Kramp-Karrenbauers Syrien-Vorschlag: Von Putins und Assads Gnaden
Vor allem Russland führt Krieg gegen Zivilisten in Syrien. Moskau würde eine „Schutzzone“ nur dulden, wenn sie Diktator Assad stärkt.
Aktuelle Episode dieses Krieges ist die seit April laufende Offensive gegen die letzte Rebellenhochburg in der nordwestlichen Provinz Idlib. Drei Millionen Menschen leben dort, zur Hälfte Flüchtlinge aus anderen Landesteilen; nach UN-Angaben fielen bis zu einer Feuerpause Ende August 1089 Menschen den Angriffen der syrischen und russischen Luftwaffen und ihren Bodentruppen zum Opfer. Die Feuerpause wurde nie eingehalten.
Am Montag dokumentierten medizinische Helfer Artilleriebeschuss auf mehrere Ortschaften, in denen zuvor die Krankenhäuser kaputt gebombt worden waren.
Der andere Krieg ist der Krieg der Türkei gegen die syrischen Kurden. Seit drei Jahren besetzt die türkische Armee auf der syrischen Seite der Grenze ein Gebiet nach dem anderen; seit dem 9. Oktober rückt sie auf breiter Front in das Kerngebiet der syrischen Kurdenmiliz YPG vor. Offizielles Ziel ist die Schaffung einer 32 Kilometer tiefen und 444 Kilometer breiten „Sicherheitszone“; real betroffen ist ein rund 120 Kilometer breites Gebiet.
Hunderttausende Flüchtende
Im Territorium der YPG-dominierten „Syrischen Demokratischen Front“ (SDF), das rund ein Drittel des syrischen Staatsgebietes umfasst und größtenteils aus Wüste besteht, leben rund 2,5 Millionen Menschen. Vor dem Start der aktuellen Kämpfe waren etwa 700.000 davon Flüchtlinge, seit Beginn der türkischen Offensive wurden nach UN-Angaben 176.000 Menschen in die Flucht getrieben. Nach kurdischen Angaben wurden bis zur jüngsten Feuerpause vor wenigen Tagen 235 Zivilisten getötet.
Nur auf den zweiten dieser Kriege bezieht sich der Vorstoß von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zur Einrichtung einer „Schutzzone“ im Norden Syriens, einzurichten gemeinsam mit der Türkei und mit Russland im Rahmen eines UN-Mandats und zu überwachen von mehreren zehntausend EU-Soldaten. Sie soll auch zur Weiterführung des Krieges gegen die versprengten Reste des IS (Islamischer Staat) dienen. Aber Syrien insgesamt kommt in dem Konzept nicht vor.
Schutzzone für die Kurden – das klingt lobenswert, und das gab es schon einmal: 1991 erklärte die UNO das Kurdengebiet des Irak zur von den Westmächten garantierten Schutzzone, nachdem der irakische Diktator Saddam Hussein gerade den zweiten Golfkrieg gegen die USA verloren hatte.
In Syrien war das YPG-Gebiet in den vergangenen Jahren ebenfalls faktisch eine westliche Schutzzone: Die USA, Frankreich, Großbritannien und andere Länder rangen mit den Kurden zusammen den IS nieder, und solange sie da waren, blieb das Assad-Regime fern.
Obamas rote Linie
Aber jetzt ziehen die Westmächte gerade aus dem Kurdengebiet ab und die Türkei und Russland sind im Begriff, es unter sich aufzuteilen. Wie da eine Schutzzone entstehen kann und wer dann wen vor wem schützen soll, ist rätselhaft. Wenn es um Schutz für gefährdete Menschen in Syrien geht, kann es nicht nur um die Kurden in Nordostsyrien gehen.
Aber von der Idee, Zivillisten in Syrien insgesamt zu schützen, haben sich die Westmächte spätestens 2013 verabschiedet, als sie angesichts massiver Chemiewaffeneinsätze des Regimes mit Tausenden Toten untätig blieben, obwohl Barack Obama das zuvor als „rote Linie“ definiert haben. Damaskus hat seitdem keine Angst vor westlichem Eingreifen mehr, Moskau und Teheran haben freie Hand.
Assad hat nie verborgen, dass er jeden Quadratzentimeter Syrien zurückzuerobern gedenkt, und je stärker er militärisch wird, desto unnachgiebiger wird er politisch. Für die tonangebenden militärischen Akteure in Syrien – das Regime, Russland, die Türkei und die Kurden – hängen beide syrischen Kriege zusammen: der um Nordostsyrien und der um Idlib.
Die Türkei führt ihre Offensive gegen die Kurden unter anderem mittels aus Idlib abgeozgener syrischer Rebellen. Die Kurden schlagen gegen türkische Streitkräfte auch im Nordwesten Syriens zurück. Türkische Soldaten unterhalten bei den Rebellen in Idlib acht „Beobachterposten“ – und schauen dem Geschehen untätig zu. Russische Spezialkräfte und syrische Regierungstruppen rücken jetzt im Zuge eines Deals mit der YPG in Teilen des Kurdengebiets ein – ein Vorbote der Zerschlagung der kurdischen Autonomiehoffnungen.
Putins Machtanspruch
Russland hat in Syrien riesige Militärbasen und Wirtschaftsinteressen, seine Kampfeinsätze an Assads Seite garantieren Putins Großmachtanspruch. Offiziell geht es um Terrorbekämpfung und die Wiederherstellung der syrischen Souveränität.
Moskau toleriert in Syrien keine militärische Aktion eines anderen Landes, die sich diesem Ziel nicht unterordnet. Schon die bisherigen westlichen Einsätze gegen den IS hat Russland immer kritisiert, offiziell weil sie ohne Zustimmung Assads erfolgten.
Da es ein UN-Mandat für eine EU-Schutzzone im Nordosten Syriens nur mit Russlands Zustimmung geben kann, könnte die EU also nur mit dem Segen des syrischen Regimes dort tätig werden. Das hieße, die EU-Mission von Damaskus aus zu führen und sich allen staatlichen Restriktionen zu fügen. Sudan und die Versuche zur Stationierung einer UN-Schutztruppe in Darfur sind das abschreckende Vorbild dafür.
In der UNO fährt Russland eine harte Linie. Am 19. September scheiterte eine von Deutschland eingebrachte UN-Resolution für einen Waffenstillstand in Idlib im Sicherheitsrat am russischen Veto. Am 13. Oktober, kurz nach Beginn der türkischen Offensive, beriet der Rat erneut über Syrien – ein US-Entwurf, in dem Sorge über die humanitären Konsequenzen des türkischen Einmarsches geäußert werden sollten, scheiterte an russischen Einwänden.
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