Kommentar zur Lohnlücke: Gut, dass wir mal über Frauen reden
Ein neues Gesetz soll die Lohnlücke schließen. Das wird nicht funktionieren. Der Entwurf als „Signal“? Danke, aber nein danke.
E in „Signal“! Ein „Fortschritt“, dass über Frauen geredet wird – die freuen sich bestimmt! So gönnerhaft reagieren Befürworter*innen auf das Entgelttransparenzgesetz, das der Bundestag heute berät. Das Gesetz soll die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen verkleinern. Nur leider wird das nicht funktionieren.
Große Unternehmen müssen künftig ihren Beschäftigten sagen, wie viel die Kolleg*innen verdienen, und öffentlich über Entgeltstrukturen berichten. Was passiert aber, wenn eine Firma in ihren Bericht schreibt: „Wir bezahlen Frauen schlecht, ist uns egal“? Sofern der Bericht pünktlich kommt, passiert gar nichts.
Was passiert, wenn ein Arbeitgeber zur Angestellten sagt: „Frau Müller, solange Ihnen kein Penis wächst, können wir Ihren Stundenlohn nicht erhöhen“? Dann darf Frau Müller klagen, wie sie es schon immer durfte. Ansonsten passiert nichts.
Denn der Entwurf, den Familienministerin Manuela Schwesig entwickelt hat, sieht keinerlei staatliche Sanktionen vor, wenn Betriebe unfair bezahlen.
Der Staat lehnt sich zurück und wartet
Warum nicht? Weil Transparenz zu öffentlichem Druck führe, antwortet Schwesig. „Es liegt bei den Betriebsräten, das zum Thema zu machen“, sagt sie. Schließlich gehe es um große Unternehmen mit in der Regel „gut ausgebauter Sozialpartnerschaft“. Warum nur Mitarbeiterinnen großer Firmen fair entlohnt werden sollen, ist eine andere Frage.
Schwesigs Idee, die Verantwortung auf den Betriebsrat abzuwälzen, zeigt den geringen Stellenwert fairer Löhne. Könnte man ja auch bei der Krankenversicherung einführen: Arbeitgeber berichten regelmäßig, ob sie Beiträge zahlen. Wenn nicht, lehnt der Staat sich zurück und wartet auf öffentliche Empörung. Gutes System.
Die Lohnlücke beträgt 21 Prozent. Davon lassen sich laut Statistischem Bundesamt fast drei Viertel rückschrittlichen Strukturen zuschreiben, die es vor allem zu bekämpfen gilt. Übrig bleiben rund 6 Prozent, und noch nicht einmal diese kleine Lücke wird das Gesetz schließen.
Gut, dass das Thema jetzt „auf der Tagesordnung“ ist. Aber wenn Arbeitgeber konsequent ein Grundrecht verletzen, ist jede Sekunde, in der das Thema nicht auf der Tagesordnung steht, ein Skandal. Wenn endlich der Bundestag darüber spricht, sollte sich niemand bedanken müssen. Nicht einmal die Frauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl