Kommentar Politiker und Doktorarbeiten: Der Doktor verjährt nicht
Sollen Promotionsvergehen irgendwann ad acta gelegt werden? Vielleicht. Aber dann müsste auch die deutsche Titelhuberei ein Ende haben.
V ieles kommt einem an dieser Geschichte bekannt vor. Der jahrelang kultivierte professorale Habitus, das so redlich daherkommende Katholische - und dann ein so plötzlicher Schummelvorwurf. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) soll in seiner Doktorarbeit plagiiert haben, so wie seine Parteikollegin Annette Schavan zuvor.
So wie die ehemalige Wissenschaftsministerin soll auch Lammert in seiner Dissertation so getan haben, als habe er Werke gelesen, die er wohl nie selbst in den Händen hielt. Einmal soll er gar auf ein Buch verwiesen haben, das es nicht gibt.
Zu Beginn der Affäre Schavan erschien vielen Beobachtern der Furor anonymer Plagiatsjäger skandalöser zu sein als die vor Jahren vergessenen Fußnoten der Ministerin. Nach so langer Zeit müssten Fehler verziehen werden. Das war das Bauchgefühl selbst derer, die Schavan nicht gerade wohlgesonnen waren.
Egal, wie der Fall Lammert ausgehen wird: Die Debatte um Verjährungen bei Promotionsvergehen flammt dadurch neu auf - zumal seine Dissertation noch länger zurück liegt als die der ehemaligen Wissenschaftsministerin. Und auf den ersten Blick scheint vieles tatsächlich unverhältnismäßig. Die meisten Vergehen verjähren in diesem Land irgendwann. Die unterschlagenen Anführungszeichen in der Doktorarbeit eines Endzwanzigers stehen dagegen bis zum Lebensende auf dem Prüfstand.
Man kann es so sehen. Nur sollte ein solche Betrachtung nicht dabei stehen bleiben. So wie die Promotionsvergehen nicht verjähren, verjährt schließlich auch der Titel nicht. Der Doktor bleibt ein Leben lang. Er ist hierzulande weit mehr als ein Studienabschluss. Er steht auf Visitenkarten und im Briefkopf. Es ist die einzige akademische Qualifikation, die in Deutschland sogar im Pass eingetragen wird. Die Grünen im Bundestag wollten das vor ein paar Jahren ändern – und scheiterten am Widerstand von CDU und FDP.
Man kann darüber streiten, ob Schlampigkeiten beim Zitieren nicht verjähren sollten. Warum nicht? Auch der Inhalt einer Dissertation ist schließlich nach Jahren überholt. Bevor man aber über Verjährungen spricht, sollte die Titel aber zuerst von den Türschildern und aus den Ausweisdokumenten verschwinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos