5493202

Kommentar Labour und Antisemitismus: Tief verwurzelt

Gut, dass Corbyn und sein Apparat beginnen, Antisemitismus den Kampf anzusagen. Schlecht, dass sie erst unter Druck tätig werden.

Ein Mann sitzt vor einer knallroten Wand und hält die Hände vor Mund und Nase

Jeremy Corbyn – Held oder Zauberer oder beides? Foto: dpa

Weiten Teilen der europäischen Linken gilt Jeremy Corbyn als eine Mischung von Held und Zauberer. Der Anführer der britischen Labour-Partei hat die totgeglaubte und in einer tiefen Sinnkrise gefangene linke Oppositionspartei über die magische 40-Prozent-Marke gehievt. Er hat Hunderttausende Jungwähler begeistert und eine klare politische Alternative angeboten – und das alles, ohne seine Prinzipien zu verraten. Viele wünschen sich, dass auch anderswo in Europa ein solcher Typ mal die Politik aufmischen möge.

Aber die neuen Skandale um offensichtlich tief verwurzelten Antisemitismus in der Labour-Partei, gerade bei den Corbyn-Sympathisanten, sollten zu denken geben. Längst geht es nicht mehr um die ewig gleichen Fragen, ob man Israel kritisieren darf und mit welchen Palästinensern man Solidarität üben soll. Es geht um Antisemitismus in Reinform: um das Gefasel von mächtigen jüdischen Strippenziehern, um die Leugnung des Holocausts, all dies vorgeblich im Namen der Kapitalismusbekämpfung und der Abgrenzung zum Mainstream.

Es ist löblich, dass Corbyn und sein Apparat jetzt allmählich beginnen, diesen Tendenzen den Kampf anzusagen. Es ist zugleich schändlich, dass sie erst unter Druck tätig werden. Manche Corbyn-Enthusiasten tun die Antisemitismus-Vorwürfe bis heute als Teil einer Kampagne ab. Es sei doch offensichtlich, dass es vor allem darum gehe, Corbyn zu schaden, sagte die Leiterin der innerparteilichen Labour-Schiedsstelle, als sie Maßnahmen gegen einen Holocaust-Leugner in der Partei zunächst ablehnte, bevor sie zurücktrat.

Dazu kann man nur sagen: Gut, dass es solche Kampagnen gibt. Denn wenn es Corbyn schadet, Antisemiten aus seinem Umfeld zu entfernen, stimmt etwas ganz grundsätzlich nicht. Bei einer Linken, die diesen Namen verdient, darf rechtsextremes Gedankengut keinen Platz haben. In Querfront-Zeiten ist diese Erkenntnis aber offenbar nicht nur in Großbritannien nicht mehr selbstverständlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Kommentarfunktion unter diesem Artikel ist geschlossen.

So können Sie kommentieren:

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Leser*innenkommentare

  • Theloneous Honk

    ihr wisst wohl noch gar nicht das neueste?

    https://www.theguardian.com/politics/2018/apr/03/jeremy-corbyn-called-irresponsible-after-attending-radical-jewish-event?CMP=share_btn_link

    er hat schon so lange Life Of Brian nicht gesehen, das er sich mit den falschen juden assoziiert. Judeans' People Front und nicht mit der People's Front Of Judea. oh dear!

  • nzuli sana

    Ken Livingstone äußerte diese antisemitischen Verschörungstheorien zunehmend geltungsbedürftig in den letzten Jahren.

    Aus seiner Aktivität in den 80ern war das so nicht bekannt und wäre auch von den antirassistischen Genossen kritisiert worden.

    Klar gibt es das Problem auch in der Labour Party.

  • Rolf B.

    Die "Querfront" von Transatlantikern und Antideutschen gegen Linke schafft es noch, das wirklich existierende Problem des Antisemitismus in Deutschland und Europa zur Farce zu machen.

  • J_CGN

    Yeah, Antisemitismus als letzte Silver Bullet.

    Die ausbeuterische Menschenfeindlichkeit des H-IV-Regimes und des weiteren Neoliberalismus schlägt jeglichen Antisemitismus bei weitem, wird aber gern in Kauf genommen.

    Diese Bigotterie ist ekelhaft.

  • BigRed

    Erst wenn auch der letzte Israelkritiker von Labour ausgeschlossen wurde und die Tories auch die nächste Wahl gewonnen haben, werden Sie zugeben, dass Ihnen linke Politik doch irgendwie nie geheuer war.

  • KP229

    Howgh, der Atlantiker hat gesprochen! Aber es ist ein gutes Zeichen, wenn die letzten Argumente gegen Corbyn Antisemitismus und Querfront heißen. Zum Glück gibt es aktuell keine wichtigeren außenpolitischen Themen. Gaza-Streifen? War da was?

  • 82732 (Profil gelöscht)

    Gast

    Auch zum Thema hier ein Artikel im aktuellen "Economist". http://www.economist.com/news/britain/21739672-labours-leader-will-not-rid-his-party-scourge-until-he-understands-what-it-means-jeremy

  • 81622 (Profil gelöscht)

    Gast

    ja

    • 88181 (Profil gelöscht)

      Gast

      @81622 (Profil gelöscht) Das gerade Sie eingestehen, dass Antisemitismus überhaupt und irgendwo existiert und dann auch noch in einer linken Partei, das nötigt mir dann doch Respekt ab.