Kommentar zur Lage der Grünen: FDP mit Biosiegel

Die Grünen haben keine Idee beim wahlentscheidenden Thema Gerechtigkeit. Wer linke Reformen will, wird sie nicht wählen.

Die Reflektion von zwei Männern auf der Motorhaube eines Mercedes, dessen Stern man sieht

Eine Partei der Unterschicht? Sind die Grünen ganz sicher nicht Foto: dpa

Es gab da mal einen jungen Mann mit türkischen Eltern, der es von der Hauptschule zum Abitur geschafft hatte – und sich nun für einen der vielen Studiengänge entscheiden musste. Eine andere Wahl hatte er da schon getroffen. Weil er sich politisch engagieren wollte, hatte er sich alle Parteien angesehen und dann für die Grünen entschieden. Denn die, sagte er, repräsentierten das, wo er selbst gern hinwolle: den gehobenen Mittelstand.

Man könnte diese wahre Geschichte als großen Erfolg der Grünen lesen. Tatsächlich aber beschreibt nichts präziser das Problem der Partei. Ja, sie kann Menschen mit Migrationshintergrund für sich begeistern. Ja, sogar wenn sie aus einer Arbeiterfamilie stammen. Dummerweise aber erst dann, wenn es den Aufsteigern gelungen ist, ihr Milieu zu verlassen und zum verständigen, weltoffenen, ökologisch denkenden Akademiker zu werden.

Wer das nicht schafft, wählt Linkspartei, AfD oder gar nicht. Oder neuerdings Martin Schulz und seine SPD. Aber die Grünen?

Die haben immer noch einen linken Flügel, der eine ökologische Weltrettung ohne sozialen Wandel für unmöglich hält. Nur, wenn es drauf ankommt, kann er sich kaum jemals durchsetzen – ganz im Sinne der Wählerklientel. Deshalb hat es der Partei auch nie geschadet, dass sie einst die Hartz-IV-Reform mitgetragen hat. Die Idee, Steuern für Gutverdiener zu erhöhen, dafür umso mehr.

Dennoch sind die Grünen mit ihrem Programm solange gut gefahren, wie linkes Gedankengut und soziale Reformen als Ladenhüter galten. Also bis Mitte Januar. Dann trat Martin Schulz als Retter der Enterbten auf – und die Grünen stehen da als diejenigen, die sie sind: als FDP mit Biosiegel, aber ohne Idee zum wahlentscheidenden Thema Gerechtigkeit.

Die Grünen haben noch immer einen linken Flügel. Nur, wenn es drauf ankommt, kann er sich kaum jemals durchsetzen

Und nun? Sollen die Grünen auf den Schulz-Zug springen? Das würde kein Mensch glauben. Was sie halbwegs retten kann, ist Konsequenz. Ein Festhalten am Selbstbild einer Akademikerpartei mit Herz. Damit gewinnen sie nicht die Wahl, aber vielleicht ein paar an der CDU zweifelnde Merkel-Fans. Und das wird den Ausschlag geben, ob Rot-Rot-Grün eine Mehrheit bekommt. Dafür werden sie gebraucht, die Grünen.

Wer aber linke Reformen will, wird sie so oder so nicht wählen. Muss man ja auch nicht. Dafür gibt es die Linkspartei. Und neuerdings sogar wieder die SPD.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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