Jüdisches Museum Berlin: Opfer gegen Opfer
Nach dem Rücktritt des Museumsdirektors befindet sich das JMB in einem Schwebezustand. Nun nimmt die Debatte über das Haus erneut Fahrt auf.
„Ich frage mich“, schreibt Yasemin Shooman in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme, „wie ein Artikel, der auf so vielen unbelegten Behauptungen (…) basiert, mit den Qualitätsstandards der FAZ zu vereinbaren ist.“ Zuvor hatte FAZ-Feuilletonredakteur Thomas Thiel in einem Artikel beschrieben, wie das Jüdische Museum „mutiert“ sei zu einem „Forum für Israel-Kritiker und BDS-Sympathisanten“ – mit, so der Vorwurf, zahlreichen Querverbindungen zu antisemitischen Islamisten.
„Der jüdisch-muslimische Dialog war für mich in den letzten Jahren ein Lebensthema“, schreibt Shooman in ihrer Stellungnahme an FAZ-Mitherausgeber Jürgen Kaube. „Der Artikel in ihrer Zeitung zeichnet davon ein Zerrbild und gipfelt in der ehrenrührigen impliziten Anschuldigung, ich sei Teil einer Bewegung gewesen, die sich (…) ‚gegen die Existenz des Staates Israel und (…) gegen das Lebensrecht der dort lebenden Juden richtet‘.“ Die FAZ reagierte auf eine Bitte um Stellungnahme zu den Vorwürfen zunächst nicht.
Thiel hatte Shooman in dem bereits kurz vor Weihnachten veröffentlichten Text als prominente Vertreterin eines seiner Ansicht nach problematischen Ansatzes innerhalb der Rassismusforschung dargestellt: der vergleichenden Forschung zu verschiedenen Formen von Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Wer Antisemitimus und Islamophobie miteinander vergleiche, relativiere den Holocaust.
Islamophobie als Kampfbegriff
Dem FAZ-Artikel zufolge wird das Thema Islamophobie in Deutschland ohnehin übertrieben. Die Islamophobieforschung von WissenschaftlerInnen wie Shooman oder Farid Hafez sei eine „Pseudowissenschaft“, Islamophobie ein ideologisierter „Kampfbegriff“. Als Vertreterin dieser „israelfeindlichen bis antisemitischen“ Bewegung habe Shooman – nicht der zurückgetretene Direktor Peter Schäfer – das Jüdische Museum Schritt für Schritt in ein Forum für Islamophobie-AktivistInnen und AntisemitInnen verwandelt.
Die Zeit wertet den FAZ-Artikel in ihrer aktuellen Ausgabe als persönlichen Angriff auf die ehemalige Leiterin der Museumsakademie. Gefährdet sei hier, so der Autor, Shoomans „soziale Existenz“. Nach dem Abgang Schäfers würden nichtjüdische und jüdische Konservative versuchen, das Selbstverständnis des Museums umzudefinieren und den bisherigen pluralen gesellschaftlichen Austausch in dem Haus zu unterbinden.
Auch im Berliner Tagesspiegel stieß die Kritik auf Widerspruch: „Undifferenzierten Nonsens“ und „krasse Anschuldigungen jenseits der journalistischen oder wissenschaftlichen Sorgfaltspflicht“ warf Autor Max Czollek, Mitherausgeber der Zeitschrift Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart, der FAZ vor. Die Berichterstattung überschreite die „Grenze zur Verschwörungstheorie“ und müsse vor allem als eines verstanden werden: als Warnung an die künftige Leitung des Museums.
Am 1. April übernimmt die niederländische Kuratorin und Museumsmanagerin Hetty Berg die Leitung des Jüdischen Museums. Ihr Vorgänger Peter Schäfer war nach heftigen Debatten um die Ausrichtung des Hauses und einer Beschwerde aus israelischen Regierungskreisen im vergangenen Juni zurückgetreten. Über die Nachfolge Shoomans, die von der Museumsakademie zum Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung gewechselt ist, soll erst entschieden werden, wenn die neue Chefin übernommen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?