Picasso-Rezeption in BRD und DDR: Der Trumpf-Trink-fix-Deal
Die Ausstellung „Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR“ in Köln erzählt spannend von Bildern im Gebrauch.
Die Redaktionskonferenz wolle lieber Picasso-Ausstellungen besprochen sehen, meldete mein damaliger Redakteur Harald Fricke (R.I.P.) zurück, und drückte dennoch Texte zur 90er-Kontext-Kunst in diese Kulturseiten. Die „Marke Picasso“ war uns Synonym für gut abgehangene Klassiker-Ausstellungen mit abschließendem Poster-Verkauf und passte so gar nicht zur damals ja auch noch etwas raueren Zeitung.
Das Museum Ludwig Köln – Hort von knapp eintausend Werken des Meisters, die der Namensgeber Peter Ludwig über Jahrzehnte angesammelt hatte – macht nun selbst eine Kontext-Kunst-Ausstellung zu Picasso. Und plötzlich wird der so aufgefrischte Großkünstler richtig sympathisch: „Der geteilte Picasso“ ist feinste Sahne Konzeptfilet, spröde serviert als hochkopierte Zettelkunst auf Stellwänden.
Es geht gleich damit los, dass der vor dem Franco-Faschismus geflohene Pablo Picasso 1944 in die Kommunistische Partei eintrat, und endet mit dem ehemaligen HJ-Mitglied Peter Ludwig. Der zu Picasso promovierte Schokoladenfabrikant wusste im Kalten Kriegs Geschäftliches mit Sammelleidenschaft zu verknüpfen: Während „Trumpf Trink fix“ auf der verlängerten Werkbank des VEB Kombinats Süßwaren Delitzsch kostengünstig hergestellt wurde, umgarnte Ludwig den Maler und Verbandspräsidenten Willi Sitte, um Westkunst im Osten und Ostkunst im Westen zeigen.
Information Pop Art
Alben von Peter und Irene Ludwig zeigen die Vertragsunterzeichnung in der Nationalgalerie der DDR im April 1977 wie auch einen Besuch der Kakao-Fabrik im Januar 1983. Zum ersten Mal wurden in der DDR Werke von Lichtenstein oder Rauschenberg neben Werken von Pablo Picasso ausgestellt. Dies solle „Informationen geben“, erzählt Ludwig dem DDR-Fernsehen.
„Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR“, bis 30. Januar 2022, Museum Ludwig Köln, Katalog 25 Euro
Noch vor dem Mauerfall bot das Ehepaar Ludwig Werke im Wert von 40 Millionen D-Mark als Schenkung sowie weitere sechzig Werke als Dauerleihgaben nebst 1 Million Mark Spende an. Eine Vollversammlung der Mitarbeiter*innen Ende 1989 lehnte die „Ludwig Galerie im Alten Museum“ allerdings ab. Die retournierten Arbeiten bilden nun den Kölner Kernbestand.
Picassos erste museale DDR-Ausstellung mit über dreihundert Grafiken, Keramiken und Kleinbronzen wurde allerdings schon 1957 in der Alten Nationalgalerie (in Ostberlin) eröffnet. Ein Großteil stammte von Daniel-Henry Kahnweiler, dem aus der Pfalz stammenden Kunsthändler und Vertrauten Picassos, der sich während der deutschen Besatzung in Paris verstecken musste. Lange vor Ludwig stiftete er dem Dresdner Kupferstich-Kabinett 1967 ein Konvolut von grafischen Werken Picassos.
In einem Vortrag ein Jahr zuvor erklärte er Picassos politische Mission und im weichen Singsang des Exilanten ist zu hören: „Sie dürfen sich nicht vorstellen, dass der Kommunismus eines Picassos wissenschaftlich sei, dass er Marx gelesen habe. […] Was stellen die Bilder von Picasso aus seinen Jugendjahren dar? […] das Lumpenproletariat von Barcelona.“
Reise nach Polen, Besuch in Auschwitz
Kahnweiler vertrat Picasso in aller Welt, während sich der Künstler nach 1945 selten aus seinen Ateliers entfernte. Doch bei den Friedenskongressen in Rom, Moskau oder Sheffield war er stets dabei. Hinzu kam eine zweiwöchige Reise 1948 nach Polen, die den Besuch von Auschwitz einschloss. In die Nachfolgestaaten des Deutschen Reichs reiste Picasso jedoch nie; eine Fotografie im Kreise der Freien Deutschen Jugend (FDJ) stammt vom internationalen Jugendkongress 1950 in Nizza.
1953 bittet Brecht den „lieben Genossen Picasso“, für das Berliner Ensemble den „herrlichen Plakatentwurf“ der französischen Delegation verwenden zu dürfen. „Lassen Sie mich Ihnen auch gleich gestehen, dass wir Ihre Taube seit Gründung des Theaters als Vorhangzeichen benutzen.“ Seit dem Einzug ins neue Haus des Berliner Ensembles bis 1993 blieb die Taube im Einsatz. Jenseits der Friedenstauben war der „Formalist“ Picasso den DDR-Behörden jedoch suspekt: Deformierte Körper passten nicht zum Menschenbild des Sozialistischen Realismus. Eine Debatte in der Zeitschrift Bildende Kunst zeigt 1955 die Spannbreite der Diskussion.
Picassos fachliche Rezeption im Westen hatte ihren Höhepunkt mit der Einladung zur documenta1955 schon überschritten. Das 1964 erschienene Buch „Leben mit Picasso“ der Malerin Françoise Gilot festigte Picassos schillernden Ruf als Frauenheld. Bei der nochmaligen Lektüre stößt der Katalogautorin Émilie Bouvard vor allem die „gelegentlich perverse Herrschaft eines Mannes über eine Frau“ übel auf. Das 1959 veröffentlichte Buch „Bei Picasso“ von Hélène Parmelin bleibt körperlich auf Distanz. Die Kunstkritikerin bringt den Genossen Picasso dazu, sich gegen die Unterdrückung des Ungarnaufstands oder der von Frankreich geführten Kolonialkriege öffentlich zu positionieren.
Adorno erzählt von „Guernica“
Georg Seeßlen erinnert an die von Adorno erzählte Anekdote, wo ein deutscher Botschafter Picasso fragte, ob er das Bild „Guernica“ gemacht habe, und Picasso antwortete: „Nein, Sie!“. Das erste Flächenbombardement der europäischen Geschichte, eine Art Vorübung für den totalen Luftkrieg deutscher und italienischer Truppen, wurde von Picasso innerhalb eines Monats im spanisch-republikanischen Zweck-Pavillon der Weltausstellung von Paris 1937 als gemalte Klage ausgestellt.
Picasso hielt im Exil über einen befreundeten Friseur Verbindungen zur illegalen spanischen KP und spendete viel Geld für die GenossInnen. Erst nach Francos Tod 1975 durfte „Guernica“ in Spanien gezeigt werden und war auch nur einmal 1955/56 in Westdeutschland zu sehen. „Besonders vor dem Bild mit dem Namen einer baskischen Kleinstadt drängelten sich die Kunstinteressierten, waren fasziniert, erschreckt, entsetzt oder fühlten sich in ihren Vorurteilen bestätigt“, schreibt Hubert Brieden. Knapp vor der „Wiedervereinigung“ veröffentlichte die Bundeswehr eine doppelseitige Anzeige mit einer Reproduktion des Gemäldes und der Schlagzeile „Feindbilder sind die Väter des Krieges“.
Das epochale Picasso-Projekt im Museum Ludwig wurde von der Hauskuratorin Julia Friedrich konzipiert, die nun ans Jüdische Museum Berlin wechselt. Ohne die raffinierte Kulissenlandschaft des Konzeptkünstlers Eran Schaerf wäre es nicht vorstellbar. Ihre gemeinsame Ausstellung über Ausstellungen, politische Interventionen und Schriftstücke wird qua Berichterstattungen, Filmen sowie Büchern und Unikaten, großformatigen Reproduktionen oder Peter Nestlers Auftragsfilm „Picasso in Vallauris“in Gestalt gebracht.
Die eigenwillige Wucht der Großinstallationen macht die Artefakte zwar klein, aber lässt sie zugleich zart erscheinen. Die Ausstellung funktioniert auch als Referenzsystem: Kunst im aktiven Gebrauch ist eben nicht die des konsumierenden Verbrauchs.
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