Kommentar Syriza-Parteitag: Balsam für die Parteiseele
Syriza geht gestärkt aus dem Parteitag hervor. Doch der Spagat zwischen reiner Lehre und der von außen verordneten Sparpolitik ist nicht beendet.
E s war fast wie in alten Zeiten: In einer mitreißenden Rede zum Auftakt des zweiten Syriza-Parteitags am Wochenende teilt Alexis Tsipras gegen die Kreditgeber und die Austerität aus, fordert Schuldenerleichterungen, verdonnert unlautere Wirtschaftsinteressen und altgediente Politiker in Hellas. Syriza geht gestärkt aus dem Parteitag hervor, und verzweifelt trotzdem an dem Dilemma zwischen reiner Lehre und aufgezwungener Sparpolitik.
Der Unterschied zu früheren Auftritten ist allerdings, dass Tsipras als Ministerpräsident selber regiert, und zwar seit immerhin 22 Monaten. Diese Zeit ist zu kurz, um all die in den vergangenen 40 Jahren in Griechenland aufgehäuften Missstände zu beseitigen, aber doch mehr als genug, um aufzuzeigen, wohin die Reise geht.
Syriza kann oder will diese Zukunftsfrage noch nicht überzeugend beantworten – zum Teil auch deshalb, weil dem Regierungschef Tsipras ein Neustart ohne Altlasten (sprich: eine Schuldenentlastung nach mittlerweile acht Rezessionsjahren in Hellas) verwehrt wird.
Der kämpferische Auftritt des Linkspremiers in Piräus war nicht zuletzt Balsam für die Parteiseele, die dem zerreißenden Zwiespalt zwischen Ideologie und Regierungsalltag immer stärker ausgeliefert wird. Daran verzweifeln auch die griechischen Wähler, zeigen doch alle Umfragen, dass die einstige Syriza-Regierungsmehrheit von 36 Prozent auf knapp 20 Prozent schmilzt.
Die Umfragen zeigen aber auch etwas anderes: Von einem angeblichen Syriza-Untergang können die Oppositionsparteien (noch) nicht profitieren. Tsipras könnte vielleicht doch noch das Blatt wenden, sollte er tatsächlich mehr Demokratie und Sozialreformen in Athen wagen. Und mehr Präsenz in Europa zeigen. Natürlich weiß der Regierungschef, dass er auf Dogmatiker, Vertreter der reinen Lehre und Utopieträger in seiner Partei nicht verzichten kann. Diese Abhängigkeit beruht allerdings auf Gegenseitigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja