Kritik aus der Fraktion an Wagenknecht: „Sahra muss sich entscheiden“
Mit ihrer Distanzierung von der Unteilbar-Demo habe Sahra Wagenknecht eine Grenze überschritten. Das sagt der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich.
taz: Herr Liebich, Sie bezeichnen es als großen Fehler, dass sich Sahra Wagenknecht nicht an der Unteilbar-Demonstration am Samstag in Berlin beteiligen will. Kann sich die Fraktionsvorsitzende solche Fehler erlauben?
Stefan Liebich: Die Aussage von Sahra Wagenknecht, dass sie und ihre Formation Aufstehen sich nicht an der Demonstration am Wochenende beteiligen im Wissen darum, dass die Fraktion Die Linke und die Partei dazu aufgerufen haben, das hat aus meiner Sicht eine Grenze überschritten.
Was genau? Dass sie sagt, der Aufruf tendiere zu sehr zu offenen Grenzen?
Dass wir über Arbeitsmigration diskutieren und es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt, habe ich immer verteidigt. Aber darum geht es am Samstag nicht. Es geht darum, dass nach Pegida, nach Chemnitz, Menschen auf einer sehr, sehr breiten Basis zeigen wollen, wo das andere Deutschland ist. Und da muss klar sein, auf welcher Seite wir als Linke stehen. Und wenn unsere Fraktionsvorsitzende, eine der bekanntesten Politikerinnen, sich inhaltlich davon distanziert, dann halte ich das für ein großes Problem.
Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch, der die Demo unterstützt, sagt, es sei kein Problem, wenn Wagenknecht nicht daran teilnimmt.
Es geht mir darum, dass sie sich inhaltlich davon distanziert. Ich finde es ein Problem, wenn die Fraktionsvorsitzende in einer wichtigen Frage eine andere Politik macht als die Fraktion beschlossen hat.
Was folgt daraus?
Letztlich muss sich Sahra entscheiden, wo ihr Herz schlägt. Ob es links schlägt oder für Aufstehen, die sich meiner Kenntnis nach nicht als linke Organisation beschreiben. Unsere Fraktion wird es auf Dauer nicht akzeptieren, eine Vorsitzende zu haben, die in wichtigen Fragen mit einer Organisation Politik macht, die in eine andere Richtung als die von uns beschlossene geht.
45, ist außenpolitischer Sprecher der Fraktion die Linke. Liebich war Landesvorsitzender der Berliner PDS und von 2002 bis 2006 Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus. Er ist einer der Architekten der ersten rot-roten Koalition in Berlin. In seinem Wahlkreis Berlin Pankow wurde Liebich 2017 zum dritten Mal direkt in den Bundestag gewählt.
Kommt jetzt der Putsch gegen Wagenknecht in der Fraktion?
Meine Hoffnung ist, dass Sahra Wagenknecht versteht, dass sie als Fraktionsvorsitzende und eine der wichtigsten Politikerinnen unserer Partei auch der Politik der Partei verpflichtet ist.
Würde es reichen, wenn sie sich entschuldigt oder sich von ihrer Aussage zu Unteilbar distanziert?
Ich will keine Entschuldigung oder Distanzierung, das finde ich albern. Ich finde ihre Positionierung nicht richtig und wir werden das auf Dauer nicht akzeptieren.
Es gibt also drei Möglichkeiten: Entweder Sahra Wagenknecht ändert ihre Haltung in der Migrationspolitik. Oder sie schweigt künftig dazu. Oder sie tritt als Fraktionsvorsitzende zurück. Welche davon ist Ihnen am liebsten?
Ich habe kein Interesse an Spaltung. Ich habe immer versucht, die Linke in ihrer schmerzhaften Breite zu erhalten. Ich treffe Leute, die sagen, lass uns doch die Tür zuschlagen und dann ist gut. Als jemand, der mal in einer Partei war, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, möchte ich das vermeiden. Und trotzdem gibt es Grenzen. Meine Hoffnung ist, dass wir auf einen gemeinsamen Pfad kommen und Sahra sich im Idealfall von uns überzeugen lässt oder mindestens hinnimmt, dass die Mehrheit anderer Meinung ist.
Und wenn sie das nicht tut?
Wie gesagt, auf Dauer wird die Fraktion nicht akzeptieren, dass die Fraktionsvorsitzende eine andere Politik in einem wichtigen Punkt vertritt. Die offene Debatte, die ich hier führe, ist dazu gedacht, dass wir über weitere Schritte nicht nachdenken müssen.
Kann die Linkspartei ernsthaft auf Sahra Wagenknecht verzichten?
Personen sind in einer Partei wichtig und Sahra Wagenknecht ist nach Gregor Gysi unsere bekannteste Politikerin. Es darf aber nicht dazu führen, dass man sich deswegen erpressbar macht.
Spricht Sahra Wagenknecht nicht vielen Menschen aus dem Herzen, wenn sie sagt, die Forderung nach offenen Grenzen ist weltfremd und irrational?
Sie spricht sicher auch Menschen aus dem Herzen. Aber darum geht es nicht. Als wir auf dem Parteitag 2011 unser Grundsatzprogramm beschlossen, machte der Parteivorstand zum Punkt Migration den Vorschlag „offene Grenzen für Menschen in Not“. Ich fand das richtig. Der linke Flügel, dem Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine damals angehörten, sagte, das reicht uns nicht, wir wollen „offene Grenzen für alle Menschen“. Das steht seit damals im Parteiprogramm. Wenn man das ändern will, muss man sich in eine seriöse Debatte begeben. Und das ist es auch, was ich Sahra Wagenknecht vorwerfe: Sie hat sich dieser inhaltlichen Debatte bisher systematisch entzogen. Ich kenne keine konkreten Vorschläge von ihr, was sie ändern will. Wenn man aber wirklich eine veränderte Einwanderungspolitik will, muss man mal sagen, wie es praktisch gehen soll und das nicht nur in den Medien andeuten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Innereuropäische Datenverbindung
Sabotageverdacht bei Kabelbruch in der Ostsee
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom