Kommentar Union und Mordfall Lübcke: Das rechte Auge endlich ganz öffnen
Nach dem Geständnis im Mordfall Lübcke muss der Kampf gegen Rechtsextremismus endlich Toppriorität bekommen. Doch gerade die Union zögert.
E r hat gestanden. Stephan Ernst, ein Mann mit rechtsextremer Gesinnung und möglicherweise Kontakten zu hochrangigen Neonazi-Kadern, hat eingeräumt, den CDU-Politiker Walter Lübcke mit einem Kopfschuss ermordet zu haben.
Dieses Geständnis müsste eigentlich alles ändern. Doch selbst jetzt können sich weder Angela Merkel noch Innenminister Horst Seehofer dazu durchringen, den Kampf gegen Rechtsterrorismus in Deutschland zur Chefsache zu machen.
Ein deutscher Politiker wird aus rechtsextremen Motiven getötet. Eine weitere Amtsträgerin, Henriette Reker, ist zuvor schon bei einem ähnlichen Anschlag nur knapp mit dem Leben davongekommen. Seit Monaten verschicken Rechtsextreme Morddrohungen an PolitikerInnen, AktivistInnen und AnwältInnen. Ganz zu schweigen von den regelmäßigen Attacken auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte.
Das ist längst kein Komplex mehr, den nur die FachpolitikerInnen im Innenausschuss verhandeln sollten. Der Kampf gegen Rechtsextremismus muss endlich Toppriorität bekommen. Mehr Geld, mehr Know-how, mehr politischer Wille muss in seine Bekämpfung fließen – und vor allem in die Aufklärung neonazistischer Strukturen, die viel zu lange vernachlässigt wurde.
Nur Hinweise auf Ermittlungen
Stattdessen ist wieder einmal die Rede vom Einzeltäter, die auch schon beim Umgang mit dem vermeintlichen NSU-„Trio“ verhindert hat, das Netzwerk der TerroristInnen besser auszuleuchten. Stattdessen äußerten sich selbst Lübckes ParteifreundInnen nur zögerlich. Während Unions-PolitikerInnen die Ausschreitungen bei den Protesten gegen G20 noch am selben Tag problemlos als linksextremen Terrorismus geißelten, übertrafen sie sich hier tagelang mit vorsichtigen Hinweisen auf die laufenden Ermittlungen.
Die Gefahr durch Rechtsterrorismus stand nicht einmal bei der Innenministerkonferenz oben auf der Agenda. Stattdessen wollte Seehofer über Abschiebungen nach Afghanistan und Clan-Kriminalität diskutieren. Da war Walter Lübcke seit zehn Tagen tot und zumindest der Verdacht auf einen rechtsextremen Hintergrund existierte bereits, Morddrohungen des selbsternannten „NSU 2.0“ auch.
Immerhin erwägt Seehofer mittlerweile ein Verbot der Neonazi-Organisation Combat 18. Aber wie so viele der aktuellen Absichtserklärungen kommt auch diese zu spät und reicht bei Weitem nicht aus. Bitter, dass nicht einmal der Mord am eigenen Parteifreund die Union dazu bringt, ihr rechtes Auge ganz zu öffnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity