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Kommentar Kommunalwahl in der TürkeiWahlklatsche für Erdoğan

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Alle Metropolen sind an die Opposition gegangen. Das trifft die Regierungspartie AKP sehr. Es ist wieder spannend geworden in der Türkei.

Empfindlich getroffen: Dort, wo es wichtig ist, hat Erdoğans AKP verloren Foto: ap

R ecep Tayyip Erdoğan, Präsident und Alleinherrscher der Türkei, weiß, wann er verloren hat. Neben der Hauptstadt Ankara hat seine AK-Partei bei den gestrigen Wahlen auch die eigentliche Metropole des Landes, Istanbul, verloren. Bei seiner „Siegesrede“ in der Nacht zu Montag war es Erdoğan deutlich anzumerken, dass von einem Sieg keine Rede sein kann. Schwer gezeichnet von den Strapazen der letzten Wochen musste er zugeben, dass er und seine Partei „viele Herzen“ nicht gewinnen konnten.

Zwar hat die AKP die gestrigen Kommunalwahlen in der Fläche mit 44 Prozent der Stimmen gewonnen, doch da, wo es darauf ankommt, hat sie verloren. Von den zehn größten Städten des Landes gingen fast alle an die Opposition. Besonders deutlich war der Verlust ausgerechnet in der Hauptstadt. Ankara, mehr als 25 Jahre fest in der Hand der AKP, ging wieder zurück an die Republikanische Volkspartei CHP. Der Vorsprung war so deutlich, dass er nicht vertuscht werden konnte.

Das versuchte die Regierung dagegen in Istanbul. Kurz vor Mitternacht, als der Vorsprung des AKP-Kandidaten auf knapp 3.000 Stimmen zusammengeschmolzen war und nur noch die Ergebnisse aus Wahllokalen fehlten, die zu den Hochburgen der Opposition gehören, wurde die Auszählung plötzlich abgebrochen und der Regierungskandidat Binali Yıldırım rief sich selbst zum Sieger aus. Die CHP gab bekannt, dass sie diese Manipulation nicht auf sich beruhen lassen will. Nach ihrer Zählung hat sie Istanbul mit einem Vorsprung von knapp 30.000 Stimmen gewonnen.

Am Montagvormittag dann erklärte auch der Chef der Hohen Wahlkommission, Sadi Güven, dass der Oppositionskandidat in Istanbul in Führung liege. Laut vorläufigen Ergebnissen habe Ekrem İmamoğlu mit 4.159.650 Stimmen einen Vorsprung von fast 28.000 Stimmen.

Erdoğan weiß, dass er angeschlagen ist. Sein Aufstieg begann 1994, als er denkbar knapp die Wahl zum Oberbürgermeister in Istanbul gewann. Auch wenn die AKP die Niederlage in Istanbul noch verschleiert, sie tut ihre Wirkung. Trotz massiver Repression, abertausenden von Verhaftungen und über hunderttausend Entlassungen von Erdoğan-Kritikern aus dem öffentlichen Dienst ist die Opposition einfach nicht kleinzukriegen. Noch deutlicher als bei den letzten fünf Wahlen in den letzten drei Jahren zuvor hat die entwickelte Türkei entlang der Ägäis und der Mittelmeerküste Erdoğan und seiner AKP eine Abfuhr erteilt. Das Gleiche gilt für die kurdischen Gebiete. Obwohl fast sämtliche Bürgermeister der kurdisch-linken HDP in den letzten Jahren verhaftet und aus dem Amt entfernt wurden, hat die Bevölkerung wieder HDP-Politiker zu Bürgermeistern gewählt.

Erdoğan wird sich ab jetzt mit einem neuen Selbstbewusstsein der Opposition konfrontiert sehen, die weiß, dass sie die Metropolen auf ihrer Seite hat. Es könnte sein, dass ihm bald auch im eigenen Lager Konkurrenz entgegenschlägt. In der Türkei ist es wieder spannend geworden.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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8 Kommentare

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  • Der Ausgang dieser Wahl wird nach den Manipulationen Erdogans an der türkischen Verfassung vom April 2017 die Machtverhältnisse in der Türkei nicht grundlegend ändern können. Er macht aber überdeutlich, dass es für die Politik Erdogans, die das Land in eine tiefe Wirtschaftskrise gestürzt hat, längst keine Mehrheiten mehr gibt - wenn es sie nach demokratischen Maßstäben überhaupt jemals gegeben haben sollte.

  • der Diktator wird nicht freiwillig gehen.

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Wenn der Zustand in Istanbul wie beschrieben ist, ist das ja nichts anderes als Wahlfälschung & Betrug.

    Hier müssten internationale Konsequenzen folgen.

  • Das freut mich außerordentlich !

    • 9G
      91491 (Profil gelöscht)
      @Karo:

      Das wird Erdogan nur dazu bringen ,noch radikaler ,mit entsprechenden Gesetzen und Druck ,seine Macht zu sichern.



      Das wird die Situation für die Opposition nicht erleichtern sondern verschlimmern.

      • @91491 (Profil gelöscht):

        Ja, wäre es denn dann besser gewesen, Erdogan zu wählen?

        • 9G
          91491 (Profil gelöscht)
          @GvG:

          Natürlich nicht!

          • 9G
            91491 (Profil gelöscht)
            @91491 (Profil gelöscht):

            Ich befürchte nur das Erdogan sich nicht von dem Ergebnis einer demokratischen Wahl aufhalten lässt und sich darüber hinweg setzten wird.