Kommentar Räumung Hambacher Forst: Lebensgefahr durch Schutzmaßnahme
Im Forst wird geräumt, weil die Baumhäuser keinen Schutz vor Feuer bieten. Die Regierung zeigt dabei das Diplomatiegefühl einer Dreijährigen.
D ie Weisung des Ministeriums für Heimat, Bau und Gleichstellung ist eindeutig: Die Baumhäuser im Hambacher Forst seien sofort zu räumen. Dass es zu einer Räumung der Besetzung kommen könnte, war lange klar. Aber wie das NRW-Bauministerium von Ina Scharrenbach (CDU) dies nun einleitet, zeugt vom Diplomatiegefühl einer Dreijährigen an der Supermarktkasse.
Im Erlass des Ministeriums steht als Begründung: „Gefahr im Verzug für Leib und Leben der Baumhausbewohner aus Brandschutzgründen“. Das jedoch nicht etwa während des Rekordsommers mit zahlreichen Waldbränden, sondern im September. Nach Jahren, in denen die Baumhäuser schon bewohnt werden. Plötzlich bemerkt man also Brandgefahr, sogar akute: Aus Sicherheitsgründen dürfe es keinen zeitlichen Aufschub bei der Räumung geben.
Mit ihrem Vorgehen schafft Scharrenbach vier auf einen Streich: Zunächst einmal bringt sie die beiden Bauordnungsämter der Stadt Kerpen und des Kreises Düren in eine unmögliche Position. Die Ämter müssen den Erlass umsetzen. Sie sind weisungsgebunden. Nun sind also zwei kleine Ämter offiziell verantwortlich einen Einsatz, den ein Sprecher der Aachener Polizei als einen der größten in der jüngeren NRW-Geschichte bezeichnet.
Die Bauämter scheinen sich über die neue Rolle nicht gerade zu freuen: Wie der WDR berichtet, wollen sie Aufschub gewähren – trotz der Dringlichkeit laut Erlass – sofern die BaumhausbewohnerInnen einstweilige Verfügungen erwirken wollen. Die Wortwahl „wollen“ statt „können“ oder „erwirkt haben“ deutet auf ein Entgegenkommen hin.
Manche Bewohner leben seit Jahren hier
Wer sich ebenfalls nicht zu freuen scheint, ist die Polizei Aachen. Auch sie hängt drin, denn die beiden Bauämter können den Erlass nicht allein umsetzen: Also stellen sie, die keine Wahl haben, einen Gesuch um Amtshilfe an die Polizei, woraufhin die ebenfalls keine Wahl mehr hat. Amtshilfe muss geleistet werden, so Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach im Pressegespräch am Mittwochnachmittag.
Und: Sollte auch nur passiver Widerstand geleistet werden, bedeute das Lebensgefahr „für alle Beteiligten“.
Mit passivem Widerstand ist erfahrungsgemäß zu rechnen. Manche BesetzerInnen leben seit Jahren hier. Ein Einsatz, der offiziell stattfindet, um Menschen vor dem mangelhaften Brandschutz ihrer Häuser zu retten, bringt sie und BeamtInnen also in akute Lebensgefahr durch Sturz aus bis zu 20 Metern Höhe. Ob die Maßnahme notwendig, zweckmäßig oder rechtmäßig sei, könne er nicht beantworten, sagt Weinspach. Das sei ja nicht seine Operation. Richtig, es ist die von Scharrenbachs Ministerium. Das schubst die Dominokette um. Die Landespolitik mischt sich ein im Konflikt zwischen KohlegegnerInnen und RWE: Und mit den Folgen dürfen sich andere beschäftigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“