Kriegsverbrechen in Afghanistan: Australiens Mörder in Uniform
Vernichtendes Urteil eines Untersuchungsberichts: Australische Elitesoldaten haben in Afghanistan offenbar Kriegsverbrechen begangen.
Solche Bilder, aufgenommen mit Helmkameras der Soldaten und gesendet im australischen Fernsehsender ABC, haben die umfassendste Untersuchung des Verhaltens australischer Streitkräfte in der Geschichte ausgelöst. Mehrere Jahre lang ging ein Sonderbeauftragter Berichten und Gerüchten über mögliche Kriegsverbrechen nach.
Das am Donnerstag bekannt gegebene Ergebnis der Untersuchung war vernichtend: 25 Angehörige der Eliteeinheit Special Air Services (SAS) sollen in mindestens 23 verschiedenen Situationen 39 afghanische Zivilisten „unrechtmäßig getötet“ haben, darunter auch Gefangene. Einige Soldaten hätten „das Gesetz in die eigene Hand genommen“, so der Kommandant der australischen Streitkräfte, Angus Campbell.
Der Bericht habe eine „beschämende Bilanz“ enthüllt. Unter anderem seien neue Mitglieder der Truppe von ihren unmittelbaren Vorgesetzten dazu ermutigt worden, Gefangene zu erschießen und sich dadurch Respekt zu verschaffen. „Blooding“ hätten die Soldaten das genannt. Campbell kritisierte die „egozentrische Kriegskultur“, die in der Eliteeinheit herrsche. Oftmals hätten die Täter Material wie Funkgeräte und Waffen bei den Opfern platziert, damit es so aussah, als wenn es sich um Kämpfer handle.
Kleinkind während einer Hausdurchsuchung erschossen
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatte Australien insgesamt 46.000 Soldaten nach Afghanistan geschickt. Sie kämpften zusammen mit der US-Armee gegen die Taliban und al-Qaida. 2013 wurden die Truppen abgezogen. Seither häuften sich Gerüchte um Straftaten durch Elitesoldaten. Mehrere Whistleblower sagten aus.
Kritiker hatten der Regierung von Premierminister Scott Morrison vorgeworfen, Berichte über mutmaßliches Fehlverhalten lange unterdrückt zu haben. Die australische Polizei führte beim Fernsehsender ABC sogar eine Razzia durch, nachdem dieser 2017 in einer Sendung zum ersten Mal über potenzielle Kriegsverbrechen berichtet hatte. Der Druck der Öffentlichkeit wurde schließlich so groß, dass Canberra die Untersuchung anordnete.
Einzelheiten über die verschiedenen Taten sind geheim. Informanten aus den Reihen der SAS sowie Whistleblower in Afghanistan sprachen in Medienberichten jedoch von einer Vielzahl von potenziellen Verletzungen des Kriegsrechts. So soll in einem Fall während einer Hausdurchsuchung ein Kleinkind erschossen worden sein. In einem anderen Fall habe ein australischer Soldat einen Gefangenen ermordet, um Platz in einem Hubschrauber zu schaffen.
Campbell machte klar, dass die mutmaßlichen Straftaten nicht „in der Hitze des Gefechts“ begangen worden seien. Die Untersuchungskommission hat 143 Empfehlungen herausgegeben, wie in Zukunft solches Verhalten verhindert werden könne.
Der juristische Prozess beginnt erst noch
Premierminister Scott Morrison hatte in den vergangenen Tagen die Bevölkerung mehrfach gewarnt, die Enthüllungen würden „schockieren“. Am Mittwoch rief er den afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani an, um ihn zu informieren, dass es „einige verstörende Anschuldigungen“ gegen Soldaten gäbe, welche seine Regierung „sehr ernst“ nehme.
Vor einer Woche hatte Morrison einen Sonderermittler eingesetzt, der den im Untersuchungsbericht gemachten Vorwürfen juristisch nachgehen soll. Dieser Prozess könnte länger als zehn Jahre dauern. Die von militärischen Ermittlern gesammelten Fakten können nicht mehr verwendet werden, weil sie unter Druck und unter Androhung schwerer Strafen ermittelt worden waren. Sämtliche Beweise müssen nochmals gesammelt werden.
Danach beginnt der juristische Prozess vor dem australischen Bundesgericht. 19 Männern drohen im Fall der Verurteilung lebenslange Haft wegen Mordes oder 25 Jahre Gefängnis wegen „grausamer Behandlung von Gefangenen und Zivilisten“ – beides Kriegsverbrechen.
Wie Campbell am Donnerstag weiter meinte, schädige das Verhalten der Soldaten „die moralische Autorität als Armee“. Die Enthüllungen werden mit großer Wahrscheinlichkeit Folgen haben für das Ansehen der SAS-Truppen sowie der gesamten Streitkräfte. Soldaten haben in Australien beinahe den Status von Helden.
Australische Truppen kämpften und kämpfen in allen Kriegen und Konflikten des ehemaligen Mutterlandes Großbritannien und des modernen Bündnispartners, der Vereinigten Staaten. Kritik an der Armee ist generell verpönt. Australische Regierungen jeder politischen Couleur zelebrieren den Mythos des „überlegenen“ und „ethisch puren“ australischen Soldaten in jährlich stattfindenden Paraden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden