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Kurswechsel beim Linken-VorstandFür Lockdown und für Impfpflicht

Der Vorstand der Linken befürwortet eine Impfpflicht für Erwachsene. Außerdem werden mehr Impfteams und ein sozial abgefederter Lockdown gefordert.

Der Anstoß zur Forderung der Impfpflicht kam auch von der Ko-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow Foto: Fotostand/imago

Berlin taz | Auch der Vorstand der Linkspartei stellt sich nun hinter eine allgemeine Impfpflicht für Erwachsene. In einem am Dienstagabend verabschiedeten Beschluss heißt es: „Die Linke steht an der Seite der Wissenschaft und fordert deshalb einen Lockdown sowie eine allgemeine Impfpflicht für Volljährige als Mittel zum Kampf gegen die herrschende Sars-CoV-2-Pandemie.“ Die Impfpflicht werde die vierte Welle zwar nicht mehr brechen können, sei aber als Ultima Ratio ein entscheidendes Instrument, um weitere Wellen zu verhindern und Menschenleben zu retten.

Zuvor sollten aber alle noch existierenden Hürden abgebaut werden, um die Impfquote zu erhöhen. So brauche man mobile Impfteams, Impfzentren und „Gespräche, Gespräche und wieder Gespräche“.

Eine nur für bestimmte Berufsgruppen geltende Impfpflicht hält der Vorstand der Linken dagegen für unangebracht. Man befürchtet, dass diese dazu führt, dass „noch mehr Druck und Verantwortung auf den Schultern des Pflegepersonals“ abgeladen werde.

Mit dem Beschluss vollzieht die Führung der Linkspartei einen partiellen Kurswechsel. Spitzenpolitiker:innen, wie die Vorsitzende Janine Wissler, hatten zwar immer fürs Impfen geworben, sich aber gegen einen Impfpflicht ausgesprochen. Der Anstoß, diese als letztes Mittel nun doch zu befürworten, kam von der Ko-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Thüringer Spitzenpolitiker:innen, wie Gesundheitsministerin Heike Werner. Zuvor hatte der Thüringer Landesverband sich bereits zu einer allgemeinen Impfpflicht bekannt.

Impfpflicht bleibt in der Linken umstritten

Das Thema ist in der Linken wie in der gesamten Gesellschaft nicht unumstritten. So ist die linke Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard gegen eine Impfpflicht. Im Interview mit der taz sagte Bernhard zuvor, sie glaube nicht, dass wir über eine Impfpflicht tatsächlich die Impfquote erhöhen. „Unsere Erfahrung hier in Bremen ist eine andere. Ich glaube, es wird nur mit Überzeugung gehen. Das mag anstrengender und aufwändiger sein, aber es ist nachhaltiger.“

Die ehemalige Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht ist sogar offen skeptisch gegenüber Impfungen mit den neuen mRNA-Impfstoffen, wie sie Moderna oder Biontech verwenden.

Auch in der Sitzung des Parteivorstands am Dienstagabend fiel die Entscheidung pro Impfpflicht nur knapp mit 18 zu 14 Stimmen. Mit großer Mehrheit verabschiedeten die digital tagenden Ge­nos­s:in­nen dagegen die Forderung nach einer „solidarischen Notbremse“ und befürworten sofortige Kontaktreduktion und die Absage von Großveranstaltungen. Alle Maßnahmen müssten aber sozial aufgefangen werden. So fordern die Linken, dass Kurz­ar­bei­te­r:in­nen 90 Prozent ihres Lohnes erhalten.

Außerdem wiederholte der Parteivorstand die Forderung nach einer Freigabe der Lizenzen für Impfstoffe. Die Entdeckung der neuen Virusvariante Omikron zeige, dass die Pandemie nur global besiegt werden könne, „durch hohe Impfquoten weltweit.“

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9 Kommentare

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  • "Gespräche, Gespräche und wieder Gespräche" - beschreibt ganz gut die Realität: Um nen Impf-Termin zu bekommen, helfen nur tausende Mausklicks und Dutzende Telefonate, besonders aufm Land: Gespräche, Gespräche und wieder Gespräche. Der Staat hat sich als der größte Impf-Verweigerer erwiesen, und jetzt soll plötzlich alles ganz schnell gehen ?

  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Die Impfpflicht ist ein Thema aus dem politisches Kapital geschlagen und von der aktuellen Situation abgelenkt wird.

    70% Impflinge, 11% Kinder unter 12 Jahre, 7% Genesene und eine wahrscheinlich ebenso hohe Dunkelziffer Genesener sind 95% der Bevölkerung. Die Zahlen sind alle abgerundet. Die Herdenimmmunität ist ein Trugbild am Ende der Tunnelwand. Die Ungeimpften werden als Sündenbock missbraucht.

    In der aktuellen Situation würde eine Impfpflicht genau den Risikogruppen die Impfstoffe entziehen, die wirklich auf die Impfstoffe angewiesen sind.

    Vor allem da in ein paar Wochen voraussichtlich bundesweit die Intensivbetten knapp werden. Alle Wissenschaftler sind sich einig, dass eine Impfpflicht die aktuelle Welle nicht bricht. Im Winter und Frühjahr 2020 wurde in Berlin ein Notkrankenhaus mit 1000 Betten aufgestellt. Damals fehlte es an Schutzkleidung, Beatmungsgeräten und Masken. Heute brauchen wir keine Notkrankenhäuser, denn heute fehlt das Personal.

  • Dem schwurbelnden Relativismus zum trotz liegt doch unbestreitbar ein Zynismus in der Tatsache, erwachsenen Menschen die Entscheidung über ihren Tod sich selbst zu überlassen wider besseren, aufgeklärten Wissens. Jeder sollte ein Recht auf kostenlosen Impfschutz haben, vor COVID und anderen Krankheiten! Das die gesetzlichen Krankenkassen beispielsweise keinen FSME Impfschutz übernehmen, ist die übliche Abwertung sozial Schwacher und sozial Solidarischer Krankenkassenbeitragszahler.

    • @Paule :

      Bei mir hat die gesetzliche Krankenkasse FSME übernommen. Kein Risikogebiet, aber recht nahe dran. Und ich habe fürchterlich viele Zecken hier, vielleicht hat das als Begründung gereicht?

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Ich habe alle Bauchschmerzen bezüglich einer Impfpflicht auch - und ich bin trotzdem dafür. Insofern bleibt die Linke mit diesem Beschluss auf meiner Linie, was ich begrüße. ;)

    Aber es würde sicher helfen, wenn man die Impfpflicht zeitlich befristet - vielleicht 2 Jahre - und mit einer Überprüfungsklausel versieht.... Darüber ist bislang noch gar nicht geredet worden.

    Vielleicht kann man den Seuchenschutz generell mit Kriterien für sektorale oder generelle Impfpflichten versehen, die vermeiden, dass man diese Diskussionen bei Sars-CoV3 nicht wieder führen muss...

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Boandlgramer bringt Struktur in (die Sicht auf) die Welt: mit the best Kommentator von taz.

  • Ist die Partei "Die Linke" mit 4,9% denn noch relevant? Als die FDP vor Jahren ein ähnliches Ergebnis einfuhr, krähte kein Hahn mehr nach ihr.

    • @GregTheCrack:

      ich versteh auch nicht, warum die Linke noch Erwähnung findet. Denn selbst die Beschlüsse, DIE sie trifft, sind parteiintern nur schwer durchzusetzen und kommunikativ wohl kaum den Wählern zu vermitteln. Beispiel: Die Linke setzt sich für die Impfpflicht ein, Frau Wagenknecht wird gleichzeitig in verschiedene Talkshows eingeladen werden um zu erklären warum sie sich als prominente Linkenpolitikerin NICHT impfen lassen wird.



      Den Vergleich mit der FDP finde ich sehr passend, mit Brüderle und "wie hieß der andere nochmal" an der Spitze, war die Partei komplett irrelevant für die Berliner Republik geworden. Wiederholt sich gerade bei den Linken, auch wenn ich Frau Wissler für deutlich fähiger halte, als das damalige FDP-Personal...

  • Nimm das, Sahra!