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Kommentar Kritik am Jüdischen MuseumEs geht nicht um einen Tweet

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Das Jüdische Museum muss sich ernsthaft fragen, ob es seinem Titel gerecht geworden ist. Ein Ort der Diskussion muss es aber bleiben.

Auch ohne Direktor Peter Schäfer muss sich das Jüdische Museum kritische Fragen stellen Foto: dpa

D er Rücktritt von Peter Schäfer, dem bisherigen Direktor des Jüdischen Museums Berlin, war unvermeidlich. Wenn der Leiter einer halbstaatlichen Kultureinrichtung, die das Wort „Jüdisch“ im Titel führt, nicht mehr das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft genießt, ja wenn sich deren Vertreter öffentlich fragen, ob dieses Museum noch jüdisch genannt werden kann, dann ist ein Neuanfang unumgänglich – ganz unabhängig davon, wie die Gründe für den Konflikt zu bewerten sind.

Außenstehenden mögen diese Gründe banal, ja unverständlich erscheinen. Was ist daran ­auszusetzen, wenn ein Museum einen Zei­tungsartikel zur Lektüre empfiehlt? Warum soll es ein Skandal sein, wenn ein Vertreter Irans vom ­Direktor zum Austausch empfangen wird? Und weshalb gerät eine Ausstellung über Jerusalem in die Kritik, in der es um die Verankerung dreier Weltreligionen geht?

Tatsächlich wächst daraus leicht der Verdacht, es handele sich darum, eine Institution auf Kurs zu bringen – auch von ­Vertretern Israels. Schließlich hatte sich auch die dortige Regierung über eine vorgeblich ­antiisraelische Positionierung des Museums beklagt.

Die Genese dieses Konflikts aber liegt tiefer. Es geht nicht um einen Tweet, sondern um das komplizierte Verhältnis zwischen Deutschland und dem jüdischen Staat einerseits und um die Beziehungen zwischen Israel und der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik andererseits. Beides ist von der jüngeren Geschichte geprägt – der Vernichtung jüdischen Lebens in Europa durch die Nazis, dem Aufbau des Staates Israel ab 1948 und der Wiederentstehung jüdischer Gemeinden in Deutschland.

Deutschland und Israel – Misstrauen wurde zu Kooperation

Beziehungen zwischen Israel und den Deutschen gab es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht. Waren aus Deutschland wurden boykottiert, israelische Pässe trugen den Vermerk „für alle Länder gültig außer für Deutschland“. Schon die Entschädigungszahlungen in den 1950er Jahren stießen auf den Protest vieler Israelis, nicht anders war es bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1965 mit der Bundesrepublik. Noch mit der Wiedervereinigung vor bald 30 Jahren ging in Israel die Furcht vor einem gefährlichen Großdeutschland um.

Ein Neuanfang ist unumgänglich – unabhängig davon, wie die Gründe für den Konflikt zu bewerten sind

Dieses generelle Misstrauen ist heute einer engen Kooperation gewichen. Jedoch reagiert die rechtspopulistische Regierung in Jerusalem unmissverständlich hart, sobald der Anschein erweckt wird, ausgerechnet in Deutschland werde die Legitimität ihres Staates infrage gestellt.

Und hier sind wir ganz schnell bei den Details dieses vorgeblichen Twitter-Skandals. Das Jüdische Museum Berlin hat nämlich nicht nur einen taz-Artikel über Proteste gegen eine Gleichsetzung eines Boykotts Israels mit Antisemitismus empfohlen, sondern sich den zentralen Inhalt von deren Protagonisten scheinbar zu eigen gemacht, indem dort ohne jedes Anführungszeichen stand: „Der Beschluss der Parlamentarier hilft im Kampf gegen Antisemitismus nicht weiter.“

Peter Schäfer hat eben nicht den Vertreter irgendeines Drittstaats empfangen, sondern dem Kulturattaché des Israel-feindlichen Iran die Gelegenheit zu einem PR-Auftritt gegeben. Und die zu Recht viel gelobte Jerusalem-Ausstellung zeigt eben ein Panorama der Stadt, geht aber weniger darauf ein, warum diese heute vor allem jüdisch geprägt ist. Man muss den letzten Punkt der Kritik nicht teilen. Aber ernst nehmen muss man ihn dennoch.

Leben auf gepackten Koffern

Dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und der Staat Israel in ihrer Kritik übereinstimmen, wird nicht nur daraus verständlich, dass das Museum zumindest indirekt im Namen der deutschen Juden agiert. Ihre kritische Haltung ergibt sich auch aus der Geschichte. Nach dem Holocaust schien jüdisches Leben in Deutschland zunächst unvorstellbar. Als wenige Überlebende sich dennoch dazu entschieden, im „Land der Täter“ neue Gemeinden zu begründen, stieß das im jungen Israel auf völliges Unverständnis.

Erst 1950 entstand in der Bundesrepublik der Zentralrat der Juden in Deutschland. Schon der Name verweist auf die Distanz der jüdischen Vertretung gegenüber ihrer Umgebung: Nicht von „deutschen Juden“ ist hier die Rede, so wie noch vor der Nazi-Herrschaft, sondern von „Juden in Deutschland“, so, als gehöre man nicht richtig zu diesem Volk. Und das tat man damals auch nicht – man hockte auf gepackten Koffern, mit Israel als lebensrettender Rückversicherung.

Diese Distanz gegenüber dem Heimatland ist auch als eine Reaktion auf das Unverständnis in Israel zurückzuführen, wo man die Existenz jüdischen Lebens in Deutschland erst nach langem Zögern zu akzeptieren begann. Umso mehr fühlten und fühlen sich die Repräsentanten jüdischer Gemeinden in der Bundesrepublik dazu verpflichtet, den Staat Israel in Schutz zunehmen.

Deswegen sind sie natürlich nicht Israelis, sondern Deutsche. Aber gerade das führt dazu, dass sie sich dazu genötigt sehen, den jüdischen Staat, dessen Werben sie nicht gefolgt sind, zu verteidigen, wenn seine Legitimität infrage gestellt wird. Und das ist bei einem Boykott zweifellos der Fall.

Das Museum ist nicht gescheitert, sondern wächst

Es scheint, als sei dem Jüdischen Museum diese komplizierte Gemengelage nicht immer bewusst gewesen. Möglicherweise trug dazu auch die Tatsache bei, dass Schäfer zwar ein herausragender Wissenschaftler auf dem Gebiet der Antike und des Frühmittelalters ist, aber nicht unbedingt eine Idealbesetzung für den Posten eines Museumsmanagers darstellt.

Das Jüdische Museum Berlin aber sollte aus dem Konflikt keinesfalls den Schluss ziehen, es sei mit seiner offenen Debatte zu aktuellen politischen Fragen gescheitert. Fehler lassen sich korrigieren, Vertrauen lässt sich wieder aufbauen. Diskussionen zur Gegenwart und Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland könnten kaum einen besseren Ort finden.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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13 Kommentare

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  • und noch eine wortmeldung



    "If the German and Israeli governments are interested in the Jewish Museum representing only their narrow political interests and denying its staff members freedom of expression, I am not interested in having a part in it. So despite my deep respect for the museum’s staff, I proffered my resignation. I and many other Jews of my generation do not want or need a kashrut certificate from the State of Israel or the heads of the institutional Jewish community, nor, certainly, from the German government. Judaism, as a pluralistic and democratic world culture, will continue to exist after the racist, ultra-nationalist politics that has taken over many communal institutions passes from the world."



    www.haaretz.com/op...9f63Bnon3Nshsv7cNw

  • ob die redaktion wohl diese wortmeldung von Micha Brumlik taz.de/!5600512/ zur diskussion freigibt?



    schließlich geht es ja nicht nur um 1 tweet!

  • in der tat - es geht nicht um 1 tweet



    www.tikkun.org/why...-in-berlin-matters

  • Gut zu wissen, dass es bei der TAZ auch Journalisten gibt, die Zusammenhänge recherchieren können - und daraus die richtigen Schlüsse ziehen.



    Peter Schäfer, der ein hervorragender Judaist sein mag hat es wohl auch selbst erkannt: "Ich war vielleicht ein wenig naiv". Das heisst : "Ich habe jetzt verstanden, dass mir das für diesen Job nötige Fingerspitzengefühl komplett fehlt."

  • talmudist*innen weltweit wundern sich und noch mehr scolars of jewish studies unterzeichnen einen protestbrief docs.google.com/fo...iHM-7DSYgUZl-B9v50



    aber vielleicht überläßt man in zukunft die leitung jüdischer museen am besten den internisten?

  • "Dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und der Staat Israel in ihrer Kritik übereinstimmen[...]" - der Zentralrat der Juden ist also repräsentativ für alle Juden in Deutschland? Bislang hatte ich den Eindruck, dass dem nicht so war.

  • 9G
    99140 (Profil gelöscht)

    Meines Erachtens ist die seitens der israelischen Regierung, gut kalkuliert der internationalen Gemeinschaft politisch aufoktroyierte , Unterlassung einer Differenzierung zwischen Kritik an Israels Politik und dem Antisemitismus der prominente Grund für diese und zahllose andere Konflikte.



    Und dies ist offenkundlig auch der Grund für diese Personalie im Jüdischen Museum.



    Es ist nicht nachvollziehbar, wenn jüdische Bürger Israels eine Bewegung initiieren, die auf kaum zu leugnende Misstände in der Israelischen Politik, hier im besonderen das Verhalten gegenüber arabischstämmigen Bürgern Israels und Palästinas, hinweisen möchten und einen politischen Diskurs anstossen wollen, durch israelische, deutsche, französische, usw Politiker des Antisemitismus diffamiert werden.



    Die Handvoll offenbar tatsächlich antiemitisch geprägten Mitglieder der Bewegung sind ebensowenig exemplarisch für den Grundkonsens in der Bewegung, wie ultra-rechte Knessetmitglieder für Israel. Oder sogar deutlich weniger?!



    Also, die innere Zerrissenheit der jüdischen Diaspora in Deutschland ist sicherlich auch Grund für die teils - auch - unreflektierte Verteidigung Israelischer Politik.



    Aber der Auslöser dieses von den eigentlichen Problemen wieder ablenkenden Dissenses ist das politische Selbstverständnis Israels und seine dem gewidmete Aussenpolitik.



    Wer Kritik mit Diffamierung und Angriff gleich setzt, ist im zivilgesellschaftlichen Kontext nicht wirklich ernst zu nehmen. In der Politik scheint dies unterschiedlich bewertet zu werden und man möchte dies scheinbar gerne in die Zivilgesellschaft hineintragen.



    Das gilt es zu verhindern.



    Gesunder Menschenverstand und der Realität zugewandtes Denken und Handeln sollte den bizarren Duktus der Politik schnellstmöglich einzuhegen versuchen.



    Hier und in zahllosen anderen Politikfeldern.

  • Also: Distanz der "Juden in Deutschland gegenüber Deutschland" ist (laut KH) eine "Reaktion auf das "Unverständnis" und "Zögern", wenn es um jüdisches Leben in Deutschland geht. Daraus folgt (laut KH) die gefühlte "Verpflichtung" unter deutschen Juden/Juden in Deutschland den Staat Israel "in Schutz zu nehmen". Daraus wiederum folgt (laut KH) nicht, dass sie Israelis wären, sondern weiterhin Deutsche (no kidding, wer würde das bestreiten?), woraus KH folgert, dass die deutschen Juden/Juden in Deutschland "sich genötigt sehen", Israel zu verteidigen, wenn dessen Legitimität durch Boykott-Aufrufe infrage gestellt würde.

    Was ist denn das für eine verschwurbelte und redundante Argtumentation (bzw. Darlegung von Kausalitäten).

    Zum Twitter-Skandal: am besten hätte das Jüdische Museum den kritischen Brief empfohlen - als Debattenbeitrag.