Künstliche Intelligenz in China: Drang nach vorne
China strebt bei der KI an, Weltspitze zu werden. Um das zu erreichen, sammeln und verschränken Staat und Wirtschaft hemmungslos Daten.
Dong befürwortet den Plan der chinesischen Führung, in den nächsten zwei Jahren die Zahl der Überwachungskameras von derzeit landesweit rund 170 Millionen auf dann über 400 Millionen zu erhöhen. In sämtlichen Straßenzügen, großen Gebäuden, ja selbst öffentlichen Toiletten sollen Kameras aufgehängt werden, viele davon ausgestattet mit Gesichtserkennungssoftware. Mit wenigen Mausklicks lassen sich dann selbst auf unscharfen Bildern und in Menschenmengen einzelne Personen identifizieren, inklusive Alter und deren Bewegungsprofil. Stetig verbessert werden die Ergebnisse durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Auch in ihren Fabriken hat Unternehmerin Dong diese Technik schon installieren lassen.
Es sind Beispiele aus China wie diese, die derzeit viele Menschen im Rest der Welt erschaudern lassen. Die einen fürchten sich vor einer Ära der totalen Überwachung. Die anderen fürchten die chinesische Konkurrenz.
Denn die Wirtschaftsmacht aus Fernost ist auf dem besten Weg, Künstliche Intelligenz, die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts, zu dominieren. Chinas mächtiger Staats- und Parteichef Xi Jinping hat Künstliche Intelligenz (KI) auf seiner Parteitagsrede 2017 höchstpersönlich zu einem zentralen Pfeiler seiner Wirtschaftspolitik erklärt. Bis 2020 soll China Weltklasseniveau erreicht haben, ab 2025 dann bei der KI an der Spitze stehen.
Jetzt wird geklotzt
Wenn die chinesische Führung auf höchster Ebene ein solches Ziel ausgibt, passiert tatsächlich auch jede Menge. Fördermilliarden fließen, Provinzen überbieten sich bei der Ansiedlung von KI-Firmen. Auch bei der Bildung wird geklotzt: Schon ab der Unterstufe gibt es an Schulen Einführungskurse in künstlicher Intelligenz. Das Bildungsministerium hat im Frühjahr ein Schulbuch über künstliche Intelligenz landesweit zur Pflichtlektüre erklärt. Und Chinas Hochschulen bieten verstärkt Lehrveranstaltungen dazu an und ermutigen ihre Studenten zu Ausgründungen eigener Firmen.
Mit Erfolg: Einer Studie der japanischen Ingenieursfirma Astamuse zufolge meldet China bereits die weltweit zweitmeisten KI-Patente an: nur in den USA sind es noch mehr. Allein im Pekinger Viertel Zhongguancun, das wegen seiner vielen Tech-Firmen auch gern als Silicon Valley Chinas bezeichnet wird, haben sich in den letzten Jahren über 400 KI-Firmen angesiedelt. Viele davon sind Firmen, die junge Technikabsolventen der nahe gelegenen großen Pekinger Universitäten gegründet haben. Einige davon werden von der Zentralregierung unmittelbar gepampert, andere sind von sich aus hochprofitabel.
Horizon Robotics ist eine dieser KI-Firmen im Nordosten von Peking. Nach eigenen Angaben steht es bereits auch finanziell auf eigenen Füßen, neben vielen anderen investierte auch der US-Chiphersteller Intel in das Unternehmen. Horizon Robotics entwickelt spezielle KI-Chips, die neuronale Netze simulieren. Zum Einsatz kommen sie schon heute bei selbstfahrenden Autos. Der Autobauer Audi kooperiert bereits mit der Pekinger Firma.
KI-Chips sind das derzeit wichtigste Instrument für Deep Learning – ein Teilbereich des maschinellen Lernens, der auf der Vernetzung künstlicher Neuronen basiert. Die Technolgogie des Deep Learnings war es, die Künstlicher Intelligenz in den vergangenen Jahren international einen Schub gegeben hat – und so spielt sie auch in chinesischen Firmen eine große Rolle. Vereinfacht gesagt passiert dabei folgendes: Künstliche neuronale Netze werden mit Daten gefüttert. So sind sie im Stande, Verknüpfungen und Häufigkeiten festzustellen, was sie „gelernt“ haben, für neue Funktionen zu nutzen und selbstständig zu lernen. Übersetzung, Bilderkennung, Textinterpretation oder aber die Wahrscheinlichkeit eines Kreditkartenbetrugs können derartige Systeme so einschätzen lernen. Nötig sind dazu aber gewaltige Mengen an Daten.
Baidu, Tencent, Alibaba
Auch Firmen wie Google, Facebook und Amazon ist am Sammeln großer Datenmengen gelegen – brauchen doch auch sie diese zur Fortentwicklung und Verbesserung ihrer eigenen KI-Anwendungen und -Forschung. Doch in keinem Land der Welt ist es möglich, ungehemmt so viele Nutzerdaten wie in China zu sammeln. Und Baidu, Tencent und Alibaba – die chinesischen Pendants der US-Techriesen – können sowohl bei den Nutzerzahlen als auch vom Umsatz her mit den US-Techriesen mithalten.
Bei der KI-Anwendung sind sie ganz vorn dabei. Der chinesische Onlinehandel-Gigant Alibaba etwa setzt seit einiger Zeit auch auf ganz analoge Ladengeschäften. Und zwar, weil sie so das Konsumverhalten der Kunden noch besser ausspähen können – mithilfe von Kameras und Gesichtserkennungssoftware. Es wird aufgezeichnet und gespeichert, welche Artikel sich die Kunden anschauen – um ihnen später online noch treffsichere Kaufempfehlungen anzuzeigen.
An solchen Anwendungen basteln Google und Amazon zwar auch. Doch in China ist das Bewusstsein für Datenschutz und für die Gefahren, die in der Verknüpfung scheinbar belangloser Informationsschnipsel stecken, noch sehr viel geringer ausgeprägt als bei der Social-Media-Generation in westlichen Ländern. Vor allem, weil der chinesische Staat selbst dafür sorgt, dass ein kritisches Bewusstsein in der Bevölkerung gar nicht erst entsteht.
Social Scoring: die gelenkte Gesellschaft
Chinas Regierung ist derzeit dabei, ein Social-Scoring-System einzuführen, das das Verhalten jedes einzelnen Bürgers sowohl im Netz als auch im realen Leben genau unter Beobachtung stellen und entsprechend auswerten soll. Wer sich vorbildlich verhält, dem winken Prämien. Wer hingegen aus Sicht der kommunistischen Führung nicht dem Bild eines Musterbürgers entspricht, muss mit Sanktionen rechnen. In diese Social-Score-Berechnungen fließen auch Daten von chinesischen Konzernen wie Alibaba und Tencent. Diese Firmen werden sogar verpflichtet, ihre Daten dem Staat zur Verfügung zu stellen. Die Regierung will das Social-Score-Bewertungssystem, das in mehreren Pilotregionen bereits ausprobiert wird, bereits Ende nächsten Jahres auch in der Hauptstadt Peking einführen.
Wettlauf mit den USA
Die Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers spricht treffend von einem „KI-Rüstungswettlauf“ zwischen China und den USA. Viel wichtiger als der Handelskrieg sei der laufende Krieg um „Forschung, Investitionen und fähige Köpfe“.
Die Europäer tauchen als ernsthafte Konkurrenten um die strategisch-wirtschaftlichen Schlüsselanwendungen nichtauf. Die Deutschen gelten zwar als gut bei Spezialanwendungen wie Maschinensteuerungen, haben jedoch nach Ansicht der Wettbewerber das Problem, die Grundlagenforschung nicht schnell genug wirtschaftlich umzusetzen. Die jetzt von der Bundesregierung beschlossenen Ausgaben von 3 Milliarden Euro über mehrere Jahre sind so nur ein Tropfen auf den heißen Stein. In China gibt allein Peking so viel aus.
Vieles der gepriesenen KI-Technik ist freilich noch Zukunftsmusik – auch in China. Und dass die Technik offenbar noch Macken hat, bekam unlängst ausgerechnet die patriotische Unternehmerin Dong Mingzhu zu spüren. Das Kamerasystem der Polizei, Ningbo, in das seit 2017 auch die Gesichtserkennungssoftware integriert ist, soll eigentlich Fußgänger, die bei Rot über die Ampel gehen, identifizieren. Foto und Name werden auf großen Bildschirmen angezeigt, um ihr Fehlverhalten zu sanktionieren. Zusätzlich wird ein Strafzettel zugestellt.
Als jedoch ein Bus ordnungsgemäß eine Kreuzung überquerte, prangte plötzlich das Bild von Frau Dong auf dem Bildschirm. Dabei war sie gar nicht vor Ort. Der Grund: An dem Bus war eine Werbung mit dem Foto der 64-Jährigen angebracht – was die Kamera missverstand. „Ein Eigentor“, schrieb die Polizeibehörde in einer Mitteilung – und entschuldigte sich bei der Unternehmerin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut