Konstantin von Notz zu Chemnitz: „Das Vertrauen ist tief erschüttert“
Der Grüne Konstantin von Notz findet die Aussagen des Verfassungsschutz-Chefs „ungeheuerlich“. Maaßen müsse Belege für seine Verschwörungstheorien liefern.
taz: Herr von Notz, wie bewerten Sie den Bericht von Verfassungsschutzpräsident Maaßen zu seinen Aussagen zu Chemnitz, den er am Montag dem Bundesinnenministerium vorgelegt hat?
Konstantin von Notz: Uns liegt der Bericht bislang nicht vor, die Aussagen in der Presse sind noch dünn, auch ist die Quellenlage unklar. Deshalb wird man bis zu einer endgültigen Bewertung bis Mittwoch abwarten müssen, wenn der Bericht im Parlamentarischen Kontrollgremium und dem Innenausschuss vorgestellt wird. Aber das Vertrauen ist offenkundig tief erschüttert.
Nach verschiedenen Presseberichten rudert Herr Maaßen zurück und behauptet nicht mehr, dass das Video gefälscht war. In der Bild-Zeitung am Freitag hatte er gesagt, es sprächen „gute Gründe dafür, dass es sich zum eine gezielte Falschmeldung handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“. Wie kann er am Mittwoch das Vertrauen wiederherstellen?
Er müsste die relativierenden Verschwörungstheorien belegen, die er – wahrscheinlich ohne Faktenbasis – verbreitet hat und die das Erzählmuster der Rechtsextremen in Deutschland bedienten. Er müsste glasklar und schlüssig erläutern, wie es zu diesem ungeheuren Äußerungen bei gleichzeitigem Schweigen zu den rechtsextremen und antisemitischen Übergriffen gekommen ist. Man kann wirklich gespannt sein.
Wenn er das, wie sich abzeichnet, nicht kann, was muss dann geschehen?
Dann sind er und auch der Innenminister untragbar für die Bundesregierung, dann muss es angemessene personelle Konsequenzen geben. Das Vertrauen ist massiv erschüttert, nicht nur wegen dieser ungeheuerlichen Äußerungen. Zuvor hat Herr Maaßen das Parlament belogen. Er hat dem deutschen Bundestag mehrfach versichert, dass es keine V-Leute im Umfeld des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri gab und Bundesbehörden mit der Causa nichts zu tun haben. Das war falsch. Hinzu kommt der offenkundig intensive wie unklare Austausch Maaßens mit führenden Vertretern der AfD, bei der mehrere Landesämter für Verfassungsschutz gute Argumente ins Feld führen, warum diese Partei wegen Verfassungsfeindlichkeit überwacht werden sollte. Die Diskussion um das, was in Chemnitz geschehen ist, ist also der Höhepunkt von einer Reihe von unerfreulichen Vorfällen.
Konstantin von notz, Grüne
Sie haben beantragt, dass nicht nur Maaßen, sondern auch der Innenminister im parlamentarischen Kontrollgremium am Mittwoch Rede und Antwort stehen soll. Was wollen Sie von Seehofer wissen?
Er ist der politische Verantwortliche und hat Herrn Maaßen ja anscheinend sein Okay für den Schritt in die Bild-Zeitung gegeben. Er trägt die Verantwortung für dieses Chaos und die Diskreditierung der deutschen Innenpolitik. Das hätte ich gern von ihm persönlich erläutert.
Konstantin von Notz, 47, ist Jurist und Vizefraktionschef der Grünen im Bundestag. Er sitzt im Innenausschuss und im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste.
Was glauben Sie hat Herrn Maaßen bewogen, in die Bild-Zeitung zu gehen?
Darüber zu spekulieren, finde ich müßig. Herr Maaßen ist zweifellos ein intelligenter Mann und er hat eine große Erfahrung mit der politischer Wirkung seiner Aussagen. Er hat ja ganz ähnlich in der letzten Legislaturperiode behauptet, dass Edward Snowden ein russischer Agent sei, weil er Snowden diskreditieren wollte. Auch das konnte er nicht belegen. Er agiert wie ein Politiker, aber er ist ein Behördenleiter. Ein Behördenleiter, der alle Grenzen überschreitet und das Bild entstehen lässt, dass er ganz klar in einem politischen Lager steht, erschüttert das Vertrauen der Menschen in unsere Institutionen. Aufgrund seiner Erfahrung muss man davon ausgehen, dass Herr Maaßen das alles vorsätzlich getan hat. Das ist maximal irritierend.
Seehofer stellt sich bislang hinter Maaßen,wenige Wochen vor der Bayernwahl scheint es relativ unwahrscheinlich zu sein, dass der CSU-Innenminister von der Kanzlerin entlassen wird oder hinwirft. Was bedeutet das?
Das bedeutet nichts Gutes für unser Land. Die Bundesregierung kann wegen der Beteiligung der CSU, die da ihr ganz eigenes Süppchen kocht, keine integrative Wirkung entfalten. Es entsteht eben das verheerende Bild, dass „die Politik“ ein verkrachter, chaotischer Haufen ist und eine Behörde, die für die Verteidigung unser freiheitlich demokratischen Grundordnung Verantwortung trägt, wirkt befangen, parteiisch und gelähmt – und das in einer Zeit in der unser liberaler Rechtsstaat massiven Angriffen aus der rechtsextremen Ecke ausgesetzt ist. Das können wir uns weder als Parlament noch als Gesellschaft bieten lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen