Kommentar Rücktritt des Ukip-Chefs: Die Regierung ist der bessere Farage
Er gilt als geistiger Urheber des Brexit. Aber wer braucht Farage, wenn die Regierung den EU-Austritt umsetzt? Höchstens noch der rechte Rand.
Volksabstimmungen sind toll. Mit einem einzigen Kreuz haben die britischen Wähler den EU-Austritt beschlossen, ihren Premierminister abgesetzt, dessen Hauptrivalen ins Abseits befördert, den Oppositionsführer in die Tonne getreten, die Einheit des Königreichs erschüttert – und jetzt auch noch den geistigen Urheber des Brexit ins Aus geschickt.
Es ist völlig unverständlich, dass sich manche EU-Befürworter nun über Nigel Farages Rücktritt empören. Sie verwechseln den Ukip-Chef wohl mit einer bedeutenden politischen Figur. Vor welcher Rolle soll denn der Führer einer Partei, die im britischen Parlament einen einzigen Sitz hält und die in der offiziellen EU-Austrittskampagne eine marginale Rolle spielte, feige die Flucht ergriffen haben? Seine Partei wird überflüssig, seine historische Funktion ist erfüllt. Wer braucht noch einen Nigel Farage, wenn die Regierung den Brexit umsetzt? Höchstens noch der rechte Rand. Gut, dass Farage sich dafür nicht hergibt.
Denn der Brexit war nicht das Werk von Rechten, die auf hinterhältige Weise das Wahlvolk in die Irre geleitet hätten, wie es manche nun darzustellen versuchen. Er entspringt der Mehrheitsentscheidung der Bevölkerung ganz unterschiedlicher sozialer Milieus und politischer Lager. Sie entschied sich nicht wegen, sondern trotz Farage für den EU-Austritt. Das wollen die EU-Befürworter nicht wahrhaben, weil sie ihre eigenen Fehler nicht sehen wollen. Viel einfacher ist es, alles auf den bösen Rechtspopulisten zu schieben.
Auch die Kritik an Boris Johnson, weil er nicht Premierminister werden will, entbehrt jeder Logik. Johnson zog sich aus dem Rennen um David Camerons Nachfolge zurück, weil er chancenlos geworden war.
Trotzdem geht jetzt in Europa die Mär um, Johnson und Farage scheuten die Verantwortung für das von ihnen angerichtete Chaos. Das Gegenteil ist der Fall. Indem sie verzichten, verhindern die beiden das Chaos, das die Brexit-Gegner herbeizureden versuchen. Die EU wird sich daran gewöhnen müssen, dass die britischen Konservativen viel schneller als gedacht wieder vernünftig zusammenfinden, dass Großbritannien nicht nach rechts abdriftet und dass es auch keinen politischen und ökonomischen Zusammenbruch auf der Insel geben wird. Für die Selbstgerechtigkeit jener EU-Propagandisten, die den britischen Austrittswillen bitter bestraft sehen möchten, wird das ein Schlag sein. Aber für Europa ist es gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann