Kommentar SPD-Führungswechsel: Ein starker Abgang
Sigmar Gabriel, die tragische Gestalt, erweist der SPD einen Dienst. Nun muss Martin Schulz Wahlkampf für eine offene Gesellschaft machen.
W enn sich einer für eine gefühlige, flatterige und reizbare Partei wie die SPD abgerackert hat. Wenn er dabei selber immer gefühliger, flatteriger und reizbarer geworden ist. Wenn er sieben Jahre und zwei Monate alles ausgehalten hat, was so auf die Sozialdemokratie einprasselt. Wenn er dann den letzten Schritt nicht tut, der ihm nach Parteibräuchen zustünde, nämlich die Kanzlerkandidatur: Dann ist das groß.
Sigmar Gabriel überrascht mit dem Verzicht auf die Kandidatur und dem Rücktritt als Parteivorsitzender in einem Moment, in dem er einigermaßen gut dasteht. Das Gemecker über ihn hat er in den Griff bekommen. Er hat Frank-Walter Steinmeier als nächsten Präsidenten präsentiert. Er hat nach Neujahr in einem Strategiepapier Freiheit und Sicherheit ausbalanciert.
Wenn SPD-Vorsitzende gehen, machen sie selten eine gute Figur. Scharping wurde auf dem Parteitag gedemütigt, Lafontaine zog beleidigt ab, Beck mobbten sie weg. Aber Gabriel ist es gelungen, seinen Abgang selbst zu choregrafieren.
Trotzdem ist er eine tragische Gestalt. Der große Absturz der Partei hat sich vor ihm ereignet: 2009, als die SPD nach vier Jahren Großer Koalition unter Merkel von 34 auf 23 Prozent absackte. Gabriel hat seitdem ziemlich viel versucht, um den Zwanziger-Beton aufzubrechen. Er ist dorthin gegangen, wo es brodelt und stinkt. Er wollte die SPD mit sich versöhnen. Er hat den Mindestlohn durchgesetzt, die Rente mit 63 und die Frauenquote in Aufsichtsräten. Aber das reichte nicht, um der SPD ein klares, kantiges Profil zu geben, mit dem sie mehr sein könnte als der Betriebsrat von Angela Merkel.
Gabriel hatte weder Ideen noch Anziehungskraft, um die gebrechliche Volkspartei lebendig zu machen. Dabei hat er emotional agiert wie kaum jemand sonst in der Politik. Doch das kam nicht an. Und seit er Vizekanzler ist, hat er die Zuschreibung des Sprunghaften noch verstärkt, weil er hin- und her oszillierte. Er wollte die Partei profilieren und dann wieder die Regierung stabilieren; er war Freund der Unternehmer und dann wieder Freund der Gewerkschaften; er hat Rüstungsexporte blockiert und wieder andere durchgewunken.
Doch ein Politiker, dessen Rolle unklar ist, taugt den meisten Deutschen nicht; erst recht nicht, wenn die Welt aufgewühlt ist. So wurde Gabriel sagenhaft unbeliebt. Es wird interessant sein zu sehen, ob er ein populärer Außenminister wird. Meistens hilft dieses Amt der Beliebtheit des Inhabers. Ob Gabriel ein guter Außenminister wird, ist äußerst zweifelhaft. Als Wirtschaftsminister hat er gut drei Jahre lang die Außenpolitik durch die Brille der Unternehmen gesehen.
Nun also Martin Schulz. Mit ihm wählt die SPD nicht die nach alten Logiken stärkste Figur aus. Sie vermeidet den Clinton-Fehler, indem sie einen Neuen ins Rennen schickt. Anders als Merkel, Gabriel, Özdemir und Göring-Eckardt gehört Schulz nicht zum Mobiliar der Hauptstadt. Er hat zumindest eine kleine Chance aufs Kanzleramt, weil er weit weniger verwickelt ist in die Große Koalition als deren Protagonisten.
Martin Schulz hat eine starke Geschichte zu erzählen, die ihm eine eigene Ausstrahlung gibt: Vom Alkoholiker zum Bürgermeister von Würselen und schließlich zum Präsidenten des Europaparlaments – der einzige in diesem Amt, den man überhaupt kennt. Schulz kann gar nicht anders, als im ersten Jahr des Trump einen Wahlkampf für ein offenes Europa zu führen. Das ist doch was.
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