Kommentar Trump-Cover des „Spiegel“: Die Titelbild-Eskalation
Nicht nur die Freiheitsstatue, auch der „Spiegel“ hat seinen Kopf verloren. Das aktuelle Schocker-Foto lässt kaum Spielraum für die Zukunft.
B lut kleckert in heißen Tropfen von Hals und Schlachtermesser. Donald Trump hat soeben der Freiheitsstatue den Kopf abgeschnitten. Daneben prangt: „America First“. Ein Schocker! „Bemerkenswert“ und „atemberaubend“ sei das aktuelle Spiegel-Cover, lobt die Washington Post. Schon am Samstag trugen Demonstrierende Schilder mit dem Motiv auf einer LGBT-Kundgebung in New York City.
Doch die Meinungen gehen auseinander: Gerade aus Deutschland kommt vor allem Kritik am Spiegel-Cover. Der EU-Parlaments-Vizepräsidenten Alexander Graf Lambsdorff (FDP) nannte das Cover laut Bild-Zeitung „geschmacklos.“ Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg-Wellmann riet in dem Blatt: „Ich rate allen, etwas runter zu kommen.“ Die Welt moniert „hyperventilierenden Anti-Trump-Journalismus“ und beklagt, das Cover entwerte den Journalismus insgesamt. Und die FAZ warnt: Wer eine Gleichung Trump gleich Terror aufmache, habe sein Pulver als Trump-Kritiker früh und vollständig verschossen.
Gestaltet hat die Titelseite der aus Kuba stammende Künstler Edel Rodriguez, der 1980 als politischer Flüchtling in die USA gekommen war. In der Washington Post spricht er mit Blick auf den von Trump verhängten Einreisestopp für Menschen aus sieben islamischen Ländern von einer „Enthauptung der Demokratie, Enthauptung eines heiligen Symbols“. Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer stimmt zu. „Auf unserem Titelbild enthauptet der amerikanische Präsident jenes Symbol, das seit 1886 Migranten und Flüchtlinge in den USA willkommen heißt, und damit Demokratie und Freiheit“, sagt er der dpa.
Was das Titelbild noch meint, ohne es zu zeigen, ist offensichtlich: Allzu deutlich erinnert die Trump-Darstellung an die Enthauptungen durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Brinkbäumer will das nicht kommentieren – Karikaturist Rodriguez schon. Natürlich sei das ein Verweis auf die Terrororganisation IS. „Beides sind Extremisten, also vergleiche ich sie einfach mal“, zitiert die Washington Post Rodriguez.
Eine Karikatur muss überspitzen, klar. Aber taugt eine Gleichsetzung von Donald Trump und dem „Islamischen Staat“? Erinnern wir uns: Donald Trump lässt zwar weiter Drohnen bomben, will die USA mit physischen Grenzen und Zöllen abschotten, verhängt ein schändliches Einreiseverbot. Aber das Köpfeabschneiden ist eine Domäne des IS.
Bisher, könnten Kritiker sagen – aber genau das ist der Punkt: Wie will der Spiegel aufmachen, wenn Trump und Bannon die Lage in den USA weiter eskalieren? Wenn (möglicherweise nach einem Anschlag) Muslime registriert, Moscheen geschlossen werden? Wenn Zeitungen verboten, Journalisten eingesperrt werden? Wenn Lesben und Schwule gegängelt werden? Was will der Spiegel der Freiheitsstatue dann abschneiden? Ihren Kopf verloren hat sie ja schon – und der Spiegel seinen offensichtlich auch.
Wie man es besser macht, zeigt die US-Zeitschrift New Yorker: Auf dem Cover der kommenden Ausgabe ist die verlöschende Fackel der Freiheitsstatue. Die Aussage ist ähnlich, aber weniger martialisch. Und sie personalisiert das Problem nicht, sondern hebt es auf ein breiteres Level: Dass so ein irrlichternder Milliardär überhaupt erst demokratisch ins Amt gewählt werden konnte, hat Gründe, die sich zwar an der Person Trump festmachen lassen – die aber wesentlich tiefer reichen. Nicht (nur) Trump ist das Problem, es sind die Bedingungen, die Trump ermöglicht haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern