Kommentar Neuwahl in Griechenland: Kommunismus fällt aus
Wird Syriza nach einem Wahlsieg mit „unserem Geld“ den Sozialismus einführen? Wohl kaum. Entgegen allen Ängsten wäre ihr Erfolg eine Chance für das Land.
E uropa am Abgrund, die gemeinsame Währung vor dem Aus, Griechenland vor der Einführung des Kommunismus – es sind Szenarien wie diese, die in den nächsten Wochen Hochkonjunktur haben werden. Linke werden sich die Hände reiben ob eines bevorstehendes Sieges der Syriza-Partei in Athen, während für manche Konservative der Untergang des Abendlandes näher rückt.
Doch all diese Vorstellungen sind unsinnig. Neuwahlen in Griechenland sind zunächst einmal eine Chance, ein korruptes, von Klientelinteressen geleitetes politisches System in den Ruhestand zu schicken. Es wäre ein überfälliger Akt der politischen Hygiene, wenn diese Volksvertreter nicht länger das Volk vertreten, und es wäre eine Annäherung der griechischen Demokratie an europäische Standards. Gerade EU-Politikern sollte es Grund zur Freude sein, wenn die Aussicht besteht, dass ihre griechischen Partner nicht länger aus postenverteilenden Demagogen bestehen.
Der Sozialismus aber wird in Athen 2015 nicht eingeführt werden. Auch ein Ausscheiden Griechenlands aus der EU steht nicht zur Debatte. Syriza wird, wenn die Partei denn gewinnt, auf einen Koalitionspartner angewiesen sein. Parteichef Alexis Tsipras ist weder ein Heilsbringer von Utopia noch der Gottseibeiuns aller Christenmenschen. Er will die Steuern für Reiche erhöhen, den Militärhaushalt schrumpfen und einen bescheidenen Mindestlohn einführen. Das ist gut sozialdemokratisch, mehr aber auch nicht.
Den Euro will Syriza behalten, besteht aber auf einem Schuldenschnitt für sein Land. Es ist diese letzte Forderung, die, so vernünftig sie finanzpolitisch für Griechenland auch sein mag, für Ärger mit Europa sorgen wird. Denn ein solcher Schnitt würde die europäischen Partnerstaaten und damit deren Bevölkerung treffen, denen indirekt die Schulden Griechenlands aufgebürdet würden.
Deshalb droht in Griechenland zwar kein Kommunismus, aber Europa drohen unruhige Zeiten. Es wird spannend werden, zu sehen, inwieweit Regierungen und Parteien dort dazu bereit sind, ihren Bürgern eine Solidarität mit den Griechen abzuverlangen, die erstmals wirklich Geld kostet. Es ist absehbar, dass Deutschland dabei den Bremser spielen wird. Und es ist zu befürchten, dass das Bild der unfähigen „Pleite-Griechen“ hervorgezaubert wird, die mit „unserem Geld“ den Sozialismus einführen wollen – auch wenn da gar nichts dran ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung