Kurseinbruch im Dax: Gefährliche Schuldzuweisung

Der Aktienindex Dax fällt und die deutsche Wirtschaft schiebt die Schuld auf die kommenden Einschränkungen. Doch die hat nicht die Politik verursacht.

Eine Frau betrachtet ein SChaufenster in einer kleinstädtischen Einkaufsstraße

Lockdowns sind der schnellste Weg, um zur Normalität zurückzukehren: Hamburgs Innenstadt im April Foto: Nikita/imago

Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Schock: Der Aktienindex DAX ist bereits um etwa 10 Prozent gefallen, seitdem unübersehbar ist, dass die Coronapandemie zurückkehrt. Allerdings haben die Börsianer nicht etwa Angst vor dem Virus – sondern vor den Einschränkungen, die die Politik anordnen wird, um weitere Ansteckungen zu vermeiden.

In der deutschen Wirtschaft hat sich ein seltsam verqueres Bild durchgesetzt: Man strickt an der Legende, dass es der Konjunktur bestens ginge, wenn nur kein zweiter „Lockdown“ drohte. Dieses Narrativ ist extrem gefährlich, weil es die Politikverdrossenheit fördert. Zudem ist es schlicht falsch. Die Wirtschaft würde auch einbrechen, wenn es keine offiziellen Kontaktbeschränkungen gäbe. Nicht die Politik ist das Problem – sondern das Virus.

Die meisten Menschen sind nämlich nicht blöd. Sie wissen, dass Corona weitaus tödlicher ist als eine Grippe und höchst seltsame Spätfolgen nach sich ziehen kann. Auch ohne offiziellen Lockdown würden daher viele BürgerInnen Bars, Restaurants und Läden meiden, sobald die Infektionszahlen in die Höhe schießen.

Wie vorsichtig viele BürgerInnen sind, zeigte sich in den vergangenen vier Wochen. In den Geschäften waren 10 Prozent weniger Menschen unterwegs, wie Bewegungsdaten der Handys verraten. Dabei waren die Infek­tions­­raten im vergangenen Monat noch harmlos im Vergleich zu den Ansteckungsraten, die in nächster Zukunft zu erwarten sind.

Auch aus den USA weiß man, dass es ökonomisch nichts bringt, auf Lockdowns zu verzichten. Obwohl US-Präsident Trump stets bedacht war, die Wirtschaft „offen“ zu halten, ist die Wirtschaftsleistung zwischenzeitlich um 10 Prozent geschrumpft, und 10 Millionen Amerikaner wurden arbeitslos. Trumps Ignoranz hat Unternehmen und Beschäftigten nichts gebracht, aber rund 230.000 Menschen das Leben gekostet.

Es ist also genau andersherum, als viele Börsianer glauben: Lockdowns sind keine Zumutung, sondern der schnellste Weg, zur Normalität zurückzukehren.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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