Kommentar Gedenken am D-Day: Gruß aus Stalingrad
Die Alliierten mögen den Zweiten Weltkrieg in der Normandie gewonnen haben. Verloren hat Deutschland ihn in Russland, gegen die Rote Armee.
E s ist nur menschlich, eine Erzählung der eigenen Geschichte zu suchen, wo Gutes, Wahres, Schönes dominiert, wo Humanität sich zu neuen Höhen aufschwingt zum Nutzen aller. Eine Erzählung in der unsere heutige Existenz, wenn vielleicht noch nicht die Krönung, so doch ein wichtiger Schritt auf dem richtigen Weg ist.
Das aber will schon nicht klappen, wenn man die Nase hinter die Kulissen jeder beliebigen anderen nationalen Erzählungen hält – praktisch immer stinkt's da nach Leichen. Überhaupt unmöglich wird der feine Narrativ jedoch in dem Land, dessen Rechtsvorgänger als Feuerwalze über die Welt gerollt ist und dabei die industrielle Vernichtung der Juden betrieb.
Wie also das unangenehme Gefühl loswerden, es wäre nur gerecht gewesen, die Alliierten hätten zwischen „Maas und Memel, Etsch und Belt“ alles einfach rückstandsfrei niedergebrannt? Zum Beispiel so: Man schlägt sich auf die richtige, die gute Seite. Je nachdem, aus welchem der beiden deutschen Nachkriegsstaaten wir kommen, haben wir unser Zipfelchen vom Tischtuch der Guten entweder bei den tapferen Verschwörern vom 20. Juli abbekommen oder beim aufopferungsvollen kommunistischen Widerstand.
In DDR-Geschichtslehrbüchern wurde ganz im Sinne des guten, des antifaschistischen, des siegreichen Patriotismus selbst in den 1980er Jahren noch Stalin bemüht, der gesagt haben soll: „Die Hitlers kommen und gehen, aber das deutsche Volk wird es immer geben.“
Ausgleichende Geste
Was gewiss als taktisch überlegte und versöhnend ausgleichende Geste die Besiegten und zur Reparation Verpflichteten beruhigen sollte, kann rückblickend gerne auch als Drohung verstanden werden, denn eines ist gewiss: Das deutsche Volk ist geblieben und hat sich spätestens mit der Wiedervereinigung ein Gemeinwesen geschaffen, zu dessen Tugenden nicht unbedingt Demut vor den Opfern des und den Befreiern vom Faschismus gehört.
So freut es denn schon fast, dass, wie kolportiert wird, Angela Merkel die Teilnahme Wladimir Putins an den diesjährigen Feierlichkeiten zur Landung in der Normandie dringend empfohlen haben soll. Die Ironie ist der Geschichte eingeboren – versöhnliche Worte von den Nachkommen der Besiegten an den weltpolitischen Aussenseiter.
Dieser Tag kündigt sich an, seit Helmut Kohl und François Mitterrand in Verdun Hand in Hand der Toten gedachten. Das waren noch die des ersten Weltkriegs – an den Feierlichkeiten zum D-Day durfte der deutsche Kanzler 1984 nicht teilnehmen. Da war die Erinnerung daran, wer diesen Krieg warum geführt hat noch zu frisch, die Tätererzählung zu lebendig.
Die Leidenserzählung
In diesem Jahr nun kann Angela Merkel im Sand der Normandie gemeinsam mit den Vertretern der Siegermächte darüber reflektieren, wie weit es Deutschland seit dem 6. Juni 1944 gebracht hat. Jenem Tag, an dem die totale Niederlage des deutschen Faschismus mit der Eröffnung der von sowjetischer Seite lang ersehnten Front in Frankreich in greifbare Nähe rückte.
Ersehnt nicht etwa deshalb, weil Deutschland anders nicht in die Knie zu zwingen war. Die Höhe des Preises aber für die Beendigung des totalen Kriegs stand zur Diskussion. Die Toten waren in Millionen zu zählen, die Invasion rettete Unzählige. Besiegt waren unsere Großeltern da schon längst - und seit Stalingrad wussten sie das auch.
Stalingrad, dieser Ort, der in Deutschland nur als Leidenserzählung der 6. Armee unter General Paulus existiert: Hunderttausende die im grausamen Winter verreckten, von den endlos anrennenden Rotarmisten aufgerieben und von Hitler im Stich gelassen. Dort fand der deutsche Wahn sein klägliches Ende von der Hand des Russen, des Iwans, des slawischen 'Untermenschen'. Daran erinnert sich der Herrenmensch nicht gerne; und wenn er sich schon erinnern muss, dann besser als Opfer.
Täter, Opfer, Umdeutung
Diese Umdeutung der eigenen Soldaten zu Opfern eines quasi übernatürlichen Geschehens, und das Vergessen ihres Wirkens als Täter funktioniert naturgemäß im eigenen Lande am besten. Mit hinreichend geduldigem Wirken vertrauensbildender Maßnahmen nehmen aber auch die früheren Gegner die Erzählung auf. „Das Böse“ wird derweil auf eine telegene Person, Hitler, reduziert, der ganze Rest waren nur bedauerliche Schachfiguren in einem monströsen Spiel.
Wiederum Helmut Kohl gelang es schon recht früh, diese Kriegserzählung im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Als er 1985 zusammen mit Ronald Reagan den deutschen Soldatenfriedhof in Bitburg besuchte und dort Kriegsteilnehmer beider Seiten sich die Hände über den Gräbern von SS-Männern reichen ließ, rehabilitierte er die Mitglieder der verbrecherischen Organisation soweit es eben ging: als Opfer unter Opfern des großen Krieges.
Die Frage nach dem Unterschied von Tätern und Opfern, die Frage nach der Schuld war in den Hintergrund gestellt. Was damals noch den handfesten Historikerstreit auslöste, würde heute wohl nur mit Achselzucken zur Kenntnis genommen werden. Außer vielleicht – in Russland.
Omaha Beach, Stalingrad, Auschwitz
So wird also der D-Day dieser Tage ganz nüchtern als militärische Operation wahrgenommen – beeindruckend in seiner logistischen Ausführung, auf seine Weise kriegsentscheidend, ausgefochten jedoch zwischen zivilisierten Nationen – mit großen persönlichen Opfern auf beiden Seiten. In Stalingrad aber wurde das deutsche Wesen gebrochen. Dort wurde der Krieg wirklich verloren. Das haben wir nicht vergessen und die Russen auch nicht.
Ein angemessenes Gedenken an den Zweiten Weltkrieg zu finden, in Deutschland zumal, scheint eine schwierige Angelegenheit zu sein. Da gilt es, alle möglichen Befindlichkeiten zu beachten und neue geopolitische Konstellationen. Dabei könnte es so einfach sein: Man muss sich freuen, verloren zu haben.
Egal ob Putin seine Staatsgäste von zwei Dobermännern begleitet auf einem Bären reitend empfängt. Anders geht’s nicht. Unsere Helden können eben nur jene sein, die im Kampf gegen Massenmörder ihr Leben einsetzten. Die Massenmörder aber waren unsere Großeltern – in Omaha Beach, in Stalingrad, in Auschwitz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen