Labour-Parteitag in Großbritannien: Premierminister im Wartestand
Oppositionsführer Jeremy Corbyn sieht seine Partei kurz vor der Machtübernahme. Dahinter müssen Streitthemen wie Brexit zurückstehen.
Für Corbyn galt es, der britischen Öffentlichkeit zu beweisen, dass er ein angemessener Premierminister im Wartestand ist.
Corbyn kam relativ spät in seiner Rede auf das die Konferenz bestimmende Thema zu sprechen: Brexit. Er machte dabei einmal mehr deutlich, dass er einen Labour-Sieg bei einer eventuellen Neuwahl nur dann als sicher erachtet, wenn die eigene Partei weiter auf dem Pfad eines EU-Austritts bleibt – den Wählerinnen aber ein besseres Verhandlungsergebnis mit Brüssel verspricht als jeder Deal, den die Konservativen hinkriegen würden.
Nur in einem Satz erwähnte er den hart errungenen Parteitagsbeschluss vom Dienstag, der für den Fall, dass es keine Neuwahlen gibt, alle Optionen offenhält – auch die eines zweiten Referendums, ein Wort, dass Corbyn allerdings nicht einmal in den Mund nahm.
Das Thema einer weiteren Brexit-Abstimmung wird Labour aber weiter nicht zur Ruhe kommen lassen. Denn so laut auch der Beifall für Corbyns entsprechende Ausführungen war, ebenso großen Applaus der Parteitagsdelegierten hatte am Dienstag Labours Brexit-Beauftragter Keir Starmer erhalten.
Der wich nämlich von seinem vorab publizierten Redemanuskript ab und betonte, bei einer neuerlichen Abstimmung sollten die Wähler auch für einen Verbleib in der EU votieren können. Das hatten Schattenfinanzminister John McDonnell und Gewerkschaftsboss Len McCluskey zuvor vehement ausgeschlossen.
Theresa May kurz vor dem Kollaps?
Während des gesamten Parteitags zeigten sich vor allem dezidiert linke Labour-Abgeordnete davon überzeugt, dass die Regierung von Premierministerin Theresa May kurz vor dem Kollaps steht und der Wählerwille Labour an die Regierung tragen wird.
Zum Abschluss Konferenz des Corbyn-treuen linken Basisnetzwerks „Momentum“ am Dienstag forderte die junge Labour-Parlamentarierin Laura Smith sogar einen Generalstreik, sollte „die brutale und herzlose Tory-Regierung“ nicht mit Neuwahlen aus dem Amt gejagt werden können. Sie erhielt stehende Ovationen.
Vizeparteichef Tom Watson, einer der wenigen in einem Führungsamt verbliebenen Nicht-Corbynistas, kommentierte daraufhin, Smith habe sich von der Stimmung auf der Veranstaltung zu einer unachtsamen Äußerung hinreißen lassen.
Corbyns Kurs, seiner Abschlussrede nach zu beurteilen, rückt die Partei nicht gerade in Richtung Arbeiteraufstand, aber dennoch signifikant nach links. Er ging noch über das Parteiprogramm zu den Wahlen 2017 hinaus und versprach nicht nur, die Bahn wieder zu verstaatlichen und Wasser- wie Elektrizitätsbetriebe zu rekommunalisieren, sondern auch, Verbraucher und politische Vertreter zu Entscheidungsträgerinnen in den öffentlichen Unternehmen zu machen.
Auch wenn Corbyn dieses Labour-Wirtschaftsprogramm und die angestrebte ökologische Transformation moderat und versöhnlich vorzutragen wusste: Das Gehörte könnte die so tief gespaltenen Konservativen auf ihrem Parteitag kommende Woche in Birmingham wieder stärker hinter ihrer Chefin Theresa May versammeln, die alles daran setzen wird, eine Labour-Regierung als Desaster zu zeichnen, vor dem selbst noch ein harter Brexit verblasst.
Jüdische Abgeordnete unter Polizeischutz
Damit Labour zumindest nicht die jüdischen Wähler an die Konservativen verloren gehen, ging Jeremy Corbyn im übrigen gleich am Anfang seiner Rede auf den Antisemitismus-Streit in seiner Partei ein. Der schwelte auch in Liverpool weiter. Die jüdische Abgeordnete Luciana Berger stand unter Polizeischutz, während sie sich auf dem Parteitag in ihrer Heimatstadt aufhielt.
Die von der linken Gruppe „Jewish Voice for Labour“ veranstaltete Premiere eines Films über eine allerdings selbst des Antisemitismus beschuldigte linke, jüdische Momentum-Aktivistin musste wegen einer Bombendrohung abgebrochen werden.
Antisemitischen Tendenzen erteilte Corbyn eine deutliche Absage, bezeichnete Labour als Verbündete der jüdischen Gemeinde, blieb aber die von vielen jüdischen Parteimitgliedern erhoffte Entschuldigung angesichts eigener Uneindeutigkeiten in der Vergangenheit schuldig.
Und wenig später erneuerte er, während ein Delegierter im Saal eine riesige Palästina-Flagge schwenkte, seine Kritik an Israels Besatzungspolitik und das diskriminierende neue Nationalitätsgesetz. Im Falle eines Wahlsiegs stellte er eine schnelle Anerkennung eines palästinensischen Staates in Aussicht.
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