Graphic Novel „menschen vertrauen“: So wirklich gut ist es nie

Der Comic „menschen vertrauen“ erzählt von Beziehungen und seelischen Krisenzuständen. Kribbelnde Ambivalenzen machen das Werk zum Klassiker.

zwei Frauen telefonieren miteinander

Ausschnitt aus Tommi Parrish: „menschen vertrauen“ Foto: Edition Moderne

Vertrauen bildet sich aus der Überzeugung von der Verlässlichkeit eines Menschen, zu einem Zustand, zu einer Sache. Wenn dieses Vertrauen in sich oder andere jedoch fehlt, wird das Leben schnell zu einer Aneinanderreihung unkalkulierbarer, verunsichernder Ereignisse. Die Graphic Novel „menschen vertrauen“ verhandelt in wundervoller Bildsprache das Überleben in solch innerlich und äußerlich sichtbaren, oft dauerhaften Krisenzuständen.

Die Hauptfigur Eliza lernen wir in einer Selbsthilfegruppe für Al­ko­ho­li­ke­r*in­nen kennen. Draußen hängt Wäsche an der Leine, ein Rasenmäher fährt vorbei. Drinnen Menschen in einem Stuhlkreis. „Danke fürs Teilen“, sagen sie, wenn jemand von ihnen seine Geschichten erzählt hat: die Eheprobleme, der trinkende Vater. Eine, die auch in diesem Stuhlkreis sitzt, ist Eliza, seit fünf Jahren trocken.

Ihr Leben besteht aus vielen schwelenden Brandherden. Eliza, selbst Tochter einer Alkoholikerin, ist alleinerziehende Mutter eines fünfjährigen Sohnes. Mit ihrem Ex-Mann ist es kompliziert. Leidenschaftlich gerne ist sie Dichterin, doch ihr Geld für die Miete verdient sie mit kellnern.

Doch dann trifft Eliza bei einem Poesie-Event auf Sasha. Eine hoffnungsvolle Freundschaft zwischen zwei jungen, etwas verloren wirkenden Menschen beginnt. Und wird zu einer immer ungleicheren Beziehung. Die psychisch instabil wirkende Sasha überschreitet schwer zu definierende zwischenmenschliche Grenzen. Während Eliza es nicht schafft, ihre eigenen zu markieren.

Wie vertraut man der eigenen Intuition?

Wie kann man trotz traumatischer Erfahrungen dennoch wieder in gesunde Beziehungen finden? Wie kann man lernen, seiner eigenen Intuition wieder zu vertrauen? Wo sollten besser eigene Grenzen gezogen werden und wann kann man Nähe zulassen? Auch davon handelt „menschen vertrauen“.

„Als Erwachsene versuche ich vor allem zu lernen, ein Mensch zu sein, der Grenzen hat. Es ist wirklich verdammt schwer, also rede ich viel darüber und denke viel darüber nach“, sagte Parrish der britischen Tageszeitung The Guardian in einem Gespräch.

Es ist nicht das erste Mal, dass Tommi Parrish die Zwischenräume von romantischen oder platonischen Beziehungen auslotet. Als Transkünstler*in, aus Melbourne und in den USA lebend, erzählt Parrish häufig von zwischenmenschlichen Beziehungen und queeren Erfahrungen. Bereits der Debütcomic „The Lie and how we told it“ handelte von Beziehungen – von queerem Begehren, Männlichkeit und den sich wandelnden Zuständen verschiedener Freundschaften.

Drei Jahre Arbeit am Graphic Novel

Drei Jahre arbeitete Parrish nun an dieser handkolorierten Graphic Novel. Der Zeichenstil ist dabei außergewöhnlich. Als müsste all die innere Zerrissenheit physisch umfasst werden können, so groß und flächig sind die Körperformen der Figuren. Die leuchtenden Grundfarben machen die einzelnen Personen präsent und heben sie aus den Buchseiten heraus. Farblich stark changierende Szenen und Hintergründe benutzt Parrish als narratives Mittel, um das emotionale Wechselbad ihrer Figuren abzubilden.

Die Dialoge, im Kontrast zu den realistischen Aquarellen, sind wie provisorisch gekritzelt. Sie bewegen sich dabei wie im echten Leben von belanglosen Alltäglichkeiten bis zu Momenten größtmöglicher Verletzlichkeit. Dafür lässt sich die Au­to­r*in viel Raum in den Panels, empfindet Körpersprache und Gesprächspausen geradezu seismografisch nach.

Und als bliebe der schweifende Blick an der tropfenden Kaffeemaschine hängen, als höre das Ohr die zischende Wasserflasche, wird in dieser Graphic Novel eine sensorisch affektive Dimension mitgedacht und verbildlicht.

zwei Frauen telefonieren miteinander, während sie Hausarbeit verrichten

Ausschnitt aus Tommi Parrish: „menschen vertrauen“ Foto: Edition Moderne

Beziehungsdynamik nimmt toxischere Züge an

Die Beziehungsdynamik zwischen Eliza und Sasha nimmt in „menschen vertrauen“ mit der Zeit immer toxischere Züge an. Sasha wirkt impulsiv und aufdringlich, Eliza hingegen in die Ecke gedrängt und cholerisch. Und dann macht auch noch der Freier von Sasha, Andrew, Probleme. Alle Figuren bleiben komplex, ambivalent und dabei aber nicht immer sympathisch.

Tommi Parrish: „menschen ver­trauen“. Aus dem Englischen von Christoph Schuler. Edition Moderne, Zürich 2023. Farbig, Hardcover, 224 Seiten, 29 Euro

Parrish verliert nie die Empathie für ihre Charaktere, reduziert sie nicht auf bloße Objekte. Sie individualisiert auch nicht einfach deren Schwierigkeiten, sondern zeigt auf Netzwerkeffekte, die sich häufig dahinter verbergen: materielle Armut, psychische Erkrankungen und soziale Marginalisierung.

In Parrishs Graphic Novel gibt es nicht die eine akute Katastrophe. Aber so wirklich gut ist es auch nie. Diese Grautöne, diese kribbelnden Ambivalenzen machen dieses Werk so besonders. Wunderschön gezeichnet könnte es sofort zu einem modernen Klassiker avancieren.

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