Kretschmer in Moskau: Eine naive Reise
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fliegt nach Moskau – und sucht Dialog. Eine Verhöhnung russischer Oppositioneller.
Es klingt nach einem schlechten Film: Am Mittwochabend landete Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in Moskau. Sein Besuch steht im Zeichen der Kultur: Kretschmer soll die gemeinsame Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Tretjakow-Galerie, „Träume von Freiheit“, eröffnen.
Wüssten die russischen Demonstrant:innen, die gleichzeitig in Moskau und anderen russischen Städten auf den Straßen waren, davon, sie würden sich wohl verhöhnt vorkommen. Von Freiheit träumen sie nämlich tatsächlich. Nicht nur für sich und ihr Land, sondern aktuell besonders für Alexei Nawalny, den inhaftierten Kremlkritiker, dem sie ihre Solidarität ausdrückten.
Nawalny schwebt seit Tagen in Lebensgefahr, ihm drohe Nierenversagen und Herzstillstand, heißt es, nachdem er vor über zwei Wochen in den Hungerstreik getreten war. Über Instagram lässt Nawalny Nachrichten an seine Anhänger:innen überbringen und bezeichnet sich dort selbst als „schwankendes Skelett in der Zelle“.
Am Tag von Kretschmers Ankunft hielt Präsident Putin dann auch noch seine alljährliche Rede zur Lage der Nation. Erwartungsgemäß kein Wort über Nawalny, kein Wort über den Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine.
Als würden Putin Worte beeindrucken
Dass ein Ministerpräsident einer Regierungspartei zu Pandemiezeiten unter diesen Bedingungen nach Russland aufbricht, grenzt an Lächerlichkeit. Für einen Besuch gebe es wohl keinen schlechteren Zeitpunkt als diesen. Besonders in schwierigen Zeiten müsse man im Dialog bleiben, sagt Kretschmer aber. Dabei wird wohl mit keinem anderen Land so viel Dialog geführt wie mit Russland.
Mit Putin will Kretschmer während seines Besuchs übrigens auch sprechen – am Telefon jedenfalls. Selbst wenn er die Lage an der ukrainischen Grenze und Nawalnys Gesundheitszustand ansprechen wird, wem ist damit geholfen? Ukrainischen Soldaten? Dem sterbenden Nawalny?
Man muss schon sehr naiv sein, um zu glauben, Putin würden Worte beeindrucken.
Aber Kretschmer legt noch einen drauf: Sollte die europäische Arzneimittelbehörde den Impfstoff Sputnik V zulassen, werde Deutschland 30 Millionen Impfdosen kaufen, kündigte er an. Cleverer Schachzug, Herr Ministerpräsident. In seiner ostdeutschen Heimat hört man das bestimmt gern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken