Kritische Picasso-Jubiläumsschau: Wenn die Brusthaare explodieren
Die queere Komikerin Hannah Gadsby kuratierte zum Picasso-Jubiläumsjahr eine Ausstellung. Sie geht den Künstlerpapst hart an.
Eine Radierung von Pablo Picasso hängt an der Wand des Brooklyn Museums. Sie zeigt einen nackten Mann, ihm gegenüber eine Frauenbüste. Als Kommentar steht daneben: „Ich bin so männlich, meine Brusthaare sind gerade explodiert.“ Ein paar Schritte weiter eine weitere Radierung von Picasso. Zu sehen ist eine nackte Frau, die auf dem Kopf eines Mannes sitzt. Der Kommentar dazu: „Schlimmste. Hämorrhoide. Jemals.“
Das ist in etwa das intellektuelle Niveau, auf dem sich die Ausstellung „It’s Pablo-matic – Picasso According to Hannah Gadsby“ bewegt. Anfang Juni hat die Schau im New Yorker Brooklyn Museum als Teil der Jubiläumsfeierlichkeiten zu Picassos 50. Todestag eröffnet. Kuratiert hat sie die queere australische Komikerin Hannah Gadsby. Die hat zwar einen Bachelor in Kunstgeschichte, aber noch nie zuvor eine Kunstausstellung verantwortet. Und dann das: Pablo Picasso, Jubiläumsjahr, Brooklyn Museum, New York.
Die Kunstkritik reagiert entsetzt: „Traurig und peinlich berührt“ verließ der New-York-Times-Kritiker Jason Farago die Schau. Alex Greenberg vom Kunstmagazin Artnews beurteilt sie als „katastrophal“. In der Tat wirkt die Ausstellung willkürlich zusammengesetzt und ist inhaltlich dünn. Trotzdem ist sie vielleicht der bis jetzt wichtigste Beitrag zur Diskussion über Picassos Erbe fünfzig Jahre nach seinem Tod.
Wenn es um den Künstlerpapst Picasso geht, ist Hannah Gadsby sehr direkt: „Ich hasse ihn“, sagt sie in ihrer 2018 von Netflix ausgestrahlten preisgekrönten Comedy-Show „Nanette“. Gadsby geht es um ein System der modernen Kunst, das Frauen und ihre Sicht der Dinge aus dem gültigen Kanon lange ausschloss. Der Geniekult um Picasso ist für sie das prominenteste Beispiel. Er werde uns als „leidenschaftliches, männliches, gequältes Genie“ verkauft und nicht als das, was er wirklich gewesen sei: ein Frauenfeind.
Picasso hatte ein problematisches Verhältnis zu Frauen. Das ist inzwischen hinlänglich bekannt. Frauen seien für ihn „entweder Göttinnen oder Fußabstreifer“, soll er zu seiner kürzlich verstorbenen Geliebten Françoise Gilot gesagt haben. Doch so vehement und hart wie Gadsby hat ihn wohl noch niemand kritisiert, vor allem nicht so massentauglich. „Nanette“ war ein Blockbuster-Hit und machte Gadsby zum Popstar.
Gelungen ist die Schau nicht
Die Direktorin des Brooklyn Museum, Anne Pasternak, schrieb Gadsby einen Fanbrief. Das Museum und die Komikerin kamen ins Gespräch über mögliche gemeinsame Projekte. Als das Brooklyn Museum vom Pariser Musée Picasso eingeladen wurde, einen Beitrag zu den Feierlichkeiten zum 50. Todestag von Picasso zu organisieren, erschien dies die Gelegenheit, Gadsby prominent einzubinden.
„It’s Pablo-matic“ stellt nun 50 Werke von Picasso neben die von weiblichen Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts, darunter so bekannte und unterschiedliche Namen wie Käthe Kollwitz, Cindy Sherman, Mickalene Thomas oder Louise Bourgeois. Dank dieser Arbeiten soll ein „kritischer, zeitgenössischer und feministischer“ Blick auf das Werk Picassos geworfen werden. Gelungen ist die Schau nicht. Zumindest nicht, wenn es um neue Sichtweisen auf Picassos Rolle in der Kunstgeschichte geht.
Die 49 ausgewählten Arbeiten der Künstlerinnen hinterfragen patriarchalisch geprägte Sehgewohnheiten, Strukturen und Frauenbilder. Also ein ganzes System, nicht einen einzelnen Künstler. Davon ist in der Ausstellung jedoch nicht viel zu sehen. Der einzige Repräsentant dieses Systems ist hier Picasso. Seine kunstgeschichtliche Bedeutung wird damit eher untermauert als demontiert.
Außerdem fehlen Bilder von Picassos Künstlerzeitgenossinnen, die eben systembedingt lange Zeit unsichtbar waren. Allen voran selbstverständlich die Werke der Frauen, die direkt unter Picasso gelitten haben. Seine Geliebten Dora Maar und Françoise Gilot zum Beispiel, beide bedeutende Künstlerinnen.
Radikaler, feministischer Blick
Auch Gadsbys deftige Kommentare in dem von ihr gesprochenen Audioguide oder auf den Schildern neben den Bildern tragen nicht zur Vertiefung der Ausstellung bei. Am Ende laufen sie immer darauf hinaus, dass Gadsby Picasso für ein misogynes Arschloch hält.
„It’s Pablo-matic: Picasso According to Hannah Gadsby“: Brooklyn Museum, New York, bis 24. September
Die vernichtenden Kritiken der Ausstellung haben daher ihre Berechtigung. Doch die Art der Kritik entblößt wiederum die Kritiker selbst. Jason Farago schreibt etwa in der New York Times, er finde den Titel der Ausstellung so albern, dass er ihn nicht tippen könne, er habe die Copy-paste-Funktion dafür nutzen müssen. Das zeugt von einem beachtlichen intellektuellem Dünkel.
Die Ausstellung überzeugt nicht, doch auf einer anderen Ebene ist das Experiment aufgegangen: Sie versucht in diesem sanft begangenen Picasso-Jubiläumsjahr einen eher radikalen, feministischen Blick auf sein kunstgeschichtliches Erbe zu entwickeln. Diese Anerkennung hat sie bei aller Kritik verdient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen