit in Rheinland-Pfalz nicht zu punkten ist – mit Pomp und Protz. Hier ging es auch um Bimbes, um Geld, um Spenden, ob ordentlich gebucht oder nicht, und hier ging es um das wahre Leben.

Kohls Haus ist so unauffällig, so antisakral beiläufig irgendwie in der randständigen Landschaft des Städtchens, dass es schmerzt: So wenig Glamour war selten. Er war ein Mann mit Nachkriegslebenslust. Er hatte mehr Gier und Hunger nach dem prallen Leben als fast alle anderen zu seiner Zeit – nur eben nicht: in Oggersheim. Da war er ein Nachbar, ein rheinland-pfälzischer Traum, der Popularität erntete.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Ganz ehrlich, ich vermisse ihn manchmal, den guten alten Helmut Kohl...als Kind der Achtziger war er halt ne gewisse Konstante...und auch liberal im Vergleich zu Strauß, der hätte es ja auch werden können...

  • Da Ihr Link "Oggersheim selbst ist hübsch und wohlgepflegt" nicht funktioniert, hier ein funktionierender Link zum wohlgepflegten Oggersheim:

    www.flickr.com/pho.../72157718630196278

    (Man beachte das Bild von dem Laden, wo wohl Kohl wohlgepflegt seinen Fernseher gekauft haben mag! ;-)

  • Ich finde, Loki Schmidt hat es nicht verdient, Hannelore genannt zu werden...

  • Eigentlich ein Südhang, wurde dieser durch eine meterhohe Aufschüttung zur Ebene gemacht. Oder ist in dem Sockel anderes versteckt? Das Grundstück ist an sich recht beengt zwischen zwei Straßen gelegen, in der Nähe die Autobahn und ein Kleeblatt mit einer autobahnähnlichen Bundesstraße. Kein Ort, an dem ich leben wollte.

  • Sobald sich irgendwo die Phrase ankündigt, dass irgendetwas etwas aussagt, werde ich hellhörig, so auch hier.



    Wenn ich den Artikel richtig verstanden habe, sagt das Kohl-Haus nichts über seinen Wahlerfolg aus, wie es oben angekündugt wird, sondern es sagt etwas darüber aus, wie man keinen Wahlerfolg hat?!

    • @Ber.lin.er:

      Ich fand schon, dass der Artikel etwas ausgearbeitet hat, nämlich die Tatsache dass diejenigen die den Bimbes Kohl gewählt und bewundert haben aus genau solchen miefigen Quartieren kommen wie dieses Einfamilienhaus zersiedelte Oggersheim, Musikantenstadl Klatscher - Fussballdeppen - Laubbläserprotzer - Mäuerchen ums Haus Bauer...

      • @Super Constellation:

        Also, was sagt das Haus von Kohl über seinen Wahlerfolg aus.

        Ich habe Kohl auch gewählt und komme aus einer hippen Mietkaserne in Berlin. Ich glaube auch nicht, dass die Masse der knapp 18 Mio. CDU-Wähler 1990 in solchen Häusern wohnte. Genauso wenig glaube ich übrigens, dass ich ein Musikantenstadl Klatscher, Fussballdepp, Laubbläserprotzer oder - Mäuerchen ums Haus Bauer bin.

  • Man stelle sich einmal vor: Sie oder ich hätten Geld gesammelt, das im Verdacht steht illegal zu sein. Sie oder ich würde sich vor Gericht weigern, die Herkunft des Geldes zu offenbaren. (Es geht nicht nur um ein paar Tausender!) Das Gericht würde Sie oder mich in Beugehaft nehmen!!!

    Hier entschied kein Gericht, sondern sogar ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Aber eben diese Institution verweigerte gesetzestreues Verhalten. Sie ließ den Kohl ohne Konsequenzen ziehen, obwohl er gegen von ihm selbst verfassten Gesetze verstoßen hatte! Erinnern Sie sich noch an Kohls Spruch: Was geht mich mein Geschwätz von gestern an? Er stand nach seinem Dafürhalten über dem Gesetz!

    Wenn es darauf ankommt, dann sind vor dem Gesetz doch NICHT alle gleich. Bei Orwells 'Farm der Tiere' genossen die Schweine Privilegien, bei uns war es ein abgewählter Ex-Regierender.

    Nein! Einen Kohl-Gedenkort wünsche ich mir nicht!

    Heute steht die Regierung wieder vor einer Entscheidung, ob und wie straffällige Spießgesellen zu behandeln sind. Abgeordnete, die sich an der unverschuldeten Not der Bürger bei der Maskenpflicht bereicherten, werden vielleicht bestraft - oder auch nicht. Die Bestechungssummen hat die gesamte Bevölkerung bezahlen müssen. Gilt da: Eine Krähe hackt der anderen ... ?

    • @fvaderno:

      Nach welcher Rechtsgrundlage würden Sie in Beugehaft genommen werden?

      Wenn Sie im Verdacht stehen, etwas Illegales gemacht zu haben, dann sind Sie nicht verpflichtet, an der Aufklärung mitzuwirken - es ist ein Rechtsstaatsprinzip, dass sich niemand selbst zu belasten braucht.

      Es hatte niemand die Möglichkeit, Helmut Kohl zur Aussage zu zwingen.

    • @fvaderno:

      Das Geschwätz war von Adenauer, und auch sonst hat Ihr Kommentar wenig mit den Häusern in Oggersheim zu tun.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - legt nach:





    "Oggerschheim

    ...erinnert nicht an den kitschigen Pritzi­protz Putins am Schwarzen Meer." Somit haben wir das auch untergebracht. [....]



    "Er hatte mehr Gier und Hunger nach dem prallen Leben als fast alle anderen zu seiner Zeit" Scheiß Bulemie.“

    kurz - Eben. “Entscheidend ist was hintern rauskommt!“ - 🍐 - 😱 -

  • Ja wie? Musik fehlt? Zu Glämmer & Waschbeton?

    🥚jòò 🥚jòò - na do! Schön. Andreas Rebers laß gehn:



    m.youtube.com/watch?v=bp-V5_jQHi



    & Ach was!



    “ So wenig Glamour war selten. Er war ein Mann mit Nachkriegslebenslust. Er hatte mehr Gier und Hunger nach dem prallen Leben als fast alle anderen zu seiner Zeit…“



    Auf alle Falle - wie beim Eierwurf in Halle



    m.youtube.com/watch?v=ZgVwMa4hmXg



    & zum Abschluss zu sojet Saumagen-Erguß =>



    m.youtube.com/watch?v=bmisW-igJqQ



    Wie passend => Helmut Kohl vs. SPIEGEL TV:



    "Sie sind der dümmste Journalist Deutschlands!"



    “Nachkriegslebenslust“? - Fehlt nur noch Marianne Weber - 🤫 -



    & die 🍐 taz - BLÜHENDE LANDSCHAFTEN - 🤑



    images.app.goo.gl/Ej53ZMs4Py59QzdQA



    Ihr Feiglinge - 😱 - Das ging daneben! Fürwahr!

    kurz - “Your Health!“ - “Your Dunkles!“ - 👻 -



    Hofberichterstattung Bayernkurier di taz - 👹 -



    “Sie Düffeldoffel!“ - Danke Onkel Herbert! - 😂 -

    • @Lowandorder:

      Ich finde es in diesem Zusammenhang durchaus erwähnenswert, daß der Kohlkumpel und Ex-Finanzminister Doktor Theo Waigel einen Sohn hat, Doktor Christian Waigel und derist doch tatsächlich Honorarkonsul von.......

      Liechtenstein!

      Und wer ist der Nachfolger im Wahlkreis von Theo? Richtig derb Doktor Nüsslein, genau der, der Masken Nüsslein!

      • @Super Constellation:

        Eine ähnliche "Beziehung" zu Kohl könnte an vermutlich zu fast allen CDU-Bundestagsabgeordneten herstellen.