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Kompromisse in der PolitikMerz zielt auf Sieg und Unterwerfung

Sich in der Mitte treffen – das stand in der Bundesrepublik hoch im Kurs. In Zeiten des Rechtspopulismus wird die solide Kompromissdemokratie brüchig.

Willy Brandt: „Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss“ Foto: dpa

Etymologisch geht Kompromiss auf das lateinische compromissum zurück. Das bezeichnet das Versprechen, vor Gericht die Spielregeln zu akzeptieren. Zwei Parteien versichern, dass sie sich dem Urteilsspruch des Richters unterwerfen werden. Wer am Ende trotzdem stumpf über den Gegner herfällt, ist das anfangs hinterlegte Pfand los. Als politischer Begriff ist Kompromiss ein ziviler Ausgleichsmechanismus, give and take. Er ist zwar mit Demokratie assoziiert, zählt aber nicht zu den Wesenskernen der Demokratie, wie Gewaltenteilung, Machtwechsel oder Pluralismus.

In Deutschland hat der Kompromiss als Begriff in den letzten 100 Jahren eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Bis 1945 bekämpften Deutschnationale ihn als Synonym von Schwäche und glaubten mit Nietzsche: „Nur die halben Naturen suchen einen Kompromiss“. In der Bundesrepublik änderte sich das. Man suchte maximale Distanz zur Kompromisslosigkeit des NS-Regimes.

Willy Brandts Satz „Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss“ war zwar demokratietheoretisch fragwürdig, brachte aber die bundesdeutsche Neigung zum Mittleren und die Abneigung gegen­ Extreme trefflich zum Ausdruck. Gleichzeitig wurde die Mitte zum magnetischen, umkämpften Ort der Politik. Dorthin strebten Union, SPD, Liberale und später auch die Grünen. Die Mitte ist der Ort, um Kompromisse zu schmieden, bei denen nach der Logik des Sowohl-als-auch auch die Verlierer auf ihre Kosten kommen.

In der Bundesrepublik herrscht eine ausgeprägte Kompromisskultur, institutionell befestigt durch Bundesrat und Föderalismus. Zentral für das bundesdeutsche Konsenssystem sind die Volksparteien, die als Maschinen interner Kompromissbildung funktio­nieren. Das Scheitern der Ampel ist ein Vorschein der Post-Volkspartei-Ära: Die Aushandlungsprozesse, die früher in den großen Parteien stattfanden, verlagern sich nun in die Regierung. Die Ampel wird nicht die letzte Regierung gewesen sein, die mit viel Getöse scheitert.

In Zeiten des Rechtspopulismus wird die solide Kompromissdemokratie brüchig. Wer „all in“ geht, zielt nicht auf Kompromisse, sondern auf Sieg und Unterwerfung. Mit Merz’ Entweder-oder-Ansage scheint die Verachtung des Kompromisses in die bundesdeutsche Politik zurückzukehren.

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12 Kommentare

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  • "Willy Brandts Satz „Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss“ war zwar demokratietheoretisch fragwürdig, ,,,"



    Ach so, wir wollen ein 49,5/50,5 System, oder das der USA mit ihrem hinterwäldlerrischem System* der Wahlmänner, oder das Mehrheitswahlrecht in GB.



    *Das war vor 200 Jahren vermutlich eine akzeptable Lösung.

  • Die Bundesrepublik steht ja traditionell einer Konsensdemokratie wie sie in der Schweiz zu finden ist näher, als dem britischen House of Commons. Das spiegelte sich auch traditionell im Bundestag wieder, der fast durchweg auf Konsens ausgerichtet war. Schon aus dem Grund da bei der Gesetzgebung oftmals die Zustimmung des Bundesrates notwendig war.

    Merz wird daran nicht viel ändern, hat aber durch seine Handlungen gezeigt, dass seine Ansichten von politischer Gestaltung nicht mit der Konsensdemokratie bundesrepublikanischer Prägung vereinbar sind.

  • Um die kluge Strategie der Kompromißfähigkeit zu erhalten, bedarf es jedoch deutlich mehr an Aufklärung - auch im Sinne Kant's oder Voltaire's . Die rechten Protagonisten gaukeln den Menschen vor, "echte Kerle" quatschen nicht, sie "machen". Merz gehört zu diesen Leuten und nutzt diese Blendgranate auf äußerst populistische Art und Weise. Die Rechten nehmen gerne in Kauf, dass die Demokratie darunter leidet, gar zerbricht - dann können sie ungehindert ihre fragwürdigen Ziele umsetzen. Für den "kleinen Mann" ist es dann allerdings zu spät.

  • Die Union ist in der Opposition. Ihre Aufgabe ist es gerade nicht, Kompromisse zu schließen. Wie oft hat die Ampel die Opposition durch Kompromisse überzeugt?



    Selten - und das muss eine Regierung nach außen auch nicht unbedingt. Die Opposition dann umso weniger.

    Nein, die Überlegung geht haarscharf am Kern der Aktion vorbei.



    Denn vor Verhandlungen - die grundsätzlich mit Kompromissen enden - geht es um eine günstige Ausgangslage. Die erreicht man z.B., indem man die eigenen Möglichkeiten vergrößert oder die der anderen einschränkt.

    So hat Habeck gerade seine Handlungsoptionen nach der Wahl vergrößert, indem er eine (inhaltlich) relativ weiche Bedingung für eine künftige Koalition mit Merz' Union formuliert.



    Anderfalls wären seine Chancen, Vizekanzler zu bleiben, praktisch verschwunden.

    Merz hat etwas ganz Ähnliches vollführt:



    Er hat nämlich gezeigt, dass er bei den wichtigsten Anliegen auch bereit ist, mit wechselnden Mehrheiten zu agieren.



    Das vergrößert einfach die Verhandlungsmasse für Koalitionsgespräche.

    Es gibt genug sinnvoll Kritikpunkte an Merz.



    Warum diese Versuche, ihm alles Schlechte anzuhängen?



    Es hat nur eine Wirkung: Künftige Kompromisse zu erschweren ...

  • Wobei nicht der Kompromiss das Ziel moderner Verhandlungskunst ist, sondern die Berücksichtigung der Bedürfnisse aller.

    • @Jakob Bauer:

      Nicht unbedingt. Der Kompromiss zwischen Happy&Mies drauf ist ja irgendwie so lala. Eine Win-Win-Situation meint aber etwas anderes: Happy&Happy!



      Das geht sicher nicht immer, aber oft.



      In jedem Fall ist es sinnvoll erstmal zu verstehen, was das gegenüber eigentlich in seinem Inneren bewegt:



      blog.hubspot.de/sales/harvard-konzept

    • @Jakob Bauer:

      Ja, ich finde auch, dass die Kompromissfähigkeit oft völlig zu unrecht negativ konnotiert wird. Man kann es ja auch so sehen, dass neben der Berücksichtigung der Bedürfnisse eines Großteils der Bevölkerung im Kompromiss auch die Expertise verschiedener Seiten miteinfließt. Die Kompromisslosigkeit Merz' klang für mich von Anfang an nicht nach Führungsstärke, sondern nach Kopf durch die Wand. Die Folgen davon sind bekannt.

    • @Jakob Bauer:

      Eben: "Berücksichtigung der Bedürfnisse aller" klingt sehr nach empathischem Kompromiss.

      • @Lichtenhofer:

        Sorry, ich hab mir versehentlich selbst geantwortet 🙂

  • Ja aber das lustige ist ja: Da wir hier Verhältniswahlrecht haben und die großen Parteien geschrumpft sind, ist Kompromiß angesagter und unvermeidlicher denn je. Siehe Ampel als erste (und bestimmt nicht letzte) Dreierkoalition. Da kann Merz wollen was er will.

    • @Hinkelstein:

      Das allerdings hat Merz nie verstanden. Die Ironie daran ist, dass Merkel auf ihre Art eine viel typischerer Konservative war: der erstaunliche Erfolg der Union im Nachkriegsdeutschland war ja nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass für jeden etwas dabei war (auch für die "kleinen Leute" - aus heutiger Sicht sind die konservativen Sozialpolitiker der alten BRD ja fast linksradikal). Merkel hat das Profil lediglich an gesellschaftliche Realitäten angepasst, statt von den 50ern zu träumen. Merz interessiert sich im Grund nur für seinen rechten Männerstammtisch (und auch für den nur, solange der ihm zujubelt). Das mag in der gegenwärtigen Situation noch reichen, um Kanzler zu werden - aber ob dass er mit diesem Amt konstruktiv umzugehen vermag, bezweifle ich sehr...

  • Welch ein 'Foto! Löwenthal links, Merseburger rechts..



    „Und das Weltkind in der Mitten."



    www.projekt-gutenb...ichte/chap326.html