Kommentar Seehofers Reaktion auf Paris: Die neuen Töne des ewigen Eskalierers
Endlich hat Horst Seehofer den Ernst der Lage erkannt und beschwört nun eifrig den Koalitionsfrieden. Die eigene Wiederwahl motiviert ihn.
Horst Seehofer hat recht. Bei den Terroranschlägen von Paris handele es sich um „eine neue Dimension der Bedrohung“, sagt der CSU-Chef. Wie man dieser begegnen könne, darüber wolle er gemeinsam mit der Bundesregierung beraten. „Wir wollen keinen parteipolitischen Streit in dieser ernsten Situation.“
Ganz neue Töne aus München sind das. Seehofer, der ewige Eskalierer, scheint den Ernst der Lage erkannt zu haben. Nach Paris, nach all dem Grauen und den Toten, verbietet es sich von selbst, weiter auf Kosten anderer am CSU-Profil zu schrauben. Denn das hieße, das Terrorthema mit dem Schicksal der Flüchtlinge in Deutschland zu vermischen.
So verantwortungsbewusst Horst Seehofers Äußerungen gerade wirken mögen – dem neuen Frieden in der Union mag man kaum trauen.
Horst Seehofer, das ist doch der Mann, der wegen der in Bayern ankommenden Flüchtlinge gerade noch den Notstand ausrufen wollte. Jener Parteichef, der das Gerücht gestreut hatte, er würde, wenn die Kanzlerin nicht endlich vernehmlich „Obergrenze“ sagt, seine drei CSU-Minister aus der Regierung abziehen. Und dieser Seehofer beschwört nun den Koalitionsfrieden?
Ordnung bis zur Wiederwahl
Mag sein, dass der Ingolstädter den Ernst der Lage erkannt hat. In einem weltpolitisch aufgeladenen Moment wie diesem braucht Deutschland eine Regierung, die der verbalen Aufrüstung eine Strategie entgegensetzt, einen Plan. Raubauze, die zuerst ihr eigenes politisches Fortkommen im Blick haben, wirken abstoßend.
Wie weit es aber mit der neuen Verbindlichkeit tatsächlich her ist, wird sich spätestens am Ende dieser Woche zeigen. Dann beginnt in München der CSU-Parteitag; Horst Seehofer möchte mit einem respektablen Ergebnis erneut zum Vorsitzenden gewählt werden.
Da dürfte es ihm sehr gelegen kommen, dass CDU, CSU und SPD sich gerade auf eine neue Wortwahl zu einigen beginnen. Sowohl in der Türkei, wo Angela Merkel beim G-20-Gipfel weilte, als auch in der Berliner SPD-Zentrale war am Montag von „Kontingenten“ die Rede. Seine Partei, so Sigmar Gabriel, verfolge seit Wochen gemeinsam mit der Kanzlerin das Ziel, große Flüchtlingskontingente an die Stelle von „chaotischer Zuwanderung“ zu setzen. Falls die CSU das auch wolle, „wäre das eine gute Entwicklung“.
Kontingente – das klingt gut. Nach Ordnung und nach Optionen. Beim Parteitag wird Horst Seehofer eine Menge dafür tun, dass es so ausschaut, als habe er dafür das politische Copyright. Bis zur Wiederwahl. Hernach kann er getrost weiter eskalieren.
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